15 000 Fliesen hat Thomas Rabenau über die Jahre zusammengetragen. Ein Teil davon ist derzeit in Leinfelden-Echterdingen zu sehen. Foto: Bail - Bail

Deutsche Manufakturen hatten einst mit ihren kunstvollen Fliesen auf dem Weltmarkt die Nase vorn. Warum, weiß Sammler Thomas Rabenau. Er stellt seine Stücke derzeit in Leinfelden-Echterdingen aus.

Leinfelden-EchterdingenNormalerweise muss man 700 Kilometer weit fahren, um die glänzenden Schätze von Thomas Rabenau zu sehen. Ein Teil seiner gut 15 000 Exemplare umfassenden Kollektion ist als Dauerausstellung im Ersten Deutschen Fliesenmuseum in Boizenburg an der Elbe untergebracht. Derzeit werden mehr als 40 der ausnehmend schön dekorierten Quadrate im Rahmen der Präsentation „Lieblingsstück“ im Stadtmuseum Leinfelden-Echterdingen gezeigt. Die Platten entstanden in der Blütezeit wohlgestalteter Fliesen zwischen 1870 und 1930 in Deutschland.

So stellt man sich ein Badezimmer in „Tausendundeine Nacht“ vor: Ein himmelblaues orientalisches Muster rankt sich über einen eierschalenfarbenen Grund. Die Fliese wurde von Villeroy & Boch 1880 produziert. Sie ist eine der Augenschmeichler aus frühindustrieller Zeit, die Thomas Rabenau seit 50 Jahren sammelt. Die Kollektion entstand eher zufällig, erzählt der 62 Jahre alte Physiker, der freiberuflich für den Denkmalschutz tätig ist und Restaurierungen von Fliesen im öffentlichen und privaten Bereich organisiert. Schon in jungen Jahren gefielen ihm die bunten Platten. Irgendwann interessierte er sich auch für die Geschichte der Keramikfliesen, deren industrielle Herstellung um 1850 begann.

Ein Sammler braucht natürlich Leidenschaft und vor allem langen Atem. Das zahlt sich aus, wie im Fall von Rabenau. Als Jugendlicher suchte er in Abbruchhäusern in seinem Heimatort Aachen nach alten Fliesen. Übrig waren nur traurige Reste und Bruchstücke besonderer blau-weißer Küchenplatten. Der Hauptteil hatte bereits andere Liebhaber gefunden. Nach 50 Jahren bot ein Aachener Entrümpler im Internet exakt diese seltenen Wandfliesen aus der Steingutfabrik Jacobi Adler aus Neuleiningen an. Der Sammler schlug zu und seine Kollektion war um zehn Platten größer. Bei einer Fliese mit dem Motiv eines Wasserspeiers von 1910 aus einer Darmstädter Manufaktur hatte er einfach Glück. „Jahrzehnte jagte ich ihr hinterher“, verrät Thomas Rabenau. Plötzlich entdeckte er die Platte im Internet. Eine Darmstädter Familie bot sie zum Verkauf an.

Gab es früher noch Funde in Abbruchhäusern, auf dem Sperrmüll oder für ein paar Euro auf Flohmärkten, ist heute das Internet neben Börsen die Hauptquelle. Einmal saß Thomas Rabenau bei einem Onlinekauf einer Fälschung auf – hätte er das Stück in den Händen gehalten, wäre ihm aufgefallen, dass es nur auf alt getrimmt war.

Doch die Sammleraktivitäten hatten bereits zwischen 1980 und 2005 ihren Höhepunkt. Inzwischen fehlt der Nachwuchs. „Die Alten sterben aus. Kinder wollen die Sammlungen nicht übernehmen“, so Rabenau. Was über viele Jahrzehnte privat zusammengetragen wurde, fristet oft ein Schattendasein, wenn sich nicht ein Museum wie in Leinfelden-Echterdingen dafür interessiert.

Um 1850 begann in Deutschland die industrielle Fliesenherstellung. Weltweit wurde die Qualität der Bodenfliesen aus Deutschland geschätzt. „Niemand konnte solche Platten herstellen“, erklärt Rabenau und führt die Erfindung der „Mettlacher Platten“ an. Villeroy & Boch wurde damit berühmt und hatte ein weltweites Monopol. Zwei Jahrzehnte konnte die Firma das Geheimnis des Herstellungsverfahrens hüten. „Manche Böden haben 150 Jahre überlebt. Sie wurden nicht abgelaufen“, so der Sammler.

Bei den Wandfliesen hatten die Engländer bis 1890 die Nase vorn. Für die Weltausstellung 1876 in Philadelphia produzierten die Mettlacher erstmals eine Wandplatte. Orientalismus war hoch im Kurs. Entsprechend ornamental fiel das Muster der Fliesen aus, die sich bei einem Quadratmeterpreis von 36 Reichsmark nur betuchte Menschen leisten konnten. Heute blättert der Sammler 20 bis 25 Euro fürs Stück hin. Ab 1890 wurde das weiß-blaue „Delfter Motiv“ bei der Dekoration von Steingutwandfliesen populär.

Fliesen waren immer Luxusartikel, erst ab 1890 durch verfeinerte industrielle Produktionstechniken auch für den kleinen Geldbeutel erschwinglich. „Die Mettlacher Manufaktur produzierte zu der Zeit 1000 Quadratmeter Bodenplatten pro Tag“, so Rabenau. Jugendstilfliesen kamen um 1895 in Mode. Namhafte Künstler, wie Otto Eckmann, Peter Behrens oder Albin Müller lieferten hochwertige Entwürfe. „Das war die künstlerisch interessanteste Periode.“ Die 20er-Jahre brachten Art-Déco-Motive hervor. Als einzige Keramik-Manufaktur, die es neben vielen Firmen in Deutschland gab, überlebte die 1901 gegründete Majolika Manufaktur in Karlsruhe bis heute.

Die Ausstellung „Lieblingsstück“ ist bis 29. Juli zu sehen.

Die Serie

Man glaubt ja gar nicht, was man alles sammeln kann. Wir haben unsere Leserinnen und Leser aufgerufen, uns von ihrer Sammelleidenschaft zu berichten. Die Resonanz war sehr erfreulich, und so werden wir in loser Folge unter dem Titel „Gesammelte Werke“ einige Menschen und natürlich das vorstellen, was ihre Sammelleidenschaft geweckt hat.