Beackert den Heidengraben seit vielen Jahren: Gerd Stegmaier (Zweiter von links) am Rand des Probeschnitts auf dem Stoppelfeld. Foto: Kerstin Dannath - Kerstin Dannath

Der zwischen Erkenbrechtsweiler, Grabenstetten und Hülben gelegene Heidengraben ist ein Dorado für die Archäologen der Uni Tübingen und des Landesamts für Denkmalpflege. Bei einer Lehrgrabung der Uni hat eine EZ-Reporterin eifrig gebuddelt und dabei jede Menge über Archäologie gelernt.

Kreis EsslingenLangsam drücke ich meine Maurerkelle in die feuchte, lehmige Erde. Ein bisschen hebeln, dann kann ich einen Brocken Erde abheben. Darunter – Überraschung – ein weiterer Stein, der akribisch freigelegt werden will. „Vorsicht, der geht zu tief ins Profil. Lass den lieber mal in Ruhe. Und nicht mit der Kelle in die Erde stechen, eher so ein bisschen vorsichtig zur Seite scherren“, warnt Max Braun. Er studiert im fünften Semester am Institut für Ur-, Vor- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters der Universität Tübingen, ist dort Wissenschaftliche Hilfskraft und auf „meiner“ Ausgrabung verantwortlich, dass alles passt. Das übrige Grabungsteam besteht aus aus den Tübinger Studentinnen Ria Frey und Mirjana Rapp, Ola Lindgren, der gerade sein Archäologie-Studium in Schweden abgeschlossen hat, und der Freiwilligen Andrea Burk aus dem Aichtal.

„Meine“ Ausgrabung ist allerdings weder in Mykene noch am Fuße der Cheopspyramide in Gizeh – ich sitze zusammengekauert südlich von Grabenstetten auf der Schwäbischen Alb bei 16 Grad auf einer Erhebung im Buchenwald am Rand eines neun Quadratmeter großen Probeschnittes. Für die Laien unter uns: Probeschnitte sind planmäßige Eingriffe in den Boden denkmalverdächtiger Stellen zur Klärung der Verhältnisse. Die Fundstelle im Wald ist Teil der diesjährigen Lehrgrabung am Heidengraben zwischen Erkenbrechtsweiler, Grabenstetten und Hülben auf der Schwäbischen Alb unter der Ägide der Universität Tübingen und des Landesamtes für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart. Zwei weitere Teams sind an anderen Stellen unterwegs.

Eins noch vorneweg: Archäologen unterscheiden zwischen Fund und Befund. Ein Befund bezeichnet die aufgefundene Situation, also zum Beispiel ein Grab mit allen Knochen und Beigaben. Ein Fund ist ein einzelnes Objekt, also eine Scherbe, eine Münze oder ein Knochen. Wichtigstes Handwerkszeug des Archäologen sind Maurerkelle, Spaten, Schaufel und Eimer. Einen Dresscode gibt es nicht - die meisten tragen bequeme Wanderhosen, Funktionsoberteile und – ganz wichtig – festes Schuhwerk, meist knöchelhohe Sicherheitsschuhe. Je nach Wetterlage ist auch eine Kopfdeckung nicht verkehrt oder eben eine Regenjacke.

Die Stelle im Buchenwald ist seit 2014 bekannt – eine Spaziergängerin hatte auf dem Hügel direkt an der Oberfläche Keramikscherben gesehen und ihren Fund im Landesamt für Denkmalpflege gemeldet. „Es ist sehr ungewöhnlich, dass man frühkeltische Scherben direkt an der Oberfläche findet“, sagt Gerd Stegmaier, der von Seiten der Uni Tübingen für die Lehrgrabung verantwortlich ist.

Die Fundstelle liegt zwar außerhalb des Heidengrabens, ist aber für Stegmaier eine wichtige Ergänzung der Besiedlungsgeschichte des Heidengrabens. „Solche Befunde sind auch von anderen Stellen auf der Schwäbische Alb bekannt. Es ist aber die erste dieser Art, die wir hier verorten konnten.“ Der Archäologe vermutet dort einen keltischen Opferplatz, der vielleicht Hirten aus dem Lenninger Tal, die ihr Vieh zum Weiden auf die Albhochfläche trieben, zuzuschreiben ist. Von einer Siedlung ist nicht auszugehen – dazu sind die Funde zu sehr auf einen Bereich konzentriert. „Hier wurden Gefäße mit vermutlich organischen Inhalten niedergelegt oder zerschlagen“, erklärt Stegmaier. Bei den ersten Probeschnitten im vergangenen Jahr wurden bereits 16 Quadratmeter freigelegt. Gefunden wurden bei den Arbeiten damals mehr als 3000 Scherben von Keramikgefäßen aus dem 6. Jahrhundert vor Christus – also mehr als 2500 Jahre alt.

