Foto: Roberto Bulgrin - Roberto Bulgrin

Bei der Wanderakademie „Berufsbildung und Arbeitswelt“ im Landratsamt Esslingen haben am Mittwochabend ehren- und hauptamtliche Flüchtlingshelfer diskutiert.

EsslingenWie können Haupt- und Ehrenamtliche besser zusammenarbeiten, um geflüchteten Menschen eine gute Chance auf Integration und Eintritt in den Arbeitsmarkt zu geben? Das erkundeten am Mittwochabend die Besucher der Wanderakademie „Berufsbildung und Arbeitswelt“ im Landratsamt Esslingen. „Das A und O in der Flüchtlingshilfe ist die Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamt“, erklärte Saime Ekin-Atik, Landkreiskoordinatorin für das Ehrenamt in der Flüchtlingshilfe. Ekin-Atik hat die Wanderakademie konzipiert, die in diesem Monat an drei Standorten im Kreis Esslingen – in Ostfildern, Esslingen und Nürtingen – Station macht. „Ich habe bei den Kommunen angefragt, wo es Nachbesserungsbedarf in der Flüchtlingshilfe gibt. Das Feedback war, dass besonders die schulische, die sprachliche und die berufliche Integration wichtige Bereiche sind.“ Ziel der Wanderakademie ist es, einen Raum zu schaffen, wo es einen Austausch geben kann zwischen Menschen, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren, und solchen, die dies beruflich tun.

Zu der mehr als dreistündigen Sitzung der Akademie waren auch Vertreter des Esslinger Jobcenters und des Landratsamtes sowie der Ulmer Soziologe Wolfgang Erler eingeladen. „Mein Vorgänger hat zu Beginn der Flüchtlingswelle 2014 und 2015 eine Integrationsstelle gegründet“, sagte Astrid Mast, die Geschäftsführerin des Jobcenters im Kreis Esslingen. „Damit sollte der Prozess für anerkannte Flüchtlinge in Esslingen gebündelt werden und eine schnelle Bearbeitung ermöglicht werden.“ Die Bündelung begrüßte auch Ekin-Atik. „Anfangs lief in der Flüchtlingsarbeit noch viel parallel, da war es wichtig, Strukturen aufzubauen“, sagte sie.

Zu Beginn des Abends hielt Erler einen Vortrag, in dem er aufzeigte, dass die Themen Ausbildung und Beruf für Geflüchtete in der Flüchtlingsarbeit von Ehrenamtlichen selten eine Rolle spielten. „Es gibt die latente Grundeinstellung, dass Ehrenamtliche fürs Händchenhalten bei Geflüchteten geeignet sind, aber dass beim Thema Arbeitsmarkt Profis ran müssen“, so Erler. Dabei seien gerade Dinge wie Bewerbungstraining und Begleitung bei Vorstellungsgesprächen von Hauptamtlichen kaum zu leisten. „Dazu kommt noch, dass ein Großteil der Arbeits- und Praktikumsplätze über Kontakte zustande kommen. Das gilt auch in der Flüchtlingsarbeit. Da kennt zum Beispiel ein Betreuer jemanden, der einstellt und schlägt seinen Schützling vor.“

Erler bemerkte aber auch, dass im Kreis Esslingen durchaus auch Ehrenamtliche sich mit dem Eintritt von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt befassen. So gibt es zum Beispiel in Kirchheim das Jobcafé Jet, das in Trägerschaft der Bruderhaus-Diakonie seit Ende 2015 geflüchteten Menschen dabei hilft, eine geeignete Arbeitsstelle zu finden. Acht Ehrenamtliche und vier Hauptamtliche kümmern sich darum, dass Lebensläufe geschrieben und Kontakte mit Firmen hergestellt werden. Ähnlich handhabt es das Mentorenprojekt Leuchtturm, das bei BBQ Berufliche Bildung gGmbH in der Esslinger Weststadt verortet ist. Hier geht es darum, Jugendliche zwischen zwölf und 25 mit einem schwierigen Hintergrund – zum Beispiel durch Flucht – bei der Schul-, Aus- und Weiterbildung zu unterstützen.

