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Wie muss es den Juden während des Zweiten Weltkrieges ergangen sein? Schüler des Abendgymnasiums gingen nach Auschwitz und berichten über ihre wohl eindrücklichste Studienreise.

EsslingenDas Wahlfach Literatur der Abendgymnasien Esslingen und Stuttgart ist im September vergangenen Jahres nach Polen gereist. Über ihre Erfahrungen bei dieser fünftägigen Studienfahrt zu den Vernichtungslagern Auschwitz und Auschwitz-Birkenau berichteten Schülerinnen und Schüler nun an einem sehr gut besuchten „Abend gegen Antisemitismus“. Unter dem Titel „Die Saat des Hasses“ hatten sie in die Aula des Georgii-Gymnasiums als besonderen Gast Michael Blume, den baden-württembergischen Beauftragten gegen Antisemitismus, eingeladen.

Für Petra Schneider, die mit ihrem Lehrerkollegen Dieter Weiß die Fahrt geplant und organisiert hat, „war das eine der eindrücklichsten Reisen, die ich in meinem Leben gemacht habe. Sie liegt wie ein bedrückender Schatten über mir.“ Sechs der 17 Schüler schilderten bei der Veranstaltung ihre Eindrücke: Obwohl sie sich im Unterricht bereits vorher sehr ausführlich mit dem Thema auseinandergesetzt hatte, war es Schülerin Doris vor dieser Reise nicht möglich, „das Ausmaß dieser Zerstörung von Menschen durch Menschen zu erfassen. Denn Minderheiten nicht zu mögen oder zu hassen, ist das Eine. Millionen dieser Menschen zusammenzutreiben, zu töten oder sie zu Tode zu quälen, das ist unvorstellbar und nicht zu begreifen.“ Für Johanna war es wichtig, „zu versuchen, wenigstens einen Funken der Gefühle der Deportierten nachzuempfinden, damit ich genau das weitertragen kann, damit so etwas nie wieder geschieht.“ Auch Christian hat vor der Reise die Wucht des Themas nicht in vollem Maße begreifen können: „Deshalb musste ich diese Stätte des Grauens mit eigenen Augen sehen.“ Besonders erschüttert hat ihn, „dass die Juden immer nur ‚Opfer‘ waren. Und plötzlich erhalten sie Namen und Gesicht und sind Menschen wie du und ich.“

Acron erläuterte, warum sich der Hass seit vielen Jahrhunderten immer wieder ausgerechnet gegen Menschen jüdischen Glaubens gerichtet hat. Gegen Menschen, die fremd aussahen, eine andere Religion hatten, denen es in Deutschland verboten war, Land zu besitzen oder ein Handwerk auszuüben „und die sich deshalb auf den Geldhandel spezialisierten“. Nina war besonders fasziniert vom 97-jährigen Zeitzeugen Karol Tendera, den die Schülergruppe in Polen kennenlernen durfte: „Er wurde als 18-Jähriger gefangen genommen und war fünf Jahre in Haft. Es hat mich tief beeindruckt, dass er uns Deutsche nicht hasst. Seine Lebensfreude und seinen Witz erleben zu dürfen, ist eine Bereicherung für mein Leben.“ Wie alle Schüler auf dem Podium fürchtet auch Navid, dass sich die Geschichte wiederholen könnte: „Wenn man sieht, wie viel Rassismus es auch heute im Alltag gibt, ist es wichtig, dass wir uns erinnern. Aber es ist auch wichtig, dass wir uns in der Gegenwart für Toleranz und gegen Vorurteile einsetzen.“

Mit regem Interesse wurde die Rede von Michael Blume erwartet. Der promovierte Religionswissenschaftler, der mit seinem Team unter großem Einsatz 1100 besonders schutzbedürftige Frauen und Kinder aus dem Nordirak rettete und der im März 2018 das Amt des Landes-Beauftragten gegen Antisemitismus übernahm, stellte klar: „Antisemitismus ist nicht irgendein Verschwörungsglauben, sondern er bedroht die Grundlagen jeder friedlichen, freiheitlichen und rechtsstaatlichen Ordnung.“

Blume will für aktuelle und historische Formen des Antisemitismus sensibilisieren: „Der Antisemitismus zerstört die Gesellschaft und das Vertrauen. Der Hass wird nie satt.“ Er führte vor Augen, wie seit der Erfindung des Buchdrucks das Aufkommen neuer Medien immer wieder die bestehende Ordnung erschüttert habe. Heute, nützten Trolle, Rassisten und Antisemiten das Internet, um zu hetzen, bewusst Fake News in die Welt zu setzen und Verschwörungsmythen zu verbreiten. Er erzählte aus der Bibel von Noahs Sohn Sem, nach dem die Semiten benannt sind, der als erster Schriftgelehrter gilt und die allererste Schule gegründet hat. Und er schlug den Bogen zu den Gedanken der Schüler, dass Bildung und Aufklärung wichtig sind, um sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die inklusive Band „Human Aliens“ der Stuttgarter Nikolauspflege, in der blinde, sehbehinderte und sehende Musiker gemeinsame Sache machen, brachte die Veranstaltung auf den Punkt, als sie „Eine Sprache“ des Stuttgarter Deutsch-Pop-Duos „Parallel“ sang: „Wir sprechen eine Sprache, auch wenn es anders klingt. Denn wir sind alle gleich. Und sind wir auch Milliarden, wir sind eins.“