Lehrerin und Regisseurin Patrizia Grillo (Mitte) instruiert die Darsteller des Mephisto und des Faust, der Geist und Gretchen lauschen ebenfalls aufmerksam. Foto: Rapp-Hirrlinger - Rapp-Hirrlinger

In Denkendorf bringen Schüler, die seit weniger als einem Jahr Deutsch lernen, Goethes „Faust“ auf die Bühne. Ein ungewöhnliches Projekt, aber ein erfolgreiches.

DenkendorfJugendliche, die seit weniger als einem Jahr Deutsch lernen, bringen in Denkendorf Goethes „Faust“ auf die Bühne. Die Vorbereitungsklasse der Albert-Schweitzer-Schule hat sich an das herausfordernde Projekt gewagt. Lehrerin Patrizia Grillo greift dafür auf eine stark gekürzte Fassung des Klassikers zurück, die auf dem Sprachniveau A2 basiert. Ein Beispiel: Fausts Frage, als er Gretchen das erste Mal begegnet, lautet im Original „Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?“ In der vereinfachten Version heißt es: „Entschuldigung, darf ich vielleicht ein Stückchen mit Ihnen gehen?“ Eine Formulierung, die die Jugendlichen gut verstehen. „Es ist mir wichtig zu zeigen, dass neben dem Spracherwerb auch kulturelle Bildung zum Unterricht in einer Vorbereitungsklasse gehört“, sagt Grillo. Als Germanistin liegen ihr die deutschen Klassiker am Herzen. Und so erarbeitete sie mit den 23 Schülerinnen und Schülern, von denen die meisten erst im vergangenen September begannen, Deutsch zu lernen, zunächst Goethes Biografie. Nach Weihnachten ging es dann an den Text des „Faust“. „Erst haben wir die Texte nur gelesen“, erzählt sie. Die Bühnenproben begannen wenige Wochen vor der Aufführung. Die Dramaturgie hat die Gruppe ebenso selbst erarbeitet, wie das Bühnenbild, das an die Wand projiziert wird. Zwei Realschüler kümmern sich um die Technik. „Es ist ein Gemeinschaftsprojekt“, freut sich die Pädagogin.

Parallelen zum eigenen Leben

Damit die Akteure sich ganz auf den Text konzentrieren können, wurde das Schauspielerische auf der Bühne relativ beschränkt. Und doch steht da ein Mephisto in rotem Umhang und mit Dreizack, der Faust gekonnt umschmeichelt und umgarnt, bis dieser den teuflischen Vertrag mit seinem Blut besiegelt. Patrizia Grillo ist stolz auf ihre Schüler, die aus vielen Ländern kommen – vom Balkan ebenso wie aus Südeuropa, aber auch aus arabischen und afrikanischen Staaten: „Sie haben den Inhalt gut verstanden. Etwa, dass Faust alles hat und eigentlich zufrieden sein müsste, aber dennoch mit sich und seinem Leben hadert.“ Diese Frage von Glück und Unglück hätten manche Schülern, vor allem geflüchtete, auf die eigene Situation übertragen, weiß Grillo. „Das hat sie nachdenklich gemacht.“ Es habe sie fasziniert, wie tief die jungen Menschen in den Stoff eingedrungen seien und wie souverän sie mit dem Text umgingen. Das Projekt soll helfen, Selbstwertgefühl zu entwickeln. „Sie sind stolz, dass sie nun etwas kennen, was nicht jeder deutsche Schüler kennt.“

Dass die Schüler sich intensiv mit dem Text beschäftigt haben, zeigt sich bei den Proben. Die Aussprache ist schon sehr gut, allenfalls die ungewohnten Umlaute machen noch Schwierigkeiten. Die meisten brauchen nur kleine Spickzettel für ihre Szenen. Während in der offenen Aula die Szene geprobt wird, in der Mephisto und Faust Gretchen begegnen, schauen der Geist und die Hexe vom Bühnenrand zu. Abwechselnd lesen Schüler die Zwischentexte. Immer wieder bleiben Schüler stehen und beäugen das Geschehen. „Das brachte uns auf die Idee, sie zu beteiligen“, erzählt Grillo. So formierte sich ein Hexenchor aus Grundschülern, die das berühmte Hexeneinmaleins sprechen, während Mephisto und Faust die Hexe um den verjüngenden Zaubertrank bitten.

Minela stammt aus Slowenien und freut sich, dass sie das Gretchen spielen darf. „Die Rolle gefällt mir sehr“, sagt die Zwölfjährige. Sie hatte viel Text zu lernen. Es sei nicht immer einfach, sich alles zu merken, gibt sie zu. Sie musste bei ihren Sprachkenntnissen nicht bei Null anfangen: „Ich habe in Slowenien schon Deutsch gelernt.“ Ivan aus Kroatien hat dagegen erst im September begonnen Deutsch zu lernen. Trotzdem bekam er die Hauptrolle. Der 17-Jährige teilt sich die Rolle des Faust mit einem Mitschüler. „Sonst wäre das zu viel“, sagt er. Es sei schon schwierig gewesen, so viel Text in einer noch fremden Sprache zu lernen. Aber er ist mit Begeisterung dabei. „Den Text habe ich gut verstanden“, sagt er und liefert gleich den Beweis: „Da ist alles drin: der Teufel, ein guter Geist, der Faust. Es sind drei Welten in einem Buch.“ Von Goethe hatte er vorher nichts gehört. Ivan ist sicher: „Es gibt nicht viele solcher Bücher.“

Grillos Konzept, auch anspruchsvolle Themen zu vermitteln, ist mit dem „Faust“ aufgegangen. „Im nächsten Jahr ist Schiller dran“, kündigt sie an. Gerne würde sie zum Schuljahresende noch die Württembergische Landesbühne Esslingen mit dem Klassenzimmerstück „Werther“ an die Schule holen. Doch dafür brauche sie noch einen Sponsor. Fest steht jedoch, dass ihre Klasse den „Faust“ am 23. Juli vor Schülern, Eltern, Lehrern und anderen Interessierten aufführt.