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Andere Länder, andere Sitten. Das gilt auch für Weihnachten. Bei den einen geht es um Geschenke, bei den anderen um Familie. In Esslingen treffen die unterschiedlichen Kulturen aufeinander.

EsslingenMehr als zwei Milliarden Christen werden dieses Jahr weltweit Weihnachten feiern. Doch werden dafür nicht überall Tannenbäume aufgestellt oder Geschenke vom Christkind gebracht. Zwischen den Kulturen gibt es zahlreiche Unterschiede, was auch der enormen Verbreitung der größten Weltreligion geschuldet ist. Böse Zungen behaupten, dass das Weihnachtsfest vielerorts nicht mehr viel mit der Geburt Jesu Christi zu tun habe, auf dem nordamerikanischen Kontinent etwa sei das Fest mehr eines der klingelnden Kassen als eines der klingenden Glocken. Woanders wird wiederum noch strikt die alte Tradition zelebriert. In Esslingen sind Menschen mit verschiedensten kulturellen Hintergründen zu Hause. Einige haben der EZ ihre Weihnachtsgepflogenheiten mitgeteilt, um einen Durchblick zu verschaffen im Dickicht der internationalen Weihnachtsbräuche.

Gäste im Hause Drexler erleben ein besonderes Weihnachtsfest: Ella Drexler-Wierzbowska ist gebürtige Polin und bringt ihre Traditionen aus der Heimat auf den Esslinger Weihnachtstisch. „In Polen gibt es an Weihnachten immer zwölf verschiedene Speisen“, erklärt sie, „jedes der Gerichte repräsentiert einen Jünger oder einen Monat des Jahres, die Interpretationen sind da verschieden“. Die meisten Zutaten für diese Gerichte stammen aus der Erde, sind also ganz zeitgemäß vegan. Außer dem Fisch, der natürlich nicht fehlen dürfe. Sie selbst nimmt es mit der Tradition allerdings nicht ganz so genau, sagt Drexler-Wierzbowska. Denn während sie an Weihnachten durchaus mit dem Kochen von traditionellen Gerichten wie Pilzsuppe, gebratenem Kraut und Forelle mit Kartoffeln beschäftigt ist, werden nicht exakt zwölf Gerichte serviert.

Auch andere Bräuche handhabt Drexler-Wierzbowska nicht so strikt: etwa das Heu, das traditionell unter die Tischdecke gelegt wird, damit das Christkind für eine gute Ernte im nächsten Jahr sorgt. Das Christkind legt mittlerweile übrigens auch in Polen seine Geschenke unter den Baum, ursprünglich war das anders: Bei Drexler-Wierzbowskas Großmutter wurde das ganze Haus noch mit selbstgebastelten Figuren aus Tannenzweigen geschmückt, mit dem Essen durfte erst begonnen werden, wenn der erste Stern am Himmel erschienen war.

Der katholische Glaube ist in Polen bis heute sehr stark, was sich auch beim Weihnachtsfest der Drexlers niederschlägt: Jedes Jahr sendet die Familie aus Warschau Oblaten. Die süße Nascherei entspricht katholischem Brauch, passend zum Fest der Liebe wird sie für alle Gäste in der Mitte des Tisches angerichtet, um Verbundenheit zu symbolisieren. Dazu passt auch der Brauch, immer ein Gedeck für einen möglichen weiteren Gast aufzutragen, den Drexler-Wierzbowska bis heute pflegt. Bei den Drexlers wird Weihnachten also in traditionell polnischer Manier gefeiert, deutsche Einflüsse gibt es keine. „Mein Mann hat aus seiner Familie keine Bräuche mitgebracht. Die Leute müssen dann eben die polnische Weihnacht genießen, was sie auch meistens tun“, sagt Drexler-Wierzbowska lachend.

Traditionen wie den weihnachtlichen Verzicht auf Fleisch gibt es auch im ebenfalls katholischen Kroatien. Wie Pfarrer Ivan Ivankovic von der kroatischen katholischen Kirchengemeinde in Esslingen erklärt, kommt daher an Weihnachten oft norwegischer Stockfisch auf den Teller. Die kroatischen Weihnachtsbräuche weisen allerdings einige Besonderheiten gegenüber anderen osteuropäischen Ländern auf. Eigentümlich ist bereits die Einteilung der adventlichen Wochen in eine Kinderwoche, eine Väterwoche und eine Mütterwoche. Während dieser Zeit soll das jeweilige Familienmitglied seine Angehörigen mit Nüssen oder Süßigkeiten beschenken, um vergangene Streitigkeiten wiedergutzumachen.

Ähnlich wie in Polen haben einige Bräuche, die sich bis heute halten, ihre Wurzeln in der Landwirtschaft. Demnach pflanzen kroatische Kinder in der Vorweihnachtszeit Weizensamen, die sich bis zum Fest zu Ähren entwickeln, was für eine gute Ernte sorgen soll. Weihnachten wird in Kroatien traditionell auch etwas länger gefeiert als in Deutschland. Am 27. Dezember findet mit dem Tag des Evangelisten St. Johannes die letzte Messe der Weihnachtstage statt, bis zum sechsten Januar ziehen Familien dann noch um die Häuser, um Weihnachtsglückwünsche in musikalischer Form zu überbringen. Weihnachtslieder seien in Kroatien ohnehin ein großer Teil der Festtagskultur, sagt Ivankovic: „In Kroatien vermischen sich die Weihnachtslieder mit alten Volksliedern. Die liturgische Tradition ist sehr groß.“ Das Ende der Festtage ist einerseits traurig, andererseits kann der sechste Januar nicht schnell genug kommen. Denn wenn eine zu Weihnachten entfachte Glut bis zu den Heiligen Drei Königen nicht verloschen ist, bringt das Glück fürs nächste Jahr.

