Der Ruiter Bauer Erwin Epple mit Pferdegespann, um 1955. Foto: Stadtarchiv Ostfildern - Stadtarchiv Ostfildern

Eine neue Ausstellung der „Projektgruppe Geschichte vor Ort“ zeigt die „Geschichte der Mobilität in Ostfildern“, die am Dienstagabend eröffnet wurde.

OstfildernMal da, mal dort, nirgends wirklich verwurzelt – der moderne Mensch ist in einer Welt ohne Grenzen ständig unterwegs. Doch war das nicht immer so. In Zeiten des Deutschen Reichs war es besser, auf diese Mobilität zu verzichten. Denn als Bürger hatte man in seiner Kommune ein Heimatrecht und damit eine Garantie für soziale Versorgung. Im Publikum gab es so manch erstaunte Gesichter, als Stadtarchivar Jochen Bender am Dienstagabend auf diesen Aspekt einer sehenswerten Ausstellung bei der VHS in Nellingen aufmerksam machte. Denn auch das gehört zur „Geschichte der Mobilität in Ostfildern“. Auf 24 Tafeln mit etwa 150 Abbildungen nähert sich die Schau dem breit gefächerten Thema auf ganz unterschiedliche Weise.

Der Blick der Ausstellung ist in die Vergangenheit gerichtet. Dennoch mochte Erster Bürgermeister Rainer Lechner bei seiner Einführung die Gegenwart nicht völlig ausblenden. Der Verkehr entwickle sich vielerorts immer mehr zum Problem, stellte er fest. Auch in Ostfildern, wo man gerade dabei ist, den Verkehr in der Hindenburgstraße, Nellingens Haupteinkaufsmeile, besser zu kanalisieren. Lechner dankte der Projektgruppe „Geschichte vor Ort“, der es erneut gelungen sei, ein Stück Heimatgeschichte zu erforschen und verständlich darzustellen. Elf Hobby-Historiker hatten sich zusammen mit Stadtarchivar Bender ein Jahr lang dem Thema gewidmet. Einer davon ist Kurt Maier. Der 87-Jährige aus Kemnat, der lange Zeit Vorsitzender der CDU-Fraktion im Ostfilderner Gemeinderat war, gehört der Projektgruppe seit gut fünf Jahren an. „Die Arbeit macht mir riesigen Spaß“, sagt Maier. Dem früheren Landwirt ist der Teilaspekt „Mobilität mit Wagen und Kutsche“ wie auf den Leib geschnitten. Denn sein Vater war einer der sogenannten Rossbauern, die neben ihrer Landwirtschaft Transportaufgaben übernahmen und oft im Umkreis von zehn Kilometern unterwegs waren. Maiers transportierten vor allem Langholz.

Die seit 1992 bestehende Projektgruppe ging vor allem auch der Frage nach, warum die Menschen früher mobil wurden – oder warum gerade nicht. So wurde erstmals untersucht, wie oft Ehepartner zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert von auswärts kamen. Das Ergebnis: Auf den östlichen Fildern war das bei jeder zweiten Ehe der Fall. Das klingt viel, bedeutete aber zum Beispiel für Scharnhausen nur vier neue Rei’g’schmeckte pro Jahr.

Nach der Industrialisierung des Neckartals marschierten jeden Tag Hunderte von Arbeitern zu Fuß zu den Fabriken. Die Ausstellung gibt auch Antworten darauf, warum Filderbewohner auswanderten, wie die Menschen im Krieg oder bei Flucht und Vertreibung nach 1945 mobil sein mussten oder wie das mit der Mobilität der früheren Gastarbeiter war. Zu ihnen zählt Vito Magagnino, der 1961 mit 17 Jahren aus Apulien (Italien) nach Scharnhausen kam, um dort bessere Lebensverhältnisse zu finden. 1971 heiratete er eine Scharnhausenerin.

Breiten Raum nimmt die Geschichte von Verkehrsmitteln und Verkehrswegen ein. Wer weiß schon, dass man Anfang des 20. Jahrhunderts für die Benutzung eines Fahrrads einen Ausweis brauchte? Die Ausstellung belegt dies mit der Abbildung einer Radfahr-Karte aus Ruit, die aus dem Jahr 1905 stammt. Der Drahtesel musste damals zudem mit einer speziellen „Nummernplatte“ versehen sein. Für den Radverkehr gab es zu diesen Zeiten strenge Regeln. In den ortspolizeilichen Vorschriften von Ruit hieß es: „Mit Fahrrädern darf nur mit der Geschwindigkeit eines mäßig trabenden Pferdes gefahren werden.“ Andernfalls drohte ein halbjähriges Radfahrverbot.

Krafträder bestimmten lange Zeit das Straßenbild. Noch 1950 gab es auf den östlichen Fildern doppelt so viele Krafträder wie Automobile. Erste private Personenkraftwagen sah man rund um Ostfildern in den 1920er-Jahren. Gesteuert wurden diese Vehikel meist von Gewerbetreibenden oder Freiberuflern. Jahr um Jahr schnellte die Zahl der Pkws nach oben. 2018 waren allein in der knapp 40 000 Einwohner zählenden Stadt Ostfildern 22 000 Autos registriert. Dafür musste natürlich auch das Straßennetz erweitert werden. Ein Segen für die Stadt war 1992 die Einweihung der über das Körschtal führenden Umgehungsstraße, auf der heute täglich um die 25 000 Fahrzeuge unterwegs sind.

1926 wurde die END gegründet, die, wie es die Anfangsbuchstaben ausdrücken, Esslingen, Nellingen und Denkendorf mit einer Straßenbahn verband. Drei Jahre später kam eine Stichstrecke über Scharnhausen nach Neuhausen hinzu. Viele würden heute gerne die Zeit zurückdrehen. Doch hatte die END-Straßenbahn 1978 endgültig ausgedient.

Die Ausstellung spart auch ein kritisches Thema nicht aus: die Erinnerung an den geplanten Bau einer zweiten Start- und Landebahn für den Flughafen. Nach massiven Bürgerprotesten wurden die Pläne 2008 auf Eis gelegt.

Die Ausstellung „Geschichte der Mobilität in Ostfildern“ ist bis 26. Juli im oberen Foyer der VHS An der Halle in Nellingen zu sehen.