Vor großem Publikum: OB Bolay (rechts) begrüßt Ministerpräsident Kretschmann in Nellingen. Foto: Roberto Bulgrin - Roberto Bulgrin

Die Grünen im Kreis Esslingen hatten Ministerpräsident Kretschmann zu ihrem Neujahrsempfang in Ostfildern eingeladen. Beim Klimaschutz müsse Baden-Württemberg Musterländle sein, sagte Kretschmann vor 400 Gästen.

OstfildernMahnend, kraftvoll und mitreißend – so erlebten die Grünen im Kreisverband Esslingen ihren „Winfried“ beim Neujahrsempfang in Nellingen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hielt vor rund 400 Besuchern im Theater An der Halle ein leidenschaftliches Plädoyer für einen Klimaschutz ohne faule Kompromisse. „Das ist unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit“, sagte der 71-Jährige. Als zweite zentrale Aufgabe nannte Kretschmann den Strukturwandel in der Automobilindustrie, den die Politik entschlossen begleiten müsse. Mit seinen Gedanken und nicht zuletzt mit seinem Appell zu mehr Zivilcourage bei der Verteidigung demokratischer Werte stieß der Ur-Grüne auf großen Zuspruch, bei seinen Parteifreunden genauso wie bei Politikern anderer Couleur. „Sehr identisch und sehr bürgernah“ empfand beispielsweise Werner Schmidt, SPD-Fraktionschef im Ostfilderner Gemeinderat, den Landesvater. „Er hat genau den Puls der Zeit getroffen.“

Ostfilderns OB Christof Bolay (SPD) zeigte sich beeindruckt von der großen Zuhörerzahl. Neben den großen Themen Wohnen, Bildung und Integration nannte er den Klimaschutz als zentrale Herausforderung. Sorge hat Bolay vor allem um das soziale Klima. Denn die Gesellschaft drifte immer weiter auseinander. Als Herausforderung sieht der OB den zunehmenden Populismus. Oft werde heute nur noch nach einfachen und schnellen Lösungen gefragt, anstatt den Dingen auf den Grund zu gehen. Viel Applaus erhielt er für seinen Appell: „Freiheit braucht Unterstützer und Verteidiger, überall.“

Als Moderatorin riss Stephanie Reinhold, Mitglied des Kreisvorstands, im Gespräch mit den lokalen Abgeordneten die Themen an, die Bündnis 90/Die Grünen besonders am Herzen liegen. Andreas Schwarz, Sprecher der Landtagsfraktion, den Kretschmann für seine Arbeit außerordentlich lobte, ist stolz darauf, dass es gelungen sei, im aktuellen Doppelhaushalt nochmals 600 Millionen Euro für den Klimaschutz draufzusatteln. Der Landkreis Esslingen profitiere davon unter anderem durch das in der Papierfabrik Scheufelen angesiedelte Laubholzinstitut. Als wesentliches Element des Klimaschutzkonzepts bezeichnete Schwarz die Solarbauverpflichtung. Künftig solle auf jedem Neubau obligatorisch eine Photovoltaikanlage errichtet werden. Zuversichtlich ist er, dass es gelingen werde, auch den öffentlichen Nahverkehr entscheidend auszubauen.

Sie sei „von Herzen gerne Volksvertreterin“, sagte Andrea Lindlohr, wirtschaftspolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion. Ihr Plädoyer: „Wir müssen so wirtschaften, dass es das Klima auch verträgt.“ Dass sich viele Menschen angesichts der umwälzenden Veränderungen sorgten, sei verständlich. „Aber wir können nicht stehen bleiben.“ Unbedingt dranbleiben will Lindlohr an der Verlängerung der Stadtbahn-Linie U7 von Nellingen nach Esslingen. Der Bund wolle die Formel für die Berechnung der Wirtschaftlichkeit verändern. So wüchsen die Chancen für das „wunderbare Projekt, das die Menschen hier brauchen.“

Für einen rascheren Kohleausstieg und mehr Investitionen in erneuerbare Energien will sich Bundestagsabgeordneter Matthias Gastel stark machen. Heilfroh ist der darüber, dass es nun doch gelingen ist, das vom Bund beschlossene Klimapaket nachzubessern, denn die anfangs beschlossenen 10 Euro für eine Tonne CO2 seien ein schlechter Witz gewesen. Ebenfalls nicht nachgeben will Gastel bei der Nachbesserung des umstrittenen Projekts Stuttgart 21. „Wir brauchen dringend mehr Kapazitäten.“

Eine Stunde musste Ministerpräsident Kretschmann auf seinen Auftritt warten. Doch der hatte es in sich, denn er sezierte die zuvor schon genannten Probleme noch pointierter und schärfer. Er sei froh darüber, „dass uns die Jungen Beine machen“, sagte er zur Bewegung Fridays for future. „Auch wenn selbst wir Grünen uns von denen harte Kritik gefallen lassen müssen.“ Baden-Württemberg als wirtschaftsstarkes Bundesland sei in einer besonderen Verantwortung. „Auf uns schaut man“, sagte Kretschmann. „Wir müssen unser Modell von Wirtschaften so gestalten, dass es kopierbar für andere ist.“ Beispielhaft sei der von der Landesregierung ins Leben gerufene Strategiedialog, mit dem man den Transformationsprozess aktiv angehen wolle. Wichtigste Aufgabe für dieses Jahr sei, „dass wir die Energiewende wieder vom Kopf auf die Beine stellen“. Dass mittlerweile mehr als 30 000 Arbeitsplätze in der deutschen Energiewirtschaft weggefallen sind, sei „verantwortungslos von morgens bis in die Nacht“.

Nicht alle fanden sich in der Rede wieder. Frauen aus dem Arbeitskreis Asyl beklagten sich, dass der Ministerpräsident kein Wort über das Thema Integration von Flüchtlingen verloren habe. Der war sich nicht zu schade, nochmals auf die Bühne zu treten und um Nachsicht zu bitten. Aber auch da vertrete er eine klare Haltung: „Es kommt nicht auf die Herkunft eines Menschen an, sondern darauf, wo er hin möchte.“

Mehr Informationen

Seit Januar 2018 können Fachkrankenhäuser die stationsäquivalente psychiatrische Behandlung (StäB) anbieten. Das Klinikum Esslingen ist mit diesem Konzept im November 2019 gestartet – in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, die Betroffene aus dem gesamten Landkreis betreut.

Diese Form ist, laut Gesetz, gleichgesetzt mit der vollstationären Behandlung. Die Anmeldung erfolgt aber immer in der Station. Eine vorherige Diagnose der Klinikärzte ist Voraussetzung.

Das multiprofessionelle Team besteht aus Ärzten, dem Pflege- und Erziehungsdienst, Psychologen und Spezialtherapeuten für Kunst, Musik oder Bewegung.