Boris Palmer sprach im Radlerdress zu den Mitgliedern von „SeniorGrün“. Diese hakten immer wieder hartnäckig nach. Foto: Dietrich - Dietrich

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hat in Plochingen mit Mitgliedern von „SeniorGrün“ über Möglichkeiten für einen sozialeren Wohnungsmarkt gesprochen.

PlochingenBoris Palmer, grüner Oberbürgermeister von Tübingen, war mit dem Fahrrad und in Radlerdress nach Plochingen gekommen. Er bedankte sich bei den rund 35 Zuhörern von „SeniorGrün“ für die Einladung ins Waldhorn, zu der er am Mittwochvormittag radeln konnte: „Es hat Spaß gemacht, die Bürozeit wird abends nachgeholt.“ „Wir sind eine diskussionsfreudige Partei, wir wollen nicht nur hören“, sagte Marianne Erdrich-Sommer, Initiatorin von „SeniorGrün“ des Kreisverbands Esslingen. Sie behielt Recht, es folgte eine anderthalbstündige engagierte Diskussion zur Wohnungsnot.

Der gigantische Preisauftrieb bei Kauf und Miete, stieg Palmer ins Thema ein, produziere soziale Verwerfungen, denn die Einkommen zögen nicht mit. Jemand müsse umziehen und finde keine Wohnung, ein anderer könne sich die bestehende Wohnung nicht mehr leisten. „Das betrifft die untere Mittelschicht, also Leute, die jeden Tag schaffen gehen. Ich halte das für brandgefährlich.“ Wenn die Leute den Eindruck hätten, die Politik kümmere sich nicht um sie, treibe sie das in die Arme der AFD. „Es ist menschlich, zuerst die eigenen Grundbedürfnisse stillen und erst dann mit anderen teilen zu wollen.“

Mieterhöhung nur mit Erlaubnis

In fünf Jahren seien in Baden-Württemberg 500 000 Einwohner hinzugekommen, also einmal Stuttgart, das lasse sich ebenso wenig ändern wie die Nullzins-Politik der EZB, die Anleger ins „Betongold“ treibe. Die überhitzte Konjunktur treibe die Preise, man könne aber auch nicht die Handwerker zwingen, billiger zu bauen. Mehr bauen? Das sei nötig, treibe aber zugleich die Preise weiter nach oben.

Deshalb ist für Palmer klar: „Wir brauchen staatliche Markteingriffe.“ Vorbild ist für ihn die Zeit Konrad Adenauers: „Wer die Miete erhöhen wollte, musste das auf dem städtischen Preis- und Sühneamt genehmigen lassen.“ Nun solle das Land den Städten und Gemeinden wieder eine derartige Preisregulierung erlauben. Oft seien hohe Mieten „nur Gewinne in die Taschen der Leute, die es nicht brauchen“. Was heute als Miete erzielt werde, reiche, das könne man mal für fünf Jahre einfrieren.

In Tübingen gebe es 500 Grundstücke mit Baurecht, die sofort bebaut werden könnten. „Dort könnten in einem Jahr 2000 Menschen wohnen.“ Paragraf 176 Baugesetzbuch erlaube den Gemeinden eine Bauverpflichtung. „Ich bin fest entschlossen, das zu machen.“

Die Zuhörer wollten es genau wissen: Wie soll das aussehen? Palmer will alle Eigentümer anschreiben: „Am besten, ihr baut selbst etwas.“ Wer das nicht wolle, könne zum Richtpreis an die Stadt verkaufen, auf Wunsch verbunden mit einem Wiederkaufsrecht bei späterem eigenem Grundstücksbedarf. Wenn jemand aber selbst nicht bauen könne oder wolle und zugleich nicht verkaufen, dann sei eine Enteignung möglich. Palmer erwartet, dass ein derartiges Verfahren vor Gericht ginge, scheut dies aber nicht. Dann müsse abgewogen werden zwischen der Familie ohne Wohnung und dem Recht, ein Grundstück mit Baurecht jahrzehntelang ungenutzt zu lassen.

Wohnung statt Parkplatz

Palmer will möglichst wenig auf der grünen Weise bauen. Tübingen hat in zehn Jahren 8000 neue Einwohner ohne Neubaugebiet untergebracht, hat dazu auch das genutzt, was Palmer als „größte Reserve“ ansieht, und ebenerdige Parkplätze überbaut. Nun entsteht ein Neubauareal auf dem ehemaligen Güterbahnhof. 90 Prozent der Wohnungen müssen deutlich unter dem Mietspiegel vermietet werden. „Da macht auch die CDU mit.“

Ebenfalls eine große politische Mehrheit gab es in Tübingen für die Zweckentfremdungssatzung, der Leerstand von Wohnungen ist dort verboten, es droht ein Bußgeld. „Den Mund fusselig reden, das hilft nichts, du brauchst klare ordnungspolitische Maßnahmen.“

Was ist mit den Bauvorschriften? Ja, es gebe unsinnige Regelungen. Ein Haus für Flüchtlinge konnte wegen einem angeblich lauten Schafstall in der Nähe nicht gebaut werden, bei einem anderen Bau war der Tennisplatz ein Problem. Die viel lautere Straße auf der anderen Seite hingegen nicht, denn die Grenzwerte für Autos sind viel höher als für Freizeitlärm.

„Herr Palmer, machen Sie so weiter, Deutschland braucht Sie“, sagte ein Zuhörer, es gab Applaus. Der Empfang war durchweg warmherzig. Doch Palmer wurde nichts geschenkt. Viele Zuhörer wollten es genau wissen, hakten hartnäckig nach. Palmer hörte zu und gab habhafte Antworten. Sein Zeitbudget reizte er voll aus, erst kurz vor Zugabfahrt um 12.44 Uhr eilte er mit dem Rad zum Bahnhof.