Am Ende hatte sie „Dusel“: Foto: Greta Gramberg - Greta Gramberg

Wohnungen im Kreis Esslingen werden immer teurer und rarer. In der Serie „Wohnen im Kreis Esslingen“ wollen wir Fragen rund um den Immobilien- und Mietmarkt klären. Diesmal geht es auf Wohnungssuche.

Kreis EsslingenIch habe den Überblick total verloren“, antwortet Elisabeth Floruß auf die Frage, wie viele Besichtigungen sie und ihr Freund hinter sich hatten, bevor es endlich klappte. Fast ein Jahr ist vergangen, seit die zwei 26-Jährigen ihre Vier-Zimmer-Wohnung in Aichwald bezogen haben. Sie haben sie zu ihrem Zuhause gemacht, mit Kräutern, Blumen und selbst gezimmerten massiven Holzmöbeln auf dem Balkon, den sie sich so gewünscht hatten. Mit einem Tapetenwald an der Esszimmerwand, dunkler alter Schrankwand und schwerem Ledersofa im Wohnzimmer. Eine Wohnung zu fairem Mietpreis, von der sie kaum zu träumen gewagt hätten. Nicht nach der Vorgeschichte.

Das Paar hat erlebt, was viele, die in die Region Stuttgart ziehen wollen, nur allzugut nachempfinden. Die Massenwohnungsbesichtigungen, zu denen 30 Leute auf einmal durch die Zimmer gelotst werden und sich in eine Interessentenliste eintragen, ohne mit dem Vermieter gesprochen zu haben. Verzweifelte, die die Schmerzgrenze der Maximalmiete immer weiter nach oben setzen. Und die dann doch nicht zum Zuge kommen, ohne jemals eine Absage zu erhalten.

Mehr als 12 Euro je Quadratmeter

„Wir haben einen beträchtlichen Mangel an Angebot“, sagt Stadtplanungsamtsleiter Wolfgang Ratzer über den Esslinger Markt. Wie groß dieser Mangel ist, wird zwar nicht in genauen Zahlen erhoben. Doch Ratzer sieht mehrere Indikatoren, die seine Aussage untermauern. Erstens: Die Angebotsmietpreise für frei vermarktete Neubauwohnungen liegen deutlich über zwölf Euro je Quadratmeter. Zweitens: Die Preissteigerungen von Mieten, besonders aber Immobilienkaufpreisen waren in den vergangenen Jahren enorm – auch im Vergleich mit anderen Städten in Deutschland. Drittens ist Ratzer zufolge kaum Bewegung im Immobilienmarkt. Wer eine Wohnung hat, behält sie lieber.

„Insgesamt ist es im ganzen Landkreis Esslingen schwierig, bezahlbare Wohnungen zu finden“, sagt Udo Casper, Vorsitzender des Deutschen Mieterbundes Esslingen-Göppingen. „Und das ist nicht vom Himmel gefallen.“ Über Jahre hinweg sei zu wenig gebaut worden und die früheren Prognosen einer schwindenden Bevölkerung seien nicht eingetreten. Hinzu kommt Casper zufolge, dass die Haushalte kleiner und damit zahlreicher werden, weil immer mehr Menschen alleine leben – und so steigt die Nachfrage weiter.

Keine Wohnungen, kein Personal

Das bestätigt Wolfgang Ratzer für Esslingen. Und die Pläne für die Errichtung weiterer 3200 Wohneinheiten, die die Stadt möglich machen will, müssen voraussichtlich fünf bis sechs Jahre bis zur Umsetzung warten. Gründe sind zum einen rechtliche Vorgaben, die immer umfangreicher werden, zum anderen gibt es immer öfter Widerstand der Anwohner gegen Baugebiete. Der Wohnungsmangel erschwert auch die Besetzung von Arbeitsplätzen. Ratzer sieht darin eine weitere Gefährdung unseres attraktiven Wirtschaftsstandortes mit seiner hohen Lebensqualität. "Nicht nur wir als Verwaltung tun uns deswegen schwer, qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber zu gewinnen - erst kürzlich bekamen wir eine Absage mit dem Hinweis, in Esslingen fände man keine angemessene Wohnung" berichtet er. Selbst wenn sich die Konjunktur hier eintrüben sollte wird das den Zuzug in die Region und nach Esslingen nicht wesentlich verringern - "woanders wäre der Arbeitsmarkt trotzdem schlechter" meint er.

Elisabeth Floruß und ihr Freund sind von Berufs wegen in den Landkreis gezogen: Er hatte in Altbach eine Anstellung bei einem Betrieb für Landschaftsbau und Forstservice gefunden, die Tätowiererin konnte als Selbstständige in einem Studio auf den Fildern einsteigen. Aus den Löwensteiner Bergen bei Wüstenrot herzupendeln war keine Option. Im Juni 2018 begannen sie also mit der Suche, hatten immer an den Wochenenden mehrere Besichtigungen pro Tag und teilweise auch unter der Woche. „Wir fuhren immer wieder hin und zurück und nichts trug Früchte. Das war einfach nur Frustration“, erzählt Floruß. Eigentlich suchte das Paar eine Wohnung mit mindestens zwei Zimmern, „ein Nest, wo wir ein paar Jahre bleiben konnten“. Doch am Ende hätten sie auch ein Ein-Zimmer-Apartment genommen, um ein Dach über dem Kopf zu bekommen. Alles unter 2000 Euro Kaltmiete wurde zumindest in Betracht gezogen. „Da gab es einige Wohnungen, bei denen ich dachte: ‚Nette vergoldete Sardinenbüchse‘.“ Im Vergleich zu Wüstenrot war alles knapp und teuer.

