Die Reisegruppe des Blogs Politically Incorrect schaut hier auf die Klagemauer. Hinter diesem bedeutenden Heiligtum der Juden steht die al-Aqsa-Moschee. Während des Besuchs sagt ein Teilnehmer, er wolle auch diesen wegbomben, wie Marco Maurer in seinem Artikel für das Magazin Neon schreibt. Foto: Maurer/Stern - Maurer/Stern

Der Journalist Marco Maurer ist mit dem rechtsorientierten Blog PI-News
inkognito nach Israel gereist und sagt: „Das war eher eine Rolle als eine Lüge.“
Die Aussicht auf eine aufklärende Story hat die verdeckte Recherche gerechtfertigt.
Die Gegenseite reagiert mit Lügenpresse-Vorwürfen auf ihre Entlarvung.

Von Fabian Schmidt München/Tel Aviv – Marco Maurer hat sehr gut gemogelt. Der Münchner Journalist verpasste sich im Auftrag des Magazins Neon eine neue Identität und begleitete undercover eine Leserreise des Blogs Politically Incorrect nach Israel. PI-News, das nach eigenen Angaben etwa 100.000 Leser täglich hat, gilt als einflussreichstes rechtes Blog in Deutschland, und der 37-Jährige wollte wissen, wer die neuen Rechten sind, was sie wirklich denken und ungefiltert sagen. „Ich wollte die Szene aufdecken, aber hätte ich das als Journalist versucht, wäre die Tür sofort zu gewesen“, sagt Marco Maurer, der deshalb im Dienste der Wahrheit schwindelte.

Er rasierte sich die Haare kurz, kaufte neue Klamotten, die er auf Instagram recherchiert hatte, las in der Szene beliebte Bücher und erfand eine Freundin in Frankfurt. All diese Lügen notierte er sich vorher in einem Heft. Wer sind die Eltern, wo wohnen sie, wo geht er weg in Frankfurt? Diese und weitere Fragen, mit denen er von den anderen Reiseteilnehmern rechnete, schrieb er auf. Wenn er in Israel weitere Aspekte seiner falschen Identität ergänzte, landeten auch diese in dem Heft, das dazu diente, sich im Schwindelgewirr nicht zu verlieren. Um sich im Fake-Wohnort Frankfurt besser auszukennen, studierte er einen Reiseführer und befragte Freunde, die dort wohnen. Zur Sicherheit ließ er verlauten, er sei aber erst vor kurzem dorthin gezogen. Wenn sich die Gespräche während der Leserreise zu sehr seiner Identität näherten – immerhin waren zwei Frankfurter dabei – wechselte er charmant das Thema, stellte Gegenfragen oder sagte auch einfach mal: „Ich muss aufs Klo.“ Er ist damit durchgekommen, der Schwindel fiel nicht auf. „Das war aber eher eine Rolle als eine Lüge“, sagt Marco Maurer.

„Zu Fake-Hochform auflaufen“

Ihm und seinen „Neon“-Kollegen war bewusst, dass die „Ausspionierten“ auf diese Art der Recherche mit dem Lügenpresse-Vorwurf reagieren würden. Aber die Hoffnung auf einen gewinnbringenden Recherche-Erfolg hatte diese Sorge übertrumpft. Zumal das investigative Einschleusen in eine Szene als Mittel der Medien schon lange bekannt ist: „Das wird es auch weiterhin geben. Und das ist auch gut so“, sagt Marco Maurer, ergänzt aber: „Man sollte es jedoch nicht allzu oft machen, sonst wird der Lügenpresse-Vorwurf immer größer.“

Als PI-News im Nachgang über den Undercover-Begleiter berichtete, läuft der Artikel nicht nur unter der Kategorie „Lügenpresse“. Das Wort fällt auch in den Kommentaren häufiger, und im Text heißt es: „Da aber alles nichts gegen PI hilft, wird ein zahlender Journalist eingeschmuggelt, der . . . nun natürlich für seine Auftraggeber für seine erheblichen Spesen ,Nazis‘ finden muss. Denn bald ist Bundestagswahl und die Qualitätspresse im Wahrheitsministerium muss langsam zu Fake-Hochform auflaufen.“ Und weiter: „Mit Mühe werden irgendwelche Gesprächsfetzen mit dem ausdrucksverzerrten Gesicht des Betroffenheitsjournalisten zu Nazi-Nähe und ,Holocaustleugner‘ umfabuliert: denn selbstverständlich finden sich typische Nazi-Holocaustleugner auf einer Zionisten-Reise in Israel gerade in Yad Vashem zusammen.“ Es ist ein schreiberischer Kampf um die Wahrheit, und der „Neon“-Journalist hält dagegen: „Wir haben eine Dokumentation, wir haben ein Fact-Checking, und ich habe in dem Text keine Lügen verbreitet.“ Zudem habe er eine eidesstattliche Versicherung unterzeichnet.

