Dieses Foto entstand nach dem Krieg in Sielmingen. Es zeigt aber, wie der Viehhandel vonstattenging. Der Begriff „Viehjude“ wurde im Übrigen nach dem Krieg auch für die nichtjüdischen Händler verwendet Foto: Eugen Höhe - Eugen Höhe

Eines Tages waren die jüdischen Händler vom Sielminger Viehmarkt verschwunden. Welche Stellung sie im ländlichen Raum, auch in Esslingen, hatten und was die Nazis ihnen antaten, hat Eberhard Kögel erforscht.

Beuren Am 1. Dezember 1941 verlässt morgens um 3 Uhr ein langer Personenzug den Stuttgarter Nordbahnhof. Mit 1000 Personen, darunter auch Berthold Oppenheimer aus Esslingen mit seiner Frau Martha und dem elfjährigen Sohn Martin, fährt er in Richtung Osten. Oppenheimer ist der bekannteste Viehjude Esslingens. Seine Familie handelte über Jahrzehnte mit den Bauern der Umgebung. Unter dem Titel „Oifach nemme komma“ sprach der Autor und Heimatforscher Eberhard Kögel im Freilichtmuseum Beuren über das Verschwinden der jüdischen Viehhändler während der Nazi-Herrschaft. Das Museum zeigt derzeit die Ausstellung „Jüdisches Leben im ländlichen Württemberg“.

2006 hat der Autor aus Stetten im Remstal in der Broschüre „Habt Ihr schon geteilt?“ über das Schicksal der jüdischen Viehhändler geschrieben. Seither ist er an dem Thema drangeblieben und hält Vorträge, und zwar auf Schwäbisch. „Oifach nemme komma“, das war ein Satz, der in der Nachkriegszeit oft zu hören war, wenn über das Dritte Reich geredet wurde, und über das, was die Menschen angeblich nicht wussten.

Handel mit „Batsch“

Gemeint waren jüdische Mitbürger, zum Beispiel die Viehhändler, die sich seit etwa 1850 in Esslingen, Waiblingen, Winnenden und anderen Städten niedergelassen hatten. Die Tiere kauften die Händler auf den großen Viehmärkten im schwäbischen Oberland auf, um sie dann in Esslingen, auf den Viehmärkten in Sielmingen und Winnenden oder direkt auf den Dörfern zu verkaufen. Meist verkauften sie trächtige Jungkühe. Der Handel wurde mit einem „Batsch“, also per Handschlag abgeschlossen.

Berthold Oppenheimers Gebiet deckte das Neckartal, die Filder, Schanbach, Aichelberg sowie Stetten und Strümpfelbach ab. Deshalb erfuhr der 1953 geborene Eberhard Kögel von seinem Großvater auch vom „Esslinger Viehjuden“, der immer zu seiner Familie nach Hause gekommen ist. Der Großvater hatte, wie viele Familien auf dem Land, als Nebenerwerb und zur Selbstversorgung noch zwei Kühe im Stall.

Die Viehjuden pflegten ihre Beziehungen zu den Bauern, berichtet Kögel, als Informationsquelle waren sie auf den Dörfer gefragt. 1935 listete die NSDAP in ihrem Wegweiser „Deutscher – kaufe nicht beim Juden“ auch die Viehjuden der Region auf. Die Bauern, haben sich anfangs aber nicht an das Verbot gehalten, wie Kögel aus Gestapoberichten herausgefunden hat. 1941 forderten die württembergische Staatsregierung schließlich die Juden im Großraum Stuttgart auf, sich mit den notwendigsten Habseligkeiten in die Sammellager auf dem Killesberg zu begeben. Der Deportationszug brachte die Familie Oppenheimer in ein KZ in der Nähe von Riga, wo sie ermordet wurden. Vor ihrem Haus in der Esslinger Neckarstraße 85 erinnern seit einigen Jahren „Stolpersteine“ an die früheren Mitbürger.

Spionagemärchen und Desinteresse

Neben den Oppenheimers lebten in Esslingen die Händlerfamilien Lindauer und Lauchheimer; in Cannstatt und Winnenden kannte man die Brüder Alfred und Jakob Kaufmann. Den Verbleib von Alfred Kaufmann hat Eberhard Kögel aufwendig recherchiert. Heraus kam eine seltsame Geschichte. In einem Feldpostbrief der NSDAP Winnenden wird geschildert, wie der Soldat Gerhard Fritz an der Ostfront den Viehjuden Kaufmann erkennt, als dieser aus einem gegnerischen Panzer herauskriecht – als russischer Kommissar. Ein Beleg für das „Unwesen“ des Juden. Kögel hat den Neffen des Viehhändlers in den USA ausfindig gemacht, der über den Leidensweg von Alfred Kaufmann sowie dessen Frau und Tochter Bescheid wusste. 1939 reiste die Familie aus, kam aber nur bis Frankreich, wo sie 1941 festgenommen wurde, ins Durchgangslager Drancy kam und schließlich am 2. September 1942 nach Auschwitz deportiert wurde.

Bei seinen Recherchen, so erzählt Kögel, hätten seine Gesprächspartner zwar Mitgefühl für ihre jüdischen Mitbürger empfunden, aber immer scharf zwischen „uns“ und „denen“ unterschieden. Als Deutsche seien sie nie wahrgenommen worden und nach dem Krieg habe sich kaum jemand nach dem Verschwinden der Nachbarn und Geschäftspartner erkundigt.