Einen starken Kontrast zum katholisch geprägten Weihnachtsfest in Polen und Kroatien bieten die weltlichen Weihnachtstage in Nordamerika, wie die Kanadierin Sherry Schneider berichtet. Der deutsche Nachname trügt, denn die 18-Jährige lebt erst seit etwa einem Jahr in Deutschland. Hierhergezogen ist sie wegen ihrem Freund Daniel Hoffmann, der über seine tschechische Mutter ebenfalls internationale Wurzeln hat. Momentan besucht Schneider die Volkshochschule in Esslingen, um ihr Deutsch zu verbessern.

„Weihnachten in Nordamerika ist sehr kommerzialisiert“, erklärt sie. „Man wird regelrecht mit Katalogen und Werbung bombardiert. Nach den Festtagen, am 26. Dezember, läuft das Geschäft mit vielen Rabatten und Aktionen auf Hochtouren. Diesen Tag nennt man ‚Boxing Day‘.“ Ursprünglich geht der „Geschenkschachtel-Tag“ auf die traditionelle Geschenkübergabe von Arbeitgebern an ihre Angestellten zurück. Von dieser Tradition ist allerdings nicht mehr viel zu spüren. „Der ‚Boxing Day‘ hat sich mit der zunehmenden Kommerzialisierung mittlerweile zu einer ganzen ‚Boxing Week‘ entwickelt“, berichtet Schneider über die Heimat und lobt im Vergleich die Weihnachtstage in Deutschland.

Doch Kommerz hin oder her, Weihnachten ist auch in Kanada vor allem ein Familienfest. Anders als in Deutschland gibt es am 24. Dezember allerdings weder Geschenke noch ein großes Abendessen. Beides folgt am 25. Dezember: „In der Nacht stellen wir für Santa Claus Milch und Kekse hin, damit er etwas zu essen hat. Während seines Besuchs füllt Santa Claus die Weihnachtssocken der Kinder, die ‚Stockings‘ mit Süßigkeiten. Am nächsten Morgen öffnen die Kinder dann ihre Geschenke unter dem Weihnachtsbaum“, erzählt die 19-Jährige. Abends folge das große Dinner mit der Familie, mit gefülltem Truthahn, Kartoffelpüree, Mais, Wein und Champagner. Glühwein ist für Schneider allerdings eine willkommene Neuheit: „Wir haben in Kanada keine Weihnachtsmärkte. Man darf nämlich draußen gar nicht trinken, sonst erwartet einen eine Anzeige wegen öffentlicher Trunkenheit.“

Mit ihrer neuen interkulturellen Familie wird Schneider die diesjährigen Weihnachtstage allerdings in der Tschechei verbringen. Viele Unterschiede zu deutschen Weihnachtstraditionen fallen ihrem Freund Daniel nicht ein: „Für mich steht an Weihnachten die Familie im Vordergrund. Bräuche sind da nicht so sehr von Bedeutung.“ Die tschechische Oma kocht an Weihnachten Rízek. Das hört sich exotisch an, ist aber nichts anderes als das altbekannte Schnitzel. Schmecken tut es trotzdem, und das ist ja schließlich das Wichtigste.

Der Esslinger Gastronom Salvatore Marrazzo aus Süditalien ist wiederum über die kulinarische Seite der italienischen Weihnacht bestens informiert: Schnitzel wird bei ihm der Tradition halber an Heiligabend nicht auf den Tisch kommen, denn auch in Italien ist es üblich, am 24. Dezember kein Fleisch zu verzehren. An Heiligabend gibt es zu Hause deswegen meistens Fisch, der gebacken, geschmort oder frittiert wird. Häufig fällt die Wahl auf den Aal. Ein beliebter Nachtisch ist der Panettone, eine Mailänder Kuchenspezialität, die zwischen wenigen Zentimetern und einem Meter Größe variiert. Am ersten Weihnachtsfeiertag ist Fleisch dann wieder erlaubt.

Zu Geschmortem vom Rind oder Lamm dürfen die Tombola und Kartenspiele innerhalb der Familie nicht fehlen. Der 26. Dezember ist dann für den Besuch von Freunden vorgesehen. Weihnachten wird bei Marrazzo nicht in Italien gefeiert, denn die ganze Familie ist in Deutschland verwurzelt. Zwar ist Weihnachten in Italien ein wichtiges Fest, jedoch stehen Geschenke anders als in Schneiders Heimat eher im Hintergrund: „Wir Erwachsenen schenken uns gar nichts. Natürlich gibt es für die Kinder etwas, damit sie sich freuen. Oft ist das dann aber etwas Persönliches und nicht eine neue PlayStation.“ Allerdings bemerkt auch er einen Wandel durch das Zusammenwachsen der Welt. An interkulturelle Weihnachtseinflüsse dürfte der selbsternannte Schwabo-Italiener aber ohnehin gewöhnt sein.