Das „Scharfe Eck“ der Kirchheimer Straße wurde 1962 beseitigt. Das Bauernhaus steht kurz vor dem Abriss, die Bäckerei dahinter fehlt bereits. Quelle: Unbekannt

Von Roland Kurz

Wernau liegt am Neckar und an der Kirchheimer Straße. So nimmt der Durchreisende die 12 500 Einwohner zählende Stadt wahr, zu der tatsächlich aber große Wohngebiete in den Hanglagen gehören. Die Kircheimer Straße hat in den vergangenen 100 Jahren etliche Wandlungen erfahren. Genau genommen war der größte Schnitt vor 109 Jahren. Bis 1908 führte nämlich die Ortsdurchfahrt des Dorfes Steinbach - die Stadt Wernau gab es damals noch gar nicht - durch die Hauptstraße. An der alten Magnuskirche zog sich die Ortsdurchfahrt leicht den Hang hoch und mündete im damaligen Oberdorf von Steinbach in die Kirchheimer Straße ein. 1908 wurde dann die Ortsdurchfahrt verlegt, sie führte nun am Bodenbach entlang, also fast auf der heutigen Trasse. Das führte jedoch zu zwei neuen verkehrstechnischen Engpässen. Zum einen die Kurve um die Magnuskirche herum, zum anderen entstand das „Scharfe Eck“ an der Kreuzung Kirchheimer Straße mit Haupt- und Wilhelmstraße.

Heinz Ehrle (81) ist in einem Bauernhaus an dieser Kreuzung aufgewachsen. Er erinnert sich gut daran, wie in den 50er-Jahren Autos und Motorräder rasant ums Eck gekurvt sind. Weil Lastwagen immer wieder das Dach des Bauernhauses Vogel rasierten, wurde dort ein mächtiger Betonpoller gesetzt. Begegneten sich zwei Lkw, mussten sich die Fahrer einigen, wer zurücksetzt. Der 81-jährige Heinz Ehrle, der sich in der Wernauer Geschichtsstube engagiert, erinnert sich noch an eine für ihn äußerst peinliche Situation am Eck. Er stand barfuß auf der Miste, als sich ein Omnibus und ein Lkw begegneten. Der Bus war voll besetzt mit Mädchen. Bis die Gefährte aneinander vorbei waren, hatten die Mädchen viel Zeit, um dem 14-jährigen Heinz zuzuschauen, wie er den Mistwagen belud.

Die Miste gibt es längst nicht mehr. Um das „Scharfe Eck“ zu begradigen, wurden 1962 das Café und die Bäckerei Denzel abgebrochen sowie der Bauernhof Vogel. Auf der andern Seite, in der Nähe des heutigen Stadtplatzes, musste St. Magnus weichen. Die Kirche wurde nach hinten versetzt neu gebaut.

Der Verlauf der Kirchheimer Straße ist in den vergangenen 55 Jahren unverändert geblieben, die Optik nicht. In den 90er-Jahren wurde der Abschnitt zwischen Stadtplatz und Quadrium saniert, 2006 vom Quadrium bis zur Brücke. Bürgermeister Armin Elbl findet die Neugestaltung gelungen und hofft, möglichst bald den Abschnitt von der Magnuskirche in Richtung Kirchheim sanieren zu können. Auch er soll nicht mehr ausschließlich nach den Bedürfnissen der Autofahrer ausgerichtet sein, sondern so, dass sich auch Fußgänger wohlfühlen - „damit sie gern unter einem Baum stehen bleiben und ein Schwätzle halten“, so stellt sich Elbl das künftige Straßenbild vor. Klar sei aber, dass auch die Landesstraße in Zukunft funktionieren müsse. Darauf lege das Regierungspräsidium wert. 15 000 bis 20 000 Fahrzeuge muss die Ortsdurchfahrt täglich verkraften. Vor der Straßengestaltung muss aber das Thema Postgebäude zu einem guten Abschluss gebracht werden. Bis auf ein Haus besitzt die Stadt schon die notwendigen Gebäude. Wenn man, hoffentlich im Jahr 2019, mit dem Ersatzbau für das Post-Hochhaus begonnen habe, so Elbl, dann könne die Stadt beim Land die Erhöhung der Fördergelder beantragen, um der hinteren Kirchheimer Straße ein neues Gesicht zu geben.

Serie Vorher - Nachher

Erinnern Sie sich noch, wie es früher vor Ihrer Haustür aussah? Wahrscheinlich nicht - man gewöhnt sich so schnell an das Neue. Deswegen stellt die EZ in loser Folge alte und aktuelle Fotos nebeneinander, von zentralen Orten im Kreis Esslingen, die sich stark verändert haben.