Und dass Kontakte mit Firmen zu Praktika oder gar zu einer Ausbildung führen können, zeigten am Mittwoch vier junge Männer mit Fluchthintergrund. Mohannad Alkes, Sainy Conteh, Mohammad Alnajar und Samer Ali sind im Schnitt seit vier Jahren in Deutschland. Sie alle haben ihre Ausbildungsstellen der guten Zusammenarbeit von Ehren- und Hauptamtlichen zu verdanken. In einem Interview-Talk, der von Wirtschaftsmediatorin Susanne Janthur moderiert wurde, kamen die jungen Männer zu Wort. So auch Samer Ali aus Syrien. Er hat in Damaskus an der Universität jeweils drei Semester Jura und Politik studiert, erreichte aber aufgrund des Krieges keinen Abschluss. Ende 2014 kam er nach Deutschland, wo ihm allerdings nahegelegt worden sei, das Jura-Studium nicht weiter zu verfolgen. „Das ist zu schwierig, haben die Ehrenamtlichen gesagt. Und weil Politik sowieso nicht mehr meiner Vorstellung entsprach, habe ich mich total anders entschieden. Jetzt mache ich eine Ausbildung zum Fachinformatiker.“

Auch Mohannad Alkes hat eine Ausbildung gefunden, die ihm Spaß macht. „Nach einem Praktikum bei der Firma Heller Maschinenfabrik habe ich nach einem zweiwöchigen Praktikum ein Jahr Einstiegsqualifikation gemacht und mache jetzt eine Ausbildung zum Industriemechaniker.“

Zu wissen, was man machen will, das sei für viele Geflüchtete keine einfache Aufgabe. „In vielen anderen Kulturen gibt es dieses Ich-Bild gar nicht. Man wird von Autoritäten in eine Rolle gesetzt und die übt man aus“, erklärte Rolf Beck, der unter anderem ehrenamtlich als Mentor bei dem Bildungswerk-Projekt Leuchtturm arbeitet. „Darüber müssen die Helfer erst einmal Bescheid wissen.“

Im Anschluss an das Interview teilten sich die Teilnehmer in vier Gruppen auf und sammelten Lösungsideen für Probleme wie berufsqualifizierende Sprachförderung und Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen bei Berufsbildung und Einstieg Geflüchteter in die Arbeitswelt. Dabei ging es auch darum, wie Arbeitgeber und Geflüchtete zusammenkommen und zusammenbleiben. Ein Beispiel dafür gab Michael Holl, Ausbildungsleiter der Firma Heller. „Im Zuge der Flüchtlingswelle wurde in der Firma überlegt, dass wir eigentlich schon die soziale Verantwortung haben, unser Haus für Geflüchtete zu öffnen. Es wurden dann erst einmal zweiwöchige Praktika angeboten.“ Zwei der Praktikanten konnten im Folgenden durch eine Einstiegsqualifizierung bei der Industrie- und Handelskammer für eine Ausbildung qualifizieren. „Wir haben da mit Ausbildungspaten gearbeitet – Mitauszubildende, die für die beiden Geflüchteten Ansprechpartner und Vertrauensperson waren. Das hat sich bewährt.“

Saime Ekin-Atik hofft, dass sich in Zukunft die Zusammenarbeit von haupt- und ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern noch verbessern lässt. „Die Zahlen der Flüchtlinge, die im Landkreis aufgenommen werden, sind zwar rückläufig, aber die Leute, die kommen, brauchen nach wie vor auch unsere Unterstützung“, warb sie für das Engagement. Denn, ganz im Sinne der Vortrages von Wolfgang Erler: „Ausbildung und Arbeit für Flüchtlinge? – Ohne die Freiwilligen können Sie das vergessen!“