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Kreis EsslingenGame over, nichts geht mehr. 800 Euro hat Thomas Häuser (Name von der Redaktion geändert) gesetzt, 800 Euro hat der Automat kassiert – an einem einzigen Tag. Der Rentner aus dem Landkreis Esslingen ist spielsüchtig, gefangen im Netz von Gewinn und Verlust, Lust und Frust. Nach 14 Jahren emotionaler Achterbahnfahrt ist sein Girokonto überzogen und die Beziehung zu seiner Frau schwer belastet. Häuser ist am Tiefpunkt angelangt und weiß, dass sich etwas ändern muss. Allein kann er aus dem Teufelskreis nicht ausbrechen, darum geht er in eine Suchtklinik zur Therapie. Das war vor knapp zwei Jahren, seitdem hat Häuser keinen Automaten mehr angerührt. Jetzt erzählt er seine Geschichte der EZ. Damit will er andere Spieler dazu ermutigen, Hilfe zu suchen.
Sie bimmeln und blinken, klappern und klimpern. Die Glücksspielautomaten in der Kneipe faszinieren Häuser. „Man trinkt etwas, die Stimmung wird besser, und das Geld sitzt locker“, so beschreibt Häuser den Beginn seiner Spielerkarriere. „Zuerst habe ich fünf Euro eingeworfen und gewonnen. Am nächsten Tag habe ich wieder gespielt, aber mit höherem Einsatz.“ Irgendwann schluckt der Automat mehr Geld, als er ausspuckt. „Anfangs habe ich noch geglaubt, dass ich das Geld zurückgewinnen, die Verluste ausgleichen kann“, erinnert sich Häuser. Heute weiß er, dass das nicht funktioniert. „Jeder, der richtig spielt, geht aus dem Kasino ohne einen Cent in der Tasche. Der verzichtet lieber auf die Brezel beim Bäcker und verspielt das Geld.“ Trotzdem kommt Häuser nicht von den Automaten los. Schließlich verliert er durchschnittlich 400 Euro am Tag, sein trauriger Rekord liegt bei 800 Euro. Innerhalb von 14 Jahren verspielt er 150 000 Euro. „Lust, Frust, Sucht. Permanent“, kommentiert Häuser sein damaliges Gefühlswirrwarr.
Abtauchen in eine andere Welt
Die Suchtgefahr, die von Automaten ausgeht, ist Barbara Siegel-Schwilk bekannt. In der psychosozialen Beratungsstelle in Esslingen unterstützt sie Spielsüchtige im Kampf gegen die Krankheit. Einige ihrer Klienten spielen Poker oder Blackjack im Kasino, andere schließen Sportwetten im Wettbüro oder online ab. Doch die meisten sind wie Häuser den Automaten in Kneipen und Spielhallen verfallen. Lichter und Farben, Töne und Symbole lassen die Spieler laut Siegel-Schwilk in eine andere Welt eintauchen. „Spannend ist eine schnelle Spielabfolge, bei der die Entscheidung über Gewinn oder Verlust innerhalb von Sekunden fällt“, erklärt Siegel-Schwilk. Vor kurzen Auszahlungsintervallen warnt die Beraterin: Werde der Gewinn sofort nach Spielende ausgeschüttet, könne der Spieler ihn beim nächsten Spiel wieder einsetzen. Außerdem schmerze ein Verlust nicht lang, weil das nächste Spiel schon wieder eine Gewinnchance biete. Zu den Süchtigmachern zählen Experten außerdem Fast-Gewinne, weil sie die Erwartung erzeugten, beim nächsten Spiel sei der Gewinn sicher. Sportwetten und Poker vermittelten den falschen Eindruck, der Spieler könnte mittels Knowhow das Spiel zu seinen Gunsten wenden. Die Jetons beim Roulette würden den verspielten Geldwert verharmlosen.
