Melanie (links) und Karin geht die Maultaschenproduktion leicht von der Hand. Foto: Bail - Bail

Die Arbeg hat in Deizisau des Maultaschen-Lädle übernommen. Die Kunden sind begeistert. Menschen mit psychischen Problemen oder einer Behinderung kochen dort die schwäbische Lieblingsspeise.

DeizisauWas können Sie mir denn bieten?“, fragt die Kundin. Sofort macht Jürgen Fetzer eine Sonderverkostung: Maultaschen Classic, frisch vom Sud. „Köstlich“ schwärmt die Frau aus Wernau, die auf die Traditionsspeise der Schwaben aus dem Maultaschen-Lädle in Deizisau schwört. Genau, wie die anderen Kunden, die kurz vor der Mittagszeit ihre Portionen abholden, gerne mit Kartoffelsalat. „Wir kriegen immer gutes Feedback“, freut sich Fetzer, der den Laden seit einem Jahr gemeinsam mit der 50-Prozent-Kraft Margit Hummel und einem siebenköpfigen Team führt.

Am 18. Juni 2018 ist der Jobcoach der Werkstätten Esslingen-Kirchheim (WEK ) ins kalte Wasser gesprungen. Architekt und Hobbykoch Dieter Hammelehle verpachtete sein eingeführtes Maultaschen-Lädle als Kooperationsprojekt von WEK und Arbeg Care. Beschäftigte der Einrichtungen wurden damit weitere Arbeitsplätze ermöglicht, ähnlich wie im Kaffeehaus Sonne in Esslingen, im Café Morlock in Plochingen oder im Ladengeschäft Ums Eck auf dem Stumpenhof. Nur mit der Besonderheit, dass im Maultaschen-Lädle psychisch erkrankte Menschen sowie Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung Hand in Hand arbeiten.

Nicht immer einfach, gibt Jürgen Fetzer zu. Aber es funktioniert. Das Ergebnis spricht für sich. Der einladende Imbiss hat von Montag bis Samstag geöffnet. Am Gemeinschaftstisch speisen Beschäftigte und Gäste mittags gemeinsam. Viermal die Woche wird produziert – Maultaschen Classic und vegetarisch immer, gegen Vorbestellung auch mit Bärlauch, Lachs, Pfifferlingen oder Weißwurst. Kartoffelsalat gibt es täglich frisch. An diesem Tag sind es 325 Maultaschen, 75 Fleischküchle und vier Kilo Kartoffelsalat.

Vor Feiertagen müssen schon mal 600 Maultaschen gefüllt werden. Spitzenleistung waren 1000 „Hergottsbscheißerle“ und 120 Kilo Kartoffelsalat für ein Fest. „Das hat uns keiner zugetraut. Aber wir haben’s hingekriegt“, erzählt Fetzer stolz – ohne Stress und den in der Gastronomie oft üblichen, rauen Ton. Die Atmosphäre in den Küchenräumen ist entspannt, es läuft Musik, während der Teig mit der selbst hergestellten Farce gefüllt wird und anschließend in den Sud kommt. Man hilft sich gegenseitig, gibt sich Tipps – die „Kollegen“ achten aufeinander. Ähnlich läuft es bei der Fleischküchleproduktion. „Sonderpraktikant“ Marius, der einmal die Woche mithilft, Johanna, die seit zwei Tagen im Team ist, und Anni haben den Fleischteig gewürzt, die Portionen abgewogen, in Formen gepresst und im heißen Fett gegart. Da wird auch nebenher verkostet und für gut befunden. Anni ist schon lange im Team. „Meine Stammkraft“, lobt Fetzer. Man kann sie auf allen Positionen einsetzen. Die 34-Jährige weiß, wie der Hase läuft. „Macht Spaß“, strahlt sie. Bettina ist von der ersten Stunde an dabei. „Unverzichtbar“, betont Fetzer. Der Kartoffelsalat der 47-Jährigen ist legendär.

Die Fluktuation ist groß. Die Praktikanten wechseln oft. Es gibt allerdings eine Maxime: Als erstes wird morgens zehn Minuten Kaffee oder Tee getrunken – Achtsamkeit geübt. „Das tut den Leuten gut“, sagt Fetzer. Und es schafft Vertrauen. Die Probleme werden ernst genommen. Es fällt kein böses Wort. „Wir gehen würdevoll miteinander um“, erklärt er, während er nebenbei ein Paar aus Deizisau bedient. Zwei Tüten mit den dampfenden Köstlichkeiten gehen über die Ladentheke: „Die schmecken genauso gut wie hausgemachte“, sagt die Frau im Brustton der Überzeugung, „und besser als beim Metzger.“ Den Stammkunden erkennt man am Pfandbehälter. „Es geht auch ohne Plastik“, sagt Fetzer. „Wie von Muttern“, schwärmt Walter Taxis und nimmt zu den Maultaschen gleich noch den Kartoffelsalat. Die Nachbarin gesteht frank und frei: „I ben heut zu faul zom kocha.“ Sie isst Fleischküchle.

In der Anfangszeit unterstütze Dieter Hammelehle die Truppe tatkräftig. Sieben Jahre betrieb er den Laden selbst. Auch nach einem Jahr schaut er immer wieder vorbei und ist zufrieden mit dem, was er sieht. Die Maultaschen schmecken wie eh und je. Schließlich übernahm die Arbeg sein ausgeklügeltes Rezept samt dem Geheimnis der besonders delikaten Zwiebelschmälze.

Jobcoach Fetzer hat Gastronomieerfahrung und ist voll des Lobes für seine Leute wie Meike, die langfristige Aufträge bearbeitet, richtet und für den Hygienecheck zuständig ist. Ihr Hoheitsgebiet ist der kleine Raum mit Vakuumiergerät und Eisschrank. Fetzer kennt die Talente und Eigenarten und kanalisiert sie entsprechend. Der Praktikant mit psychischer Erkrankung arbeitet super gut, schnell, perfekt. Die Hektik überträgt sich allerdings auf die anderen. Da tut Entschleunigung Not. Nach jeder Maultaschen-Charge gibt es für ihn zwei Minuten Sonderpause.

Jürgen Fetzer reagiert einfühlsam und besonnen und setzt klare Prioritäten. Als Johanna weinend in den Gastraum kommt, drückt er das Telefon mit dem Kunden in der Leitung, der eine Bestellung aufgibt, der Journalistin in die Hand und kümmert sich um das Problem der jungen Frau. Er beruhigt sie. Bis Fetzers Ziel in Erfüllung geht, wird es wohl noch ein bisschen dauern: „Ich arbeite auf meinen Liegestuhl hin“, scherzt er. Irgendwann soll alles wie von alleine laufen.

Das Maultaschen-Lädle in der Zehntstraße 25 feiert am Samstag, 13. Juli, von 11 bis 18 Uhr das einjährige Bestehen mit einer Hocketse. Draußen werden Sitzgelegenheiten und Pavillons aufgebaut. Es gibt Sonderaktionen sowie Maultaschen, Fleischküchle und Kartoffelsalat.