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Wer heute nach Plochingen kommt, sieht den Kirchberg, das Hundertwasserhaus, die Bahn und den Hafen. Dabei hat der Weinbau 1200 Jahre lang das Leben dort geprägt. Eine Spurensuche mit Gerti Münker.

PlochingenDer Halsschmuck ist rot, die Leinentracht schmuck und der Spaziergang noch nicht einmal eine halbe Minute alt: Stadtführerin Gerti Münker zieht ein paar kleine Gläschen und eine Flasche Hansenwein aus ihrem Rotkäppchenkorb und begrüßt die Gäste ihrer Wengertertour durch das historische Plochingen mit knapp 100 Milliliter Trollinger aus dem Weinberg in der Nothalde. Schließlich muss man ja wissen, wovon die Rede ist. Aber man muss auch noch mitbekommen, was gesagt wird.

Die Teilnehmerinnen des von der Plochingeninfo organisierten Rundgangs – an diesem Tag alles Damen – erfahren in den kommenden 100 Minuten, dass Plochingen auf eine 1200 Jahre alte Weinbautradition zurückblicken kann, die allerdings schon Anfang des 19. Jahrhunderts zurückging. Die beginnende Industriealisierung in der Mitte des 19. Jahrhunderts, der falsche Mehltau und die Unbilden der Witterung brachten sie vollends zum Erliegen. 1929 wurde die Kelterrechnung endgültig eingestellt, das war das Aus für den gewerbsmäßigen Weinbau in Plochingen. Umfassten die Rebflächen Anfang des 19. Jahrhunderts noch 90 Hektar, ist es dem 1983 gegründete Verein zur Förderung des historischen Weinbaus in Plochingen zu verdanken, dass es heute wieder 1,1 Hektar sind, die er hegt und pflegt.

In der Stadt am Neckarknie findet man demzufolge auch nur noch vereinzelte Spuren eines Handwerks, von dem einst jeder zweite Plochinger gelebt hat. Wer scharf hinschaut, entdeckt solche Hinweise zum Beispiel auf dem Marktbrunnen. Unter dem Fischmann namens Neckar und der Fischfrau namens Fils tummeln sich Protagonisten und Sinnbilder aus der Plochinger Geschichts- und Sagenwelt. Dazwischen hat sein Erschaffer, der Strümpfelbacher Künstler Karl Ulrich Nuss, immer wieder Trauben, Trauben und nochmal Trauben platziert. Gerti Münker verrät, warum der Plochinger Rebensaft den Namen „Hansenwein“ trägt: Vom 15. bis 16. Jahrhundert hatten die Kirchenbücher die männlichen Einwohner nur mit dem Vornamen registriert. Und jeder zweites Plochinger Mannsbild hieß entweder Hannß oder Hannes. Deshalb holten die Weinhändler der Region ihren Rebensaft bei den „Plochinger Hansen“. In einem Zimmer des prächtigen Grafschen Hauses neben dem Alten Rathaus besichtigt die Gruppe alte Fotos, Butten und andere Requisiten aus dem Weinbau. Der große Weinkeller darunter wurde in der jüngeren Vergangenheit noch für Veranstaltungen genutzt, ist heute dafür aber zu baufällig. Das Haus selbst mit seinen reich verzierten Fachwerkbalken des bekannten Zimmermeisters Hans Peltin und dem beeindruckenden Renaissanceportal von Michael Krell war nie ein niedriges, geducktes, ärmliches Wengerterhaus. Es wurde vielmehr 1604 vom Schultheiß Hieronimus Buntz als Wohnhaus gebaut.

Ein Mönch aus Franken soll die Weinreben einst auf den Plochinger Kirchberg gebracht haben, sagt Gerti Münker. Der Weinbau prägte seit dem 8. Jahrhundert das Erwerbsleben der Plochinger – bis die Eisenbahn und die Fabriken mit ihren sicheren, witterungsunabhängigen Arbeitsplätzen kamen. Münker erzählt mehr über den historischen Weinbauverein, der die brachliegende Tradition 1983 wieder ins Leben gerufen hat und dem sie auch selbst angehört. Seine Mitglieder bewirtschaften heute ehrenamtlich den Hang in der Nothalde zwischen Plochingen und Altbach, auf dem Dornfelder-, Trollinger- und Rieslingtrauben wachsen. Besonders stolz ist man aber auf eine bestimmte Veltliner-Traube, die es sonst nur in Österreich gibt. Der Wein wird nur an die Mitglieder ausgegeben, er kommt nicht in den freien Verkauf.

Die Gruppe macht einen kleinen Abstecher zu einem ehemaligen Wengerterhaus aus dem Baujahr 1799, in dem heute eine Besenwirtschaft untergebracht ist, dann geht es nach Westen und dann immer bergauf. In der Wiesbrunnenstraße steht noch eines von ursprünglich drei Weinbergtürmchen. Vor rund hundert Jahren war das 1559 erbaute Kleinod noch von Weinbergen umgeben, von hier aus bewachte der Wengertschütz in der Lesezeit die Trauben. Eine enge Angelegenheit, aber „eine große Ehre für denjenigen, der dazu bestimmt wurde“, erzählt Münker.

Auf dem Rückweg macht sie auf etliche Innenstadt-Häuser mit Wengertervergangenheit aufmerksam. Manche präsentieren sich in einem wilden Stilmix aus den vergangenen Jahrzehnten. Münker führt ihre Gäste aber auch in besonders schön sanierte Ecken ihrer Stadt. Sodass ihnen am Ende der Tour beim Standbild des Heiligen Urban, dem Schutzpatron der Winzer, nicht nur der Rebensaft einst und heute im Gedächtnis bleibt. Sondern auch das Bild einer sich wandelnden, aber immer lebendigen Kommune.

Der nächste historische Weinrundgang startet am Samstag, 29. September, um 15 Uhr vor der Plochingeninfo in der Marktstraße 36. Dort sollte man sich zuvor auch angemeldet haben.