Für Häuser ist die schnelle Spielabfolge ausschlaggebend. „Am Anfang ging es darum, Geld zu gewinnen“, erinnert er sich. „Später war das zweitrangig. Da zählte der Kick – drei Sekunden, so lang dauert ein Spiel.“ Als er noch arbeitet, gönnt er sich den Adrenalinstoß in der Mittagspause und nach Feierabend. Zwei bis drei Stunden pro Tag spielt er. Im Ruhestand nimmt die Zockerei Fahrt auf – Häuser ist langweilig, er sucht Unterhaltung. Anders als viele andere Spieler leidet er nicht unter familiären Problemen oder Arbeitsstress. Depressiv ist er zu diesem Zeitpunkt zwar; aber das ist das einzige Persönlichkeitsmerkmal, das ihn für Suchtexpertin Siegel-Schwilk zum Risikokandidaten macht. Mit Problemen und negativen Gefühlen könnten ihre Klienten in der Regel schlecht umgehen, berichtet sie. Impulsiv seien sie und risikofreudig, emotional instabil und unsicher. Viele stünden unter Leistungsdruck und wollten beim Spielen abschalten. Vertreten seien alle Bildungs- und Einkommensschichten. „Arme Leute spielen in der Hoffnung, schnell ans große Geld zu kommen. Wohlhabende Leute, um negative Gefühle auszublenden.“
Finanziell wird es für Häuser trotz seiner Spielsucht nicht eng. „Ich habe gut verdient und meine Rücklagen aufgebraucht“, erklärt er. Von anderen Spielern weiß Siegel-Schwilk, dass sie Familie und Freunde beleihen, bei der Bank Kredite aufnehmen, sich verschulden und selbst vor Betrug und Diebstahl nicht zurückschrecken. Mehr als das leere Sparbuch macht Häuser sein schlechtes Gewissen zu schaffen. „Meiner Frau gegenüber habe ich mich als Lügner und Betrüger gefühlt“, sagt er. Seine Abwesenheit erklärt er mit Überstunden, das überzogene Girokonto mit Ausgaben für einen neuen Automotor, die Reparatur des Motorrads und die letzte Reise. „Man erfindet viele Geschichten.“ Dass er süchtig ist, erkennt Häuser daran, dass er seinen Tagesablauf aufs Spielen ausrichtet: Morgens Geld beschaffen, dann zum Automaten gehen und hoffen, dass keiner dran sitzt, abends Ausreden für die Frau ausdenken. „Das Kopfkarussel drehte sich nur noch ums Spielen“, berichtet er. Lange macht er sich etwas vor: „Nur noch das eine Mal. Ich kann aufhören, wenn ich will.“ Doch mit dem Aufhören klappt es nicht. „Irgendwann habe ich an Selbstmord gedacht – ganz konkret.“
Therapie als letzter Ausweg
Da zieht Häuser die Notbremse. Zuerst beichtet er die Spielsucht seiner Frau, die nichts geahnt hat. Kindern und Enkeln sagt er nichts. Kein Sonderfall, wie Häuser klarstellt: „Ich kenne viele Spieler, und ich bin sicher, dass die Familien größtenteils nicht Bescheid wissen.“ Dann sucht er Hilfe bei der psychosozialen Beratungsstelle in Esslingen. Barbara Siegel-Schwilk vermittelt ihm eine stationäre Therapie in einer Suchtklinik. „In Gruppen- und Einzelgesprächen soll ermittelt werden, welches Bedürfnis mit dem Spielen befriedigt wird“, erklärt die Expertin. „Dann werden alternative Verhaltensweisen aufgezeigt.“ Der Aufenthalt dauert in der Regel drei Monate und wird von der Krankenkasse beziehungsweise Rentenversicherung bezahlt. Die Behandlungserfolge seien gut, versichert Siegel-Schwilk. „Allerdings hilft die Therapie nur, wenn der Betroffene sich seine Sucht eingesteht, mit dem Spielen aufhören will und bereit ist, Hilfe anzunehmen.“
Häuser will aufhören und ist nun seit fast zwei Jahren spielfrei. Dabei unterstützt ihn der Freundeskreis Esslingen. „In der Selbsthilfegruppe für Spielsüchtige fangen wir Leute auf und helfen ihnen, den Tag oder die Woche zu überstehen“, erklärt er. Häuser selbst fürchtet keinen Rückfall. „Heute kann ich in eine Kneipe gehen und sehen, wie andere spielen. Das löst bei mir keinen Reiz mehr aus.“ Er setzt sich bewusst der Konfrontation mit den Automaten aus. „Um die Stärke zu entwickeln, ihnen zu widerstehen“, wie er betont. Sollte er doch einmal in Versuchung geraten, gibt es einen Rettungsanker: Im Geldbeutel trägt er einen kleinen Zettel bei sich, auf dem Sätze stehen wie: „Ich besinne mich auf meine Kraft“ und „Ich habe ein schönes Leben ohne Spiel“. Häuser hofft, dass der Zettel reicht.
Hier bekommen Spieler Hilfe
Die psychosoziale Beratungsstelle in Esslingen, Kollwitzstraße 8, wendet sich an Suchtgefährdete, Suchtkranke und Angehörige. Sie bietet Beratung sowie ambulante Behandlung und vermittelt Klienten in eine Fachklinik zur stationären Therapie. Weitere Informationen unter www.psb.esslingen.de, Telefonnummer 0711/3511432, Email: psb(at)esslingen.de.
Die Spieler-Selbsthilfegruppe des Freundeskreises Esslingen trifft sich jeden Mittwoch um 19.30 Uhr in Esslingen, Plochingerstraße 32. Sie ist offen für aktive Spieler, die aufhören wollen, abstinente Spieler und auch Angehörige. Weitere Informationen unter www.freundeskreis-esslingen.de, Telefonnummer 0178/5682417, Email: info(at)freundeskreis-esslingen.de
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