Auch viele "gute Seiten"

Gut habe er sich während der Reise dennoch nicht gefühlt. Schließlich hätten viele der Teilnehmer auch „gute Seiten“ gehabt. Vor allem gegenüber einem Gruppenmitglied hat er ein schlechtes Gewissen, weil dieser sehr nett sei und sich nun doppelt verraten vorkommen müsse. Während der Recherche könne man dieses schlechte Gewissen des Lügens ausblenden, allein auf dem Hotelzimmer, wenn er den Tag Revue passieren ließ, fiel das schon schwerer.

Als Journalist geht es Marco Maurer aber vor allem um Aufklärung, um Gewinnung von Informationen und deren Weitergabe an die Leser – und wie man dem Text entnehmen kann, hat er einiges aufgedeckt. Zum Beispiel, dass sich der Thüringer AfD-Abgeordnete Jörg Henke von den Aussagen seines Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke („völkisch“, „1000 Jahre Deutschland“) nur offiziell distanziert. „Mir, dem vermeintlich Gleichgesinnten, antwortet er, natürlich denke er genauso wie Höcke. Das dürfe man aber den Medien nicht erzählen“, schreibt Marco Maurer in seiner Reportage. „In einem Interview würde er das nicht autorisieren. Wenn ich Journalist gewesen wäre, hätte er seine Aussage verschleiert. Insofern ist sie so ehrlicher gewesen“, sagt der Redakteur aus München.
Tarnen ist derweil nicht nur für ihn wichtig gewesen, Lügen sind nämlich Teil des Alltags vieler Reiseteilnehmer. Um ihr Doppelleben aufrecht zu erhalten, besorgen sie sich beispielsweise ausländische Sim-Karten, um im Netz hetzen und ihre Behauptungen verbreiten zu können. Diese Ansichten der anderen ertrug Marco Maurer auf der Leserreise. Dabei musste er sich gewissermaßen auch selbst belügen, weil er seine Einstellung nicht kundtun konnte. Weil er „offensichtliche Dummheiten und politische Lügen“, wie er sagt, privat gerne kontert, hätte er sich den Auftrag schwieriger vorgestellt. Als manch Teilnehmer allerdings die Zahl der jüdischen Todesopfer während des Holocausts anzweifelt, bröckelt seine Fassade ein wenig. In solchen Momenten helfen Mittagspausen oder andere Rückzugsmöglichkeiten, „wieder ich sein zu können“.

"Das ist Bullshit"

Wird dieses Ich empfänglich auch für krude Ansichten, wenn man tagelang in einer Szene unterwegs ist? „Ja, das stimmt. Es ist auch ein bisschen Brainwash. Wenn immer wieder das Gleiche vermittel wird, denkst du anders darüber nach. Aber wenn du dann nochmal in Ruhe grübelst, merkst du dennoch: Das ist Bullshit.“

Bullshit war es auch, dass seine Tarnung irgendwann entlarvt wurde. Marco Maurer kontrollierte täglich die Zugriffe auf seine Webseite, und als vom Hotel der Reisegruppe aus die URL angepeilt wurde, schoss der Puls nach oben. „Ich war dann hochgradig wach und habe jede Handlung der Teilnehmer ausgeleuchtet.“ Er blieb noch ein wenig. Als sich aber andeutete, dass auch einem Gruppenmitglied mit Klappmesser die Mogelei auffallen könnte, verschwand der Journalist: „Ich habe die Teilnehmer gewissermaßen verraten, und wenn dieser eine das erfahren hätte, hätte er schon unklug reagieren können.“

Nach der Veröffentlichung erreichten den Journalisten Drohungen („Mails, die du nicht gerne liest“), außerdem sind die an ihn adressierten Spam-Mails zahlenmäßig angestiegen. „Etwas Unsicherheit ist immer dabei, aber ich lebe nicht sorgenvoller“, sagt Marco Maurer dennoch. Die Geschichte habe die rechte Szene zwar vor den Kopf gestoßen, aber der Artikel sei irgendwann dann auch einmal vergessen. Unterm Strich gilt: Er würde für eine investigative Recherche wieder mogeln, wenn kein anderer Weg möglich ist.

Fabian Schmidt . . . kann die Geschichte des Kollegen Marco Maurer nur empfehlen. Zudem hält er das Tarnen für ein wichtiges journalistisches Mittel..