Dieses Jahr haben sich mehr Jugendliche für eine Ausbildung im Handwerk entschieden. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Sabrina Erben

Stuttgart - Es ist schon erstaunlich. Da gibt es einen US-Präsidenten, der sich offen für Protektionismus ausspricht, schwere politische Verstimmungen mit der Türkei und obendrein haben sich die Briten im vergangenen Jahr entschlossen, die EU zu verlassen. Und was machen die Betriebe in der Region Stuttgart? Sie zeigen sich davon unbeeindruckt. „Die Stimmung ist auf einem Rekordhoch“, sagt gestern Marjoke Breuning, die neue Präsidentin der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart. Dies zeige die aktuelle Konjunkturumfrage der Kammer unter 914 Betrieben. „Die weltweit recht stabile Konjunktur und die starke Nachfrage aus dem In- und Ausland stimmen die hiesigen Betriebe optimistisch.“ Die regionale Wirtschaft baue darauf, dass sich die globalen Risiken nicht negativ auswirken.

Mehr als 56 Prozent der befragten Unternehmen bewerten ihre aktuelle Lage gut, 40 Prozent befriedigend, vier Prozent beklagen eine schlechte Situation. Auch die Aussichten der Unternehmen auf die kommenden zwölf Monate sind überwiegend positiv: Rund ein Drittel der Betriebe erwartet bessere Geschäfte, 56 Prozent gehen von einer gleichbleibenden Entwicklung aus. Nur zehn Prozent befürchten eine Verschlechterung. Dasselbe gilt auch für das Handwerk. „Drei Viertel der Handwerker waren im dritten Quartal mit ihrer Situation zufrieden“, sagt Rainer Reichhold, Präsident der Handwerkskammer Region Stuttgart. Treiber der Handwerkskonjunktur sind die Bau-und Ausbaugewerke. „Das sind auch die Berufe mit den größten Fachkräftesorgen.“ Drei Viertel der suchenden Betriebe gaben an, trotz starker Bemühungen kein geeignetes Personal zu finden. Mehr als die Hälfte der Unternehmen nennt den Fachkräftemangel als Geschäftsrisiko . „Deshalb muss die berufliche Bildung nicht nur verbal, sondern auch de facto aufgewertet werden - unter anderem durch eine bessere Ausstattung und Finanzierung von Berufsschulen“, sagt Reichhold. Ein Lichtblick: 3827 junge Menschen haben sich für das Handwerk entschieden und starteten am 1.September ihre Ausbildung, 7,3 Prozent mehr als im vergangenen Jahr.

Der Wunschzettel der Kammern an die künftige Regierung in Berlin ist lang. „Die Unternehmen in der Kernregion des Südwestens haben ihre Hausaufgaben gemacht und stehen gut da“, sagt Breuning. „Damit das so bleibt, müssen in Berlin die Weichen richtig gestellt werden.“ Vor allem bei den Themen Fachkräftesicherung, Digitalisierung, Infrastruktur und Steuern erwarten die Kammern Initiativen von Seiten des Bundes.

Mehr Coaching-Angebote

Angesichts des sich weiter verschärfenden Fachkräftemangels sollten Maßnahmen ergriffen werden, die Ältere zum Weiterarbeiten qualifizieren und motivieren. Frühverrentungsangebote seien kontraproduktiv, so Breuning.

Das regionale Handwerk fürchtet höhere Abgaben: Es dürfe keine zusätzlichen Belastungen geben, nur weil die Konjunktur so gut laufe. „Die neue Regierung muss die Reform der sozialen Sicherungssysteme endlich angehen, damit der Gesamtsozialversicherungsbeitrag 40 Prozent des Bruttolohns nicht übersteigt“, so Reichhold. In vielen Handwerksbetrieben sei die Schmerzgrenze der Belastungen bereits erreicht. „Wir erwarten Entlastung von Abgaben und Bürokratie und die Förderung von Innovationen vor allem in kleinen und mittelgroßen Betrieben“, sagt Breuning. Das könne zum Beispiel durch die steuerliche Förderung von Ausgaben für Forschung und Entwicklung gelingen. Bei der Digitalisierung von Geschäftsmodellen und in der Aus- und Weiterbildung bräuchten die kleineren Unternehmen Unterstützung. Ganz oben auf der Wunschliste steht auch der Glasfaser-und Mobilfunkausbau mit Bandbreiten im Gigabit-Bereich. Das Handwerk sieht die Gefahr, dass kleine Betriebe bei der digitalen Transformation den Anschluss verlieren. Es brauche mehr Coaching-Angebote.