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Die deutschen Texte der Indie-Band Kettcar, die sich nicht auf einen Stil festnageln lässt, überzeugten mit politischer Schlagkraft.

EsslingenEin Mix aus Indie, Punk und Deutschpop mit knallharten politischen Statements ist das Markenzeichen der Hamburger Band Kettcar. Vor 1500 Zuhörern spielten die Musiker am Sonntag beim Burgfest in Esslingen. Mit kritischen, aber sehr schwerblütigen Texten riss die Band um den Sänger und Gitarristen Marcus Wiebusch das Publikum nicht gerade mit. Obwohl die Musiker in ihren Texten scharf mit dem Zeitgeist ins Gericht gehen, fehlte beim Auftritt in Esslingen über weite Strecken der Biss.

Mit sogenanntem Dreampop machten Eau Rouge aus Stuttgart als Vorgruppe beim Burgfest eine gute Figur. Danach gingen es die fünf Musiker von Kettcar auf der halb leeren Wiese der Burg ziemlich locker an. Der Gitarrensound von Marcus Wiebusch und Erik Langer ließ über weite Strecken Höhen und Tiefen missen. Erst seit 2017 treten die Musiker von Kettcar wieder gemeinsam auf. 2001 gründeten sie die Band, die seit Jahren mit dem eigenen, unabhängigen Label „Grand Hotel van Cleef“ erfolgreich ist – Bassist Reimer Bustorff und Frontmann Marcus Wiebusch zählten zu den Gründern. 2013 folgte dann bei Kettcar eine längere kreative Pause, in der die Mitglieder ihre eigenen künstlerischen Projekte verfolgten. Dass die Inhalte nicht immer ganz taufrisch sein müssen, zeigt der Song „Sommer 89“, den die Band als Kommentar zur aktuellen Flüchtlingskrise verstanden wissen möchte. „Es war im Sommer 89, eine Flucht im Morgengrauen“. Der Text erzählt von einem Fluchthelfer kurz vor dem Mauerfall in der DDR. Obwohl Parallelen zur Gegenwart der ertrinkenden Flüchtlinge im Mittelmeer da nicht zwangsläufig nahe liegen, weckt Sänger Marcus Wiebusch geschickt Assoziationen. Er erzählt von der Flucht aus der DDR, von den Ängsten des Helfers – zunehmend weicht die Melodie einem harten, schnellen Sprechgesang. Die Eindringlichkeit dieser Wortmusik berührt.

„Humanismus ist nicht verhandelbar“, brachte Frontmann Wiebusch beim Auftritt in Esslingen das Anliegen von Kettcar auf den etwas verkürzten Punkt. Dabei klang er ziemlich verbissen – und erntete dennoch bei den jungen und älteren Konzertbesuchern Applaus. Auf der Wiese vor dem Dicken Turm drängten sich die gerade mal 1500 Fans vor der Bühne. Anders als am Vorabend bei Dieter Thomas Kuhns Schlagershow bildeten sich auch an den Essens- und Getränkeständen kaum Schlangen. Nicht so gut kamen die verzwungenen Witze von Bassist und Sänger Reimer Bustorff über seine Mutti an, die den 42-Jährigen Sohn nicht loslassen kann oder will. Selbstironisches Potenzial verpuffte in plumpen Sprüchen. Allzu viel schwärmten die Musiker dann auch noch von der Burgkulisse, von ihrem schönen Tag in Esslingen. Ein richtiger Draht zum Publikum entwickelte sich da kaum.

Musikalisch verkaufte sich die Band, die ihre Wurzeln in der Punkszene hat, durchwachsen. „Balu“ ist eine sinnliche Ballade, in der Keyboarder Lars Wiebusch – der Bruder des Leadsängers – der Kunst der Melodie frönen darf. „Du bist New York City, ich bin Wanne-Eickel“ bringt zwar die Ungleichheit des Paars auf den Punkt, zeigt aber, dass es bei Kettcar auch manchmal seicht werden kann, was die Texte angeht. Mit dem Song erntete die Band denn auch unfreiwillige Lacher: „Soll ich Dich jetzt auch Balu nennen?“ raunte eine Besucherin ihrem Partner zu.

Dabei ist die Stärke der Hamburger sonst klar in den Texten zu suchen. Ganz genaues Zuhören lohnt sich bei den komplexen Themen, die Kettcar bei ihren Auftritten anpacken. „Der Tag wird kommen“ steht für den bissigen, wütenden Stil der Formation. 2014 hat Marcus Wiebusch den Song zunächst auf dem Soloalbum „Konfetti“ veröffentlicht. Da geht es um einen jungen Fußballer, der sich im Profigeschäft nicht zu seiner Homosexualität bekennen darf. Verzweiflung und Fassungslosigkeit sprechen aus dem tiefgründigen Text, der ein Tabuthema anpackt.

Schlagzeuger Christian Hake peitschte den sperrigen Titel voran, der im wütenden Aufschrei gipfelte. Dazu war auf der großen Leinwand der Burg ein Videoclip zu sehen, das die Einsamkeit des jungen Sportlers auf dem Platz zeigt. Dennoch lässt Wiebusch das Publikum nicht ohne Hoffnung zurück: „Es wird der Tag sein, an dem wir die Liebe, die Freiheit und das Leben feiern/ Jeder liebt den, den er will und der Rest bleibt still“. Mit dem Titel sorgte Wiebusch 2014 in der Rockszene für Furore. In Interview machte er sich damals für Toleranz stark. Heute leiden im Profifußball noch immer viele Spieler unter Homophobie. Da ist Wiebuschs Botschaft aktueller denn je. Solche politische Schlagkraft macht den Reiz von Kettcar aus.