Saskia Melches präsentiert die Stele, die sie für ihren Sieg bei einem Foto: Stotz - Stotz

Saskia Melches aus Ostfildern kann ohne fremde Hilfe nichts mehr machen. Sie hat eine sehr seltene Erbkrankheit. Aber sie leidet nicht daran, betont, sie habe nur Einschränkungen.

OstfildernDer Begriff „aufgeben“ gehört nicht zu Saskia Melches Wortschatz. „Ich habe gelernt, dass es sich lohnt, seine Ziele und Träume nicht auf irgendwann aufzuschieben, sondern sich dafür einzusetzen, sie zu verwirklichen. Und ich habe festgestellt, es ist viel mehr möglich, als man denkt“, sagt die 37-Jährige aus Ostfildern und schaut dabei sehr zuversichtlich drein. So manchen oberflächlichen Betrachter mag dieser Tatendrang und der Optimismus erstaunen, denn Saskia Melches sitzt in einem Elektro-Rollstuhl, und sehr viel mehr kann sie ohne fremde Hilfe auch nicht tun.

„Hereditäre Einschlusskörpermyopathie“ lautete die Diagnose im Jahr 2003, nachdem Saskia Melches zuvor vier Jahre lang vergeblich von Arzt zu Arzt gegangen war, um einen plausiblen Grund für ihre zunehmend nachlassende Körperkraft, ihre Probleme beim Gehen und Stehen zu finden. „Es handelt sich um eine der sogenannten sehr seltenen Krankheiten, ein genetischer Defekt, der einen fortschreitenden Abbau der Muskelzellen bewirkt. Das wurde weltweit geschätzt nur etwa 2000 Mal diagnostiziert. Damit bin ich ein Exot unter den Exoten“, erklärt sie.

Bis zu ihrem 17. Lebensjahr hat Saskia Melches wie jede andere Jugendliche gelebt. Irgendwann fiel ihren Eltern und Freunden auf, dass sie beim Gehen etwas wackelig daher kam. „Das hat sich schleichend entwickelt, irgendwann wurde alles immer anstrengender. Ich bin kaum mehr die Treppen hochgekommen, konnte keine Einkaufstasche mehr tragen“, erzählt sie. Ihre Ausbildung zur Krankenschwester musste sie wegen der körperlichen Schwäche abbrechen, eine zweite Ausbildung als pharmazeutisch-technische Assistentin konnte sie noch abschließen, bald jedoch nur noch in Teilzeit arbeiten. Schließlich war nur noch ein Teilzeitjob in einer medizinischen Notrufzentrale möglich. „Die Erkrankung hat mir immer mehr Probleme verursacht, selbst einen Stift zu halten ging nur noch mit Mühe. Und bei all dem fühlte ich mich sehr allein gelassen“, sagt Saskia Melches.

Bei einem Aufenthalt in einer Reha-Klinik kam sie in Kontakt zu anderen Betroffenen und fasste darüber Lebensmut und Zuversicht. „Ich habe gemerkt, ich bin nicht allein, es gibt andere Menschen mit Behinderung, und wenn man sich gut vernetzt, gibt das Kraft für den Alltag“, betont die 37-Jährige.

Damit erarbeitete sie sich auch eine neue Sicht auf das Leben. „Ich muss immer wieder erklären, dass ich nicht an meiner Krankheit leide. Ich lebe damit und habe starke Defizite dadurch, aber ich leide nicht. Mir ist wichtig, dass die Leute verstehen, dass man sehr vieles tun kann, auch wenn es so aussieht, als ob man nichts mehr machen kann“, stellt sie klar. Und so ist es auch in ihrem Fall. „Seit 2014 habe ich eine persönliche 24-Stunden-Assistenz, ein gutes Team von neun Leuten. Es ist immer jemand da, denn ich bin für komplett alles auf Hilfe angewiesen, essen, zur Toilette gehen, Grundversorgung, im Bett umdrehen – nichts geht mehr alleine. Und trotzdem gestalte ich mein Leben eigenständig und selbstständig“, sagt Melches.

Um dies zu unterstreichen hat sie 2016 einen persönlichen Traum verwirklicht und mit einigem organisatorischem Aufwand eine Reise durch das peruanische Amazonasgebiet unternommen. „Auch um klarzumachen, was man trotz großer Einschränkungen alles erreichen kann. Und wer weiß, ob das in zehn Jahren noch geht“, sagt sie. Der Wille, kein schicksalsergebenes Opfer zu sein, ist für Saskia Melches längst gekoppelt mit dem Wunsch, anderen Mut zu machen, „den Mut, einen neuen Blick auf das Leben zu wagen“. Dafür ist sie in diversen Ehrenämtern, etwa im Forum Gesellschaft inklusiv Ostfildern, für die Belange behinderter Menschen aktiv,. Sie ist Vorstandsmitglied des bundesweiten Vereins Mobil mit Behinderung und Patientenvertreterin Deutschland der internationalen Neuromuscular Desease Foundation.

Dazu spricht sie an Schulen über Behinderung und Inklusion, hält Vorträge bei Symposien, gibt Schulungen für Berater in Sachen Teilhabe, betreut als Vizevorsitzende des Ostfilderner Vereins Reset Motivationsworkshops für Jugendliche und auch das Skater-Camp im Ferienprogramm des Zentrums Zinsholz. „Das als Rollstuhlfahrerin zu machen hilft Kindern und Jugendlichen sehr, Vorurteile und Berührungsängste abzubauen. Das ist für mich Inklusion“, erklärt sie.

Durch ihre Vorträge hat Saskia Melches ihre Redebegabung entdeckt und im vergangenen März an einem internationalen Rhetorik-Wettbewerb in München teilgenommen. Dabei hat sie sich mit einem fünfminütigen Impulsvortrag über ihren Umgang mit Behinderung gegen 65 Konkurrenten durchgesetzt und den Sieg davon getragen. Dafür erhielt sie eine Stele mit der Aufschrift Excellence Award als Pokal „Es ist die hohe Kunst der Rhetorik, ohne jede Körpersprache Emotionen zu wecken und Bilder entstehen zu lassen“, beschreibt sie. Das will sie künftig verstärkt pflegen. „Ich habe durch meine Einschränkung viel darüber gelernt, was alles erreichbar ist. Das möchte ich gerne weitergeben“, sagt sie.

www.saskia-melches.com