Zwei Medienpädagogen haben Eltern in der Zehntscheuer in Deizisau in die Welt der Computerspiele eingeführt. Sie wollten Verständnis für die jüngere Generation wecken.

DeizisauMit der MP im Anschlag schleicht die Akteurin über ein Containerschiff. Es regnet in Strömen. Auf einer Eisentreppe kommt ihr eine dunkle Gestalt entgegen – Freund oder Feind? Ein Palästinensertuch ist um den Kopf des Soldaten geschlungen. Gehört also zum Team. Die Bösen sind die Typen mit der Atemmaske – denen gilt es, den Garaus zu machen. Diese Szenerie spielt sich auf einem PC-Bildschirm in der Zehntscheuer in Deizisau ab. „Call of Duty 4 – Modern Warfare“ („Ruf der Pflicht – Moderne Kriegsführung“) heißt das Spiel.

Der „Ego-Shooter“ gehört zu der von vielen Eltern kritisch beäugten Spielegattung, die umgangssprachlich oft als „Ballerspiele“ bezeichnet werden. Für Medienpädagoge Tim Clemenz ist diese Bezeichnung zu negativ belegt: „Seit Winnenden ist man dann gleich dabei, dass solche Computerspiele der Grund für einen Amoklauf sind.“ Einen direkten Zusammenhang zwischen Gewaltspielen und realer Gewalt gebe es nicht. Wie Medien auf Kinder und Jugendliche wirken, hänge von ihrer persönlichen Situation ab. „Es stimmt zwar, dass jugendliche Amokläufer Ego-Shooter gespielt haben. Aber jeder von ihnen war auch Mobbing-Opfer“, sagt Benjamin Götz. Er und Clemenz kommen im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung seit 2011 zu Eltern-LAN-Partys. Veranstalter an diesem Abend sind die Zehntscheuer Deizisau, die Familienbildungsarbeit Köngen und das Köngener Jugendhaus Trafo.

PC-Spiele seien „das normalste der Welt“, sagt Clemenz – 90 bis 95 Prozent aller Jugendlichen spielten sie. Der 43-Jährige spielt selbst seit über 30 Jahren regelmäßig. Die Eltern-LAN-Partys sollen Barrieren abbauen. Computerspiele sind längst fester Bestandteil der Jugendkultur, aber für Eltern eine erzieherische Herausforderung. Eine Auseinandersetzung damit erfordert viel Zeit, Engagement und Wissen. „Wir wollen Eltern befähigen, ihren Erziehungsauftrag zu bewältigen“, sagt Götz.

Test verringert Berührungsängste

Das Eltern-LAN vermittelt Einblicke in die Computerspielwelt. Das Ausprobieren zweier Spiele soll Berührungsängste abbauen. Die Teilnehmer sind bunt gemischt. Sie eint der Wunsch, ihren Nachwuchs besser verstehen zu können. „Bei meinem elfjährigen Sohn ist Zocken das ganz große Thema“, sagt eine Mutter. Sie sei ständig als Medienpolizei gefordert, habe im Prinzip aber keinen blassen Schimmer, worum es geht: „Ich will ein Gefühl dafür bekommen, was gut ist und was schlecht.“ „Fortnite“, den Renner unter den Computerspielen thematisieren die Medienpädagogen ausführlich. „Dabei spielen 100 Leute online gegeneinander und es geht darum, wer am längsten überlebt“, erklärt Clemenz. Im Juni 2018 gab es weltweit 100 Millionen Spieler, die die kostenlose Basisversion nutzten. Ausprobieren dürfen die Teilnehmer das Autorennen „Trackmania Nations Forever“. Der Jüngste stellt gleich eine Bestzeit auf, die keiner mehr schlagen wird. Für die meisten ist schon die erste Kurve eine Herausforderung. Ganz zu schweigen vom Looping kurz vor dem Ziel. Mitten im Spiel drehen die Medienpädagogen den PCs den Saft ab: „Damit ihr mal wisst, wie es ist, wenn man unbedingt jetzt sofort zum Abendessen kommen soll“, erklärt Götz grinsend und schaut in enttäuschte Gesichter. Den Experten geht es nicht darum, Eltern von Computerspielen zu überzeugen. Man dürfe sehr wohl dagegen sein, sagt Götz. Aber er rät: „Lieber thematisieren, als pauschal verbieten. Wenn ich das verbiete, bin ich der Letzte, zu dem das Kind kommt, wenn was schiefgelaufen ist.“ Mit Tipps zum Zeitbudget tun sie sich schwer. „Das ist ähnlich wie beim Taschengeld“, meint Clemenz, „Es muss für die Familie passen.“ Er empfiehlt ein wöchentliches Budget: „Wenn die Kids dann am Wochenende exzessiv zocken wollen, müssen sie unter der Woche sparen.“

Regeln müsse es geben und ihre Nichteinhaltung müsse Konsequenzen haben. Die Experten machen keine Angaben, wann es zuviel wird. „Ein Indikator kann sein, wenn alle anderen Hobbys wegfallen“, sagt Clemenz. Wichtig sei es, zu akzeptieren, dass Computerspiele Teil der Jugendkultur sind. „Die Spiele sind interaktiv. Ich schaue nicht nur zu, meine Handlungen haben eine Wirkung“, sagt Götz. Ein gut gemeistertes Spiel erzeuge Erfolgserlebnisse, mit anderen zu spielen und die Spiele unter Freunden zu thematisieren, schaffe auch soziale Erlebnisse. Eltern raten die Experten, auf die Altersfreigabe der Spiele (USK) zu achten. Problematisch werde es bei Online-Spielen, bei denen nur ein Nutzungsrecht erworben wird. „Diese Spiele werden nur von einem PC-Algorithmus geprüft, da sollte man also ganz genau hinschauen“, meint Clemenz.