Gerät das Sparbuch in falsche Hände, kann das Geld verloren gehen. Foto: Jacques - Jacques

Lieselotte Roll hat 1979 für ihren damals zweijährigen Enkel ein Sparbuch angelegt und bis zu ihrem Tod 2006 jedes Jahr kleine Beträge eingezahlt. Von dem Sparbuch erfuhr Enkel Jan Schultheiß aber erst 2015. Da war das Geld schon weg, ein unehrlicher Finder nahm das Sparbuch räumte das Konto leer.

KirchheimEin Sparbuch bietet Ihnen größtmögliche Sicherheit für Ihr Erspartes“. So wirbt die Volksbank auf ihren Internetseiten für eine in Deutschland immer noch sehr populäre Art der Geldanlage. Ein Satz, der Jan Schultheiß wie Hohn vorkommen muss. Denn ein Fremder hat das Sparbuch leer geräumt, das seine Großmutter für ihn anlegte, als er zwei Jahre alt war. Und die Volksbank Kirchheim-Nürtingen habe es nicht verhindert.

Jan Schultheiß, 40 Jahre alt, geboren in Mosbach, ist Stadtplaner und Kunsthistoriker, mit Abschlüssen in Harvard und an der Roosevelt University. Er arbeitet in leitender Funktion in einem Berliner Stadtplanungsbüro. Er sagt, dass es ihm nicht hauptsächlich um die rund 1500 Euro geht, die seine Ötlinger Großmutter zwischen 1979 und 2005 für ihn angespart hat – auch wenn es ihm offenkundig weh tut, dass das Geld, das sie „in mühsamer und liebevoller Sparsamkeit“ gesammelt hat, einem Fremden in die Hände fiel. „Ich will, dass anderen eine solche Erfahrung erspart bleibt“, sagt er. Das Sparbuch ist für ihn ein „antiquiertes und unsicheres Zahlungsmittel“, die Verfahren müssten zum Schutz der Kunden verbessert werden.

Bank lehnt Schlichterspruch ab

1979 legte seine Großmutter Lieselotte Roll im Namen ihres Enkels ein Sparbuch an, auf das sie jahrzehntelang kleine Beträge einzahlte. Im Sommer 2005 starb sie nach kurzer Krankheit, ihr dementer Mann ein halbes Jahr später. „Dass es ein Sparbuch gibt, war uns durch zahlreiche Erwähnungen meiner Großmutter bekannt“, sagt Jan Schultheiß. Über Details habe ihn die Großmutter nicht mehr informieren können. Im Sommer 2006 wurde das Haus der Großeltern aufgelöst. Jan Schultheiß, der erst 2015 aus einem alten Brief von der Existenz des Sparbuchs bei der Volksbank erfuhr, vermutet, dass das Sparbuch bei der Hausauflösung in die falschen Hände geraten ist. Im Sommer 2006 zahlte die Volksbank-Filiale in der Stadtmitte fast das gesamte Guthaben an eine Person aus, die den Angestellten laut Auszahlungsbeleg „persönlich bekannt“ ist: Am 26. Juni werden 500 Euro abgehoben, am 10. Juli noch einmal 1000 Euro. Auf den Auszahlungsbelegen, die der Redaktion vorliegen, steht Schultheiß‘ Name als Inhaber des Sparbuchs. Einen Ausweis oder eine andere Form der Identifikation verlangt die Bank nicht von dem Kunden.

Als Schultheiß 2015 von der Existenz des Sparbuchs erfuhr und Mitarbeiter sowie Vorstand zur Rede stellte, biss er auf Granit. „Die Bank ging auf meine Bitte, mir den Betrag zurückzuzahlen, nicht ein“, sagt Schultheiß. Er rief die Schlichtungsstelle des Bundesverbands für Deutsche Volksbanken und Raiffeisenbanken an. Der neutrale Ombudsmann gab ihm recht: Das Sparguthaben stehe ihm zu, die Bank habe „grob fahrlässig“ gehandelt, weil sie den Betrag ausgezahlt habe, obwohl sich der Verdacht habe aufdrängen müssen, dass derjenige, der das Sparbuch vorlegte, nicht der Kontoinhaber gewesen sei. „Es muss der Eindruck entstehen, dass die Bank sehenden Auges das Guthaben an einen Nichtberechtigten ausgezahlt hat“, sagte der Ombudsmann. Die Volksbank lehnte den Schlichtungsvorschlag ab.

Jan Schultheiß gab nicht auf. Er reichte Klage beim Amtsgericht Nürtingen ein. Sie endete mit einem für ihn unbefriedigenden Vergleich. Statt 1500 Euro plus Zinsen erhielt er 400 Euro von der Volksbank. Er musste 73 Prozent der Kosten des Rechtsstreits bezahlen, die Bank 27 Prozent. Die Vergleichszahlung deckte gerade einmal die Gerichtskosten. Über die Argumentation der Richterin schüttelt Schultheiß den Kopf. Die Bank, so die Richterin, habe zwar möglicherweise eine Verletzung der Nebenpflicht begangen. Die daraus resultierende Wiedergutschrift hänge aber von der Vorlage des Sparbuchs ab, erinnert sich der Enkel. „Dass ich das Sparbuch nicht hatte, war aber doch der Grund für den ganzen Vorfall!“ Obwohl Schultheiß sich weiterhin im Recht sieht, legte er keinen Widerspruch ein, um seiner Familie die emotionale Belastung und die Mühe zu ersparen, nach Kirchheim zu kommen und vor Gericht auszusagen.

„Nicht zur Prüfung verpflichtet“

Die Bank sei nicht verpflichtet, die Berechtigung des Sparbuchvorlegers zu prüfen, sagt Markus Weber, Sprecher der Volksbank Kirchheim-Nürtingen. „Zum Zeitpunkt der fraglichen Auszahlungen lagen keine Sperren oder eine Verlustmeldung vor, die ein Misstrauen hätten erwecken können.“ Nach den Sonderbedingungen für den Sparverkehr habe der Mitarbeiter richtig gehandelt. Eine Auszahlung könne nur verweigert werden, wenn aufgrund von Alter oder Geschlecht offensichtlich sei, dass es sich nicht um den Kontoinhaber handle. Auf die Frage, warum sich die Identität des Geldabhebers nicht überprüfen lasse, wenn auf den Auszahlungsbelegen vermerkt gewesen sei, dass er „persönlich bekannt“ sei, antwortet Weber: „Die beteiligten Mitarbeiter der Volksbank können sich heute nach mehr als zehn Jahren weder an den Auszahlungsvorgang noch an die Identität des Vorlegers erinnern.“

Das Sparbuch sei bei korrekter Aufbewahrung sei ein sicheres Zahlungsmittel, sagt Weber. Bei Verlust solle der Kunde sich dringend bei der Bank melden, den Verlust anzeigen und das Sparbuch sperren lassen. Die Sicherheit habe für die Bank oberste Priorität.