Der „Baustellensport“ kommt gut an. Foto: Roberto Bulgrin - Roberto Bulgrin

In Nellingen liegen die Nerven blank. Grund dafür ist die Baustelle in der Hindenburgstraße. Die Einzelhändler versuchen, mit Baustellenevents die Stimmung zu verbessern.

OstfildernEs herrscht eine nie zuvor gekannte Aufgeregtheit im Ort. Alle schimpfen, alle sind genervt. Grund dafür ist die Großbaustelle, die sich seit Wochen mitten durch Ostfilderns größten Stadtteil Nellingen zieht und vor allem in den Stoßzeiten für massive Störungen sorgt. Jeder kennt die Situation: In der Hindenburgstraße pulsiert das Leben. Nicht nur die Einheimischen machen hier ihre Einkäufe, viele Kunden kommen von auswärts. Diese Geschäftigkeit drückt sich mit täglich 14 000 Fahrzeugen aus. Und eben jene Blechlawine wird nun für 15 Monate – so lange ist die Bauzeit angesetzt – zu großen Teilen umgeleitet.

Um abschätzen zu können, wie diese Großbaustelle das Leben vieler Menschen behindert, empfiehlt es sich, für zehn Minuten das Verkehrsgeschehen an der Kreuzung Hindenburg-/Otto-Schuster-Straße, dem neuralgischen Punkt schlechthin, zu verfolgen. Weil es den meisten zu langsam geht, wird auf Teufel komm raus gehupt und geflucht. Die Geschäftsleute beobachten das mit Sorge. „Natürlich bleiben viele Kunden weg“, sagt Holger Heldmaier, der in der Hindenburgstraße einen Blumenladen betreibt. Zahlen zu seinen Umsatzeinbußen will er nicht nennen. Beschwert habe sich wegen der Umstände bei ihm noch keiner. „Aber die Kunden stimmen halt gerne mit den Füßen ab.“ Dabei sei sein Laden eigentlich noch gut mit dem Auto erreichbar. Aber das Schild, das nur Anliegern die Durchfahrt erlaube, schrecke leider viele Leute ab hereinzufahren, sagt Heldmaier, der auch dem Vorstand des Bundes der Selbstständigen (BdS) angehört.

„Wie ein Spießrutenlauf“

Der Geschäftsmann weiß, dass er und seine Kollegen kritische Zeiten durchstehen müssen, bevor die Hindenburgstraße runderneuert ist und dann hoffentlich für die Kunden wie die Bewohner einladender daherkommt. Deswegen hat sich die Händlergemeinschaft etwas einfallen lassen, um die Leute bei Laune zu halten. „Baustellen-Event“ nennt der BdS seine Aktionen, die jeden dritten Donnerstag im Monat eine aufgelockerte Stimmung und natürlich auch mehr Kundenfrequenz bringen soll. Diesmal lautete das Motto „Baustellensport“. Ein bisschen Bewegung und Dehnung, Lockerungsübungen zwischen den Einkäufen. Dazu gibt es jedes Mal Live-Musik vor dem Cafe Pause und an mehreren Ständen jede Menge Leckereien. Bei den Einkaufenden kommt die Aktion gut an. „Ich finde das toll“, sagt Sigrid Gräber. Die 62-Jährige wohnt in der Hindenburgstraße und macht zusammen mit ihrer Enkelin Koordinationsübungen auf einem Airex Pad. Gar nicht so einfach, was die Physiotherapeutin Marion Winker vormacht. Aber die Aktivpause macht sichtlich Spaß. Gräber hält die Baustelle für eine Zumutung. „Das ist wie ein Spießrutenlauf.“ Deshalb kauft sie, bis sich die Situation wieder beruhigt hat, lieber im nahe gelegenen Scharnhauser Park ein. Sigrid Fiala, die Inhaberin des gleichnamigen Gesundheitszentrums, macht nur gegenteilige Erfahrungen. „Die meisten Kunden reagieren auf die Behinderungen mit Verständnis.“ Um keinen zu verlieren, bietet sie während der Baustellenzeit einen besonderen Service an: Lieferung frei Haus. „Jammern hilft nichts“, findet Fiala. Ganz im Sinne ihrer Kollegin Manuela Schiffner, die in Nellingen ein Reisebüro betreibt. „Wir müssen die schwierige Situation in ein positives Bild rücken.“ Froh ist sie darüber, dass nun offenbar mehr Leute die Tiefgarage an der Halle nutzen. Dort kann man sein Auto eine Stunde lang umsonst parken. Die Kosten teilen sich je zur Hälfte die Stadt und der BdS. Nur müsste bei der Beschilderung der Tiefgarage noch nachgebessert werden. „Das kleine Schild nimmt keiner wahr.“

Grund zur Klage hat Schiffner allerdings nicht. Im Gegenteil. „Wir arbeiten gut mit der Stadt und der SEG zusammen.“ Das sei auch notwendig. „Jeden Tag kann bei so einer Großbaustelle ein neues Problem auftauchen.“ Deswegen komme es darauf an, „dass man an den neuralgischen Punkten schnell reagiert“.

Um Verständnis werben

Reinhardt Kampmann, der Geschäftsführer der städtischen Sanierungs- und Entwicklungsgesellschaft (SEG), weiß um die vielen Probleme und dass bei vielen Anliegern die Nerven blank liegen. Doch er versichert: „Wir nehmen jeden Hinweis ernst.“ Zusammen mit Stadtberater Sven Fries klärt er an einem eigenen Stand die Menschen über die Baustelle auf und wirbt um Verständnis.

An einer zentralen Stelle hat die Stadt mit baulichen Veränderungen viele Gemüter beruhigen können. Nach einem EZ-Bericht, der die Gefahren für Grundschüler in der Kaiser- und der Otto-Schuster-Straße offenlegte, wurde reagiert: Ein provisorischer Fußgängerüberweg wurde angelegt. Und entlang des Gehwegs wurden Baken aufgestellt, damit kein Autofahrer beim Begegnungsverkehr mehr darauf ausweichen kann. Doch nicht überall sei so ein Eingriff möglich, erklärt der SEG-Chef. Nicht alle verkehrsrechtlichen Probleme seien so einfach zu lösen.

„Überall Hindernisse – Menschen mit Rollator haben es besonders schwer“, sagt Karin Eberhardt. Die pensionierte Sonderschullehrerin ist fast komplett erblindet, kommt aber selbst erstaunlich gut voran. Wenigstens sei entlang der Baustelle alles gut abgesichert.