Deniz Lechner ist die Nachfolgerin von Beatrice Vermeij-Böhm. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Deniz Lechner ist die neue Leiterin des Projekts „eins plus b“, das Hilfestellungen für Eltern aller Nationalitäten mit Kindern bis zehn Jahren bietet. Lechner lebt seit 1993 in Deutschland und kennt die Probleme.

OstfildernDass es nicht einfach ist, in ein fremdes Land zu ziehen, das weiß Deniz Lechner aus eigener Erfahrung. Die neue Leiterin des Projekts „eins plus b“ kam vor 25 Jahren aus der Türkei nach Deutschland. Sie musste nicht nur sprachliche Barrieren überwinden, sondern machte auch Erfahrungen mit Stereotypen. Ihr Wissen gibt sie heute an Betroffene weiter: „Eins plus b“ gibt Eltern aller Nationalitäten mit Kindern bis zu zehn Jahren Hilfestellungen zu den Themen Mehrsprachigkeit und Bildung. Das 2014 gestartete Projekt lebt von der Zusammenarbeit mit 15 aktiven Elternbegleitern, städtischen Einrichtungen, Schulen und Kindergärten sowie weiteren Kooperationspartnern der Stadt Ostfildern. „Wir wollen Brücken bauen zwischen den Familien und Institutionen“, fasst Lechner die Aufgabe des Projekts zusammen. Es bietet unter anderem Elterntreffs, ermöglicht muttersprachliche Begleitung zu Elternabenden oder Elterngesprächen, bietet Kommunikationskurse, und Infoveranstaltungen über Kindergarten, Schule, Sprachförderung und Mehrsprachigkeit an. Seit dem 1. April hat die 50-Jährige die Leitung übernommen und ist damit die Nachfolgerin von Beatrice Vermeij-Böhm. Schon seit der Gründung ist Lechner an dem Projekt beteiligt.

Wichtige Stützen des Projekts sind die sogenannten Elternbegleiterinnen. „Anfangs waren es gerade einmal sieben“, erinnert sich Lechner. „Heute sind es 15, die aktiv dabei sind.“ Sie kommen wie die betroffenen Eltern und Kinder aus unterschiedlichen Nationen, sie agieren als Dolmetscher und geben ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiter. „Es ist nicht nur wichtig, dass die Begleiterinnen dieselbe Sprache sprechen können, sondern auch, dass sie die kulturellen Hintergründe der Familien kennen.“ Vor allem in der Anfangszeit sei es für die neu zugezogenen Eltern und Kinder schwierig, ihre Emotionen in deutscher Sprache auszudrücken. Auch deshalb brauche es Elternbegleiter: um sich auszutauschen und jemanden zu haben, der ihnen zuhört.

Als Lechner 1993 aus der Türkei nach Deutschland kam, gab es noch keine Elternbegleiter . Auch für sie war es kein Kinderspiel, die deutsche Sprache zu lernen. Sie studierte Biologie in Ankara, als sie ihren jetzigen Ehemann bei der deutsch-türkischen Jugendbegegnung des Stadtjugendrings Stuttgart kennenlernte. Drei Jahre später heirateten sie und Lechner zog zu ihrem Mann nach Wernau, wo sie noch heute leben. Sie haben zwei Kinder. „Ich habe jede Menge Deutschkurse belegt“, erzählt Lechner. Sie schaffte es auf Leistungsstufe C1, und wollte unbedingt weitermachen, „doch es kamen keine Kurse mehr zustande, da es zu wenig Teilnehmer gegeben hatte, die auch weiter machen wollten.“

Lechner vermutet, dass der Frontalunterricht einer der Gründe war. „Für viele Frauen mit geringer Bildung ist es schwierig, die eigene Muttersprache gut zu beherrschen. Da ist es noch schwerer, eine Fremdsprache zu sprechen“, sagt sie. Deshalb gründete sie nach ihrer Tätigkeit als Kinderbetreuerin in der Teckschule Wernau, „LOS e.V.“ (Lernen, offen sein und sprechen). Das Projekt hat Hilfestellung für Migrantinnen geboten – ohne Frontalunterricht. „Die Frauen haben die deutsche Sprache satzweise gelernt und lernten, wie man zum Beispiel Bankgeschäfte abwickelt“, erklärt Lechner. Nach acht Jahren lief das Projekt aus. „Viele der Frauen fühlten sich gut vorbereitet. Ich bin sehr glücklich darüber, dass sie es geschafft haben.“

Bei LOS lag das Augenmerk vor allem auf den Müttern. „Eins plus b“ richtet sich hingegen an Eltern und ihre Kinder. „Das Ziel des Projekts ist das Wohl des Kindes, und wenn man das erreichen will, muss man mit den Eltern und Institutionen arbeiten“, so Lechner. Denn die Bildungschancen der Kinder hingen noch stark von den Eltern ab. Für einen besseren Austausch untereinander, gibt es Eltern-Kind-Treffs, die Lechner leitet. „Es ist toll, wenn man eine gute sprachliche Leistungsstufe erreicht hat, man muss die Sprache aber auch umsetzen können. Und das kann man bei unseren Elterntreffs. Da braucht man sich nicht zu schämen, wenn man mal einen Fehler macht und man kann all seine Fragen stellen.“

Austausch gegen Stereotype

Sich auszutauschen, kann auch Stereotype beseitigen, weiß Lechner, die zwei Kinder hat. „Als ich die anderen Mütter im Kindergarten kennenlernte, wurde ich anfangs in die Schublade ‚türkische Frau’ gesteckt und man hat mich die meiste Zeit ignoriert. Als die anderen Eltern wussten, dass ich studiert habe, kam ich in die nächst höhere Schublade. Erst als ich mit den Eltern näher in Kontakt kam, wurde klar, dass ich nicht anders bin als andere Frauen.“ Auch dass sie seit 15 Jahren irischen Stepptanz tanzt, sei für viele sehr ungewöhnlich gewesen. Doch mit dem Begriff „moderne Türkin“, wie sie oft bezeichnet wurde, könne sie sich nicht anfreunden: „Es gibt keine modernen Menschen. Jeder bringt etwas aus seiner eigenen Kultur mit, und das ist gut so.“

Lechner ist mit der Entwicklung von „eins plus b“ sehr zufrieden. Aktuell werden zehn neue Elternbegleiterinnen ausgebildet. Unter ihnen sind Mütter, die sich damals selbst bei „eins plus b“ Hilfe geholt hatten. Das sieht Lechner als großen Erfolg. Die Frauen bekommen Schulungen und Fortbildungen. Lechner absolvierte vor ein paar Jahren eine Fortbildung zur Krisenbegleiterin bei der Lebenshilfe, um suizidgefährdeten Migranten zu helfen. „Damit ,eins plus b’ so erfolgreich bleibt, brauchen wir weitere Elternbegleiter, vor allem mit den Muttersprachen türkisch, bulgarisch, ungarisch, polnisch, italienisch oder griechisch.“ Man müsse zudem die deutsche Sprache sprechen können und anderen gerne helfen wollen – mehr brauche es dafür nicht.

Das Büro befindet sich im Treffpunkt Parksiedlung, Telefon: 0711 305 395 96, E-Mail: einsplusb@ostfildern.de.