Das Bauen ist teuer

„Es ist jetzt schon im Mittelstand so, dass sich viele einfach nicht leisten können, in der Stadt zu wohnen, in der sie arbeiten“, bestätigt Udo Casper vom Mieterbund. Esslingen gehöre zu den teuersten Städten in Deutschland. Dabei, betont Stefan Beck, Geschäftsführer von Haus und Grund Esslingen, erhöhten insbesondere etwa ein Viertel der privaten Vermieter die Miete in laufenden Verträgen überhaupt nicht und die Mieten bei privaten Vermietern lägen bei Mietverhältnissen über fünf Jahren Dauer regelmäßig unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete. Doch gebe es immer mehr Bauvorschriften, die Nachrüstungen und Modernisierungen nötig machen. Und die überhitzte Baubranche verlangt immer höhere Preise. „Bei der heutigen Lage kommt man im Neubau unter zwölf Euro je Quadratmeter nicht mehr hin, sonst macht man ein Verlustgeschäft“, sagt Beck. Aus Sicht von Udo Casper vom Mieterbund werden nicht nur viel zu wenige Wohnungen neu gebaut, es werden auch die falschen Wohnungen gebaut: „Wer teuer baut, kann nicht preiswert vermieten. Die meisten Neubauwohnungen sind für Haushalte mit einem Durchschnittseinkommen viel zu teuer.“ Zudem schössen auch beim Mieterwechsel die Preise bislang ungebremst in die Höhe. Bis zu 14 Euro pro Quadratmeter müsse zum Teil in Esslingen bezahlt werden, wenn ein neuer Mietvertrag abgeschlossen werde. Diese Explosion der Marktmieten betreffe alle, weil sie die Vergleichsmieten von morgen seien. Hier sieht Casper auch die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnbauorganisationen in der Pflicht: Sie sollten auf Mietanpassungen verzichten, was Vorbildcharakter habe und sich positiv auf den Mietspiegel auswirke. Doch fragt man Esslinger Wohnungsbau, Baugenossenschaft Esslingen und FLÜWO, so wird deutlich, dass auch hier Grenzen nach unten gesetzt sind (siehe Artikel zum Thema günstiger Wohnbau).

Ein ganz anderer Mensch auf Besichtigungstour

Im September mussten Elisabeth Floruß und ihr Freund ihre Wohnungen räumen und hatten noch keine Bleibe in der Nähe des Arbeitsortes. Ab da hausten sie erst mal in einem Monteurszimmer, eineinhalb Monate lang.

Nicht nur in den eigenen Ansprüchen, auch im Auftreten hatten sich die zwei 26-Jährigen dem Konkurrenzdruck bei der Wohnungssuche schließlich ergeben. Die Tätowiererin, die sich normalerweise gerne in dunkle, romantische Kleider im Goth-Stil wirft, schraubte ihren Look runter, entfernte ihr Nasenpiercing vor den Besichtigungsterminen. Der Freund schnitt das lange Haar ab. Das Auto – schwarz lackiert und mit jüdischen Zeichen und Symbolen der schwarzen Magie bemalt – wurde um die Ecke geparkt. Sie konkurrierten mit jungen Familien, anderen Paaren und vielen, die aussahen, als seien sie auf dem Weg zu Bosch, wie Elisabeth Floruß erklärt – sprich: sicheres, gutes Einkommen. Manche Vermieter fanden das junge Paar zwar sympathisch – keine Kinder, keine Haustiere, keine Raucher. Doch die Erlebnisse waren in Summe nicht gerade ermutigend. Immer hatten andere mehr Glück, oft wurde dem Paar nicht einmal Bescheid gegeben, dass sie nicht zum Zug gekommen waren. „Wir sind teilweise sogar zu Besichtigungen gefahren, zu denen niemand auftauchte – ohne dass der Termin abgesagt wurde.“ Dann gab es wiederum Fälle, in denen der neue Mieter gezwungen gewesen wäre, eine 20 000 Euro teure Küche zu übernehmen.

Am Ende hat es dann doch geklappt - weil die Chemie zwischen dem jungen Paar und den heutigen Vermietern gestimmt hat. „Dass wir diese Wohnung hier gekriegt haben, war ein unglaublicher Dusel“, sagt Floruß. Es sei eine der schönsten, größten und günstigsten Wohnungen, die sie besichtigt hatten. „Als wir die Zusage bekamen, dachte ich, ich träume.“ Kaum ein paar Monate eingezogen, heißt es nun aber schon wieder: Wohnungsanzeigen durchsuchen. Denn der Schwager aus Ravensburg hat seit Mai ein Obdach bei dem Paar gefunden und sucht seither eine eigene Bleibe – lange gab es aber nicht eine einzige Einladung zur Besichtigung.