Zurück zur Ausgrabung: Jeder des Teams hat einen Quadratmeter zugeteilt bekommen und muss seine Parzelle in Fünf-Zentimeter-Schritten vorsichtig freilegen. Vorsichtig deshalb, weil immer wieder Scherben auftauchen können. Sind alle Parzellen gleichmäßig freigelegt, wird von oben fotografiert. Dann geht es wiederum fünf Zentimeter tiefer – bis der natürlich Felsuntergrund der Alb erreicht ist.

„Es hört sich anders an, wenn die Kelle auf eine Scherbe trifft als auf einen der Steine“, gibt mir Mirjana einen Tipp. Steine gibt es auf der Alb bekanntlich in rauen Mengen – die größeren fliegen auf einen Haufen, die kleineren wandern mit der Erde in den Eimer. Die Arbeit ist mühselig, nach einer Stunde fängt der Rücken an zu zwacken. Plötzlich glitzert was in der feuchten Erde – allerdings nur ein kleiner Regenwurm, der ob meiner Bemühungen nicht sonderlich erbaut ist. Vorsichtig bringe ich das Tier in Sicherheit. Weiter im Programm. „Diese Krümel da musst du noch wegmachen“, sagt Max, „Das muss alles sauber sein.“ Na prima, ich recke mich, bemüht an der Grabungskante meiner Parzelle keine Erdlawine auszulösen, und kehre mit einem Malerpinsel die Dreckkrümel von einem der Steine auf eine Kehrschaufel. Die anderen finden praktisch im Minutentakt Scherben, bei mir bislang Fehlanzeige. Wenn die Scherben größer als ein Fingernagel sind wird der Fundort innerhalb der Parzelle per Tachymeter dokumentiert. Dann wird der Fund eingetütet – neben jeder Parzelle liegt dafür eine beschriftete Plastiktüte. Kurz vor der Mittagspause mache ich endlich den ersten Fund: Langsam schält sich ein größeres, braunes Stück aus der Erde. Vorsichtig kratze ich mit dem Finger den Dreck etwas ab, darunter schimmert es rötlich und zerbröckeln tut es auch nicht. Die rund 3 mal 2,5 Zentimeter große Scherbe wird per Tachymeter erfasst und wandert in die Tüte. Nach vier Stunden habe ich sieben Scherben eingetütet.

„Für das, dass dort bislang so viele Scherben gefunden worden sind, ist das ein bisschen mager“, grinst Stegmaier später, als ich mich bei der anderen Grabungsstelle auf einem Stoppelfeld einfinde. Dort ist Eile angesagt – der Landwirt will sein Feld bald wieder bestellen. Stegmaier selbst beackert den Heidengraben schon seit vielen Jahren und ist nach wie vor von dem Gelände fasziniert. Bis zum Ende der diesjährigen Grabungskampagne sollen insgesamt fünf Stellen genauer untersucht werden. „Das sind alles viele kleine Mosaiksteine, die die Lücken in der Besiedlungsgeschichte ab der Jungsteinzeit füllen sollen“, erklärt er. Das große Ganze zielt auf einen mehrjährig angelegten Forschungsantrag ab. Erste Pläne hierfür hat die Uni Tübingen in der Schublade. Doch der Weg, bis Gelder bewilligt werden, ist steinig. „Am Heidengraben herrschen ganz besondere Bedingungen. Man muss erst seine gesamte Besiedlungsgeschichte verstehen, um den Heidengraben verstehen zu können“, sagt Stegmaier. Immerhin – mit dem bisherigen Verlauf der Grabungskampagne 2019 ist er zufrieden, die Ergebnisse werden im Herbst der Öffentlichkeit präsentiert. Gegraben wird bis zum 6. September.

Der Heidengraben

Der rund 1700 Hektar große Heidengraben war ein im 2./1. Jahrhundert vor Christus genutztes keltisches Oppidum, das auf der Vorderen Alb auf den Gemarkungen von Grabenstetten, Erkenbrechtsweiler und Hülben lag. Die Besiedlungsspuren reichen aber viel weiter bis in die Bronzezeit zurück. Im Sommer 2020 soll dort ein Kelten-Erlebnis-Pfad mit acht interaktiven Stationen eröffnet werden. Er gehört mit dem geplanten Besucherzentrum am Burrenhof zum Pilotprojekt der landesweiten Konzeption „Baden-Württemberg und seine Kelten“.