Bauingenieur Andras Bewer ist Experte für die Sanierung historischer Einsenbahnbrücken. Foto: Dietrich - Dietrich

In Neuhausen haben Experten für Eisenbahnbrücken getagt. Ihr Ziel: die Wahrzeichen der Region erhalten. Der Einladung folgten Fachleute bis aus Dresden und der Schweiz.

NeuhausenAls bei Aachen eine alte Bahnstrecke reaktiviert werden sollte, stellte sich die Frage, ob das 145 Meter lange Falkenbachviadukt, über das die Gleise verlaufen, noch trägt. Die Planer entdeckten die Ingenieurin Gabriele Patitz, die den Zustand von alten Brücken und Viadukten mit Hilfe von Bauradar untersucht. Sie ist die Vorstandsvorsitzende des Vereins „Erhalten historischer Bauwerke“, der zur Fachtagung zum Thema „historische Eisenbahnbrücken“ nach Neuhausen in den Ochsensaal eingeladen hatte. Mitorganisator war Bauingenieur Andreas Bewer aus Neuhausen. Der Einladung folgten Experten bis aus Dresden und der Schweiz.

Man könne beim Bauen viel falsch machen und nur wenig richtig, sagte Bürgermeister Ingo Hacker bei der Eröffnung. „Historische Eisenbahnbrücken sind nicht selten Wahrzeichen einer Region, von hoher Ästhetik und Symbole für großartige Ingenieursleistungen.“ Der Fachkongress sei ein wichtiger Baustein, um Wissen zu vernetzen sowie Politik, Geldgeber und Entscheider einzubinden. Hacker ist im Gemeindetag Baden-Württemberg Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr, Bauen und Digitalisierung, im Deutschen Städte- und Gemeindebund Vorsitzender des Ausschusses Wirtschaft, Tourismus und Verkehr und Mitglied im Beirat Baukultur des Landes.

Alte Substanz erhalten

Gabriele Patitz bat ihren Kollegen Andreas Bewer beim Falkenbachviadukt um Unterstützung. „Mehrlagiges Mauerwerk? Das lernen die heutigen Brückenbauer im Studium nicht mehr“, sagt Bewer. Er fand eine weltweit wohl einmalige Software von zwei englischen Professoren, die zur Berechnung von Brücken dient. Ohne die Berechnungen schien es, als ob beim Falkenbachviadukt alle Hohlräume mit einer Zementsuspension verfüllt werden müssten. „Das hätte 300 000 bis 500 000 Euro gekostet.“ Die Berechnung ergab, dass auf jegliche Verstärkung verzichtet werden kann. „Neu verfugen reicht, die Brücke ist geeignet. Nun kann der Betreiber nach Zuschüssen suchen.“ Das Ziel sei, so viel wie möglich von der alten Substanz zu erhalten, sagt Bewer. Das diene dem Denkmalschutz und der Sparsamkeit gleichermaßen.

Die Steine seien sehr fest, der Mörtel nicht, ermittelt die Materialprüfungsanstalt Neuwied beim Falkensteinviadukt. Die Stirnwände waren im Verbund gemauert, das Laibungsmauerwerk jedoch nicht. Liegen im Bogen mehrere Ringe unverzahnt übereinander, besteht die Gefahr, dass sie sich irgendwann trennen. Das Risiko dieser Ringseparation lässt sich mit der englischen Software berechnen. Zugute kam dem Viadukt, dass die Belastung beim nun nur noch eingleisigen Betrieb geringer ist als ursprünglich berechnet. Die neue Fahrbahnwanne musste aber so breit sein, dass sie auch an den Stirnseiten aufliegt.

In der Folge hat Bewer auch für das Regierungspräsidium Stuttgart Straßenbrücken untersucht. Darunter war „die erste Bogenbrücke, die das RP seit dem Krieg untersucht hat.“ Weil das Personal in den Straßenbauämtern reduziert worden sei, kämen sie nicht mehr nach. Was nach dem Zweiten Weltkrieg in den 50er- und 60er-Jahren neu erbaut wurde, gehe jetzt gleichzeitig kaputt. „Das ist ein Schweinezyklus.“ Immerhin: „Heute wird viel mehr dokumentiert, das ist ein Fortschritt“, sagt der Fachmann. Dank der Digitalisierung hätten es die Nachfahren später einmal leichter.

Solide bauen, erspart Reparaturen

Berthold Alsheimer aus Herrieden gab einen Einblick in die Baugeschichte von Eisenbahnbrücken. Zunächst wurden die bekannten Materialien Stein und Holz verwendet. Schon 1851/52 legten die Eisenbahnen im Königreich Hannover fest, dass Brücken „solide und dauerhaft“ sein sollten, denn Reparaturen seien sehr störend. Als Vorgaben für die Maße wurde auf bewährte Bauwerke zurückgegriffen, die auch nach Jahren noch standen, aus deren Abmessungen wurden Mittelwerte errechnet.

Bei der Eisenbahnbrücke über die Traun bei Traunstein, sie ist aus Nagelfluh erbaut, waren die Bauleute ebenfalls einfallsreich: Sie bauten zuerst die Brücke über dem Trockenen und verlegten anschließend die Traun untendurch. Über die aufwendige Sanierung dieser Brücke berichtete Erik Meichsner von Marx Krontal Partner aus Hannover und Weimar. Ein Mammutprojekt in vier Bauabschnitten war die Sanierung der Steinernen Brücke Regensburg, die der Professor und Ingenieur Ralph Egermann aus Karlsruhe vorstellte. „Früher fuhr eine Straßenbahn darüber“, sagte Egermann. Heute ist die Brücke Fußgängern und Radfahrern vorbehalten.

Falsche Anreize

„Privatbahnen haben eher Interesse am Erhalt, sie bekommen für die Sanierung Zuschüsse“, sagt Bauingenieur Andreas Bewer aus Neuhausen. Bei der Deutschen Bahn sei das nicht der Fall. „Die fahren auf Verschleiß.“ Für den Erhalt ihrer Gleise, Brücken und Tunnels muss die Bahn selbst aufkommen, einen Neubau aber der Bund bezahlen. So legt es die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) zwischen Bahn und Bund fest. Aus Sicht des Unternehmens sei das Verhalten der Bahn verständlich, räumt Bewer ein, aber nicht sinnvoll. Irgendwann sei eine Brücke nur noch sehr teuer oder gar nicht mehr zu sanieren. Dringe Wasser ein, komme es zu Frostsprengungen. Auch Rost kann die Tragfähigkeit einer Brücke verringern.

Der Grundgedanke der LuFV klingt positiv: Die Bahn bekommt vom Bund nicht die Mittel für einzelne Sanierungen, sondern eine Gesamtsumme. Dafür hält sie ihr Netz instand. Sie hat sich verpflichtet, von 2015 bis Ende 2019 insgesamt 875 Brücken ganz oder teilweise zu erneuern. Ein Jahr vor Ablauf hatte sie gerade mal 363 geschafft, berichtete Kay Scheller, Präsident des Bundesrechnungshofs, im Dezember 2018. Außerdem habe die Bahn vor allem kleine, günstiger zu sanierende Brücken ausgewählt. Verfehlt sie das Ziel, droht der Bahn eine Strafzahlung von nur 15 Millionen Euro. Selbst wenn sie das Ziel erreicht, bleibt noch viel zu tun: Es gibt in Deutschland rund 25 000 Bahnbrücken, fast die Hälfte ist mehr als 80 Jahre alt.