Wohnungseinbrüche sorgten laut der Polizei neben der Verunsicherung durch Fremde besonders für ein Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung, das nicht zur Statistik passe. Denn die Sicherheitslage sei entspannt. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Fabian Schmidt

Die Polizei ist zufrieden. Zumindest die Vertreter vom Reutlinger Präsidium, das für die Landkreise Esslingen, Tübingen und Reutlingen zuständig ist. Denn die neue Kriminalstatistik des vergangenen Jahres, welche die Polizei gestern veröffentlichte, resümiert: Die Kriminalitätsbelastung liegt deutlich unter dem Landesdurchschnitt. Das Präsidium in Reutlingen kann auf den viertniedrigsten Wert der zwölf Präsidien in Baden-Württemberg verweisen. Im Land liegt der Durchschnitt bei 5761 Straftaten, die auf 100 000 Einwohner kommen. Im Kreis Esslingen beträgt dieser Wert 4623, er ist aber der höchste in den vergangenen fünf Jahren.

In der Statistik erscheint noch ein anderer Fünf-Jahres-Bestwert: Mit einer Aufklärungsquote von 59,8 Prozent liegt Esslingen sogar über dem Schnitt der drei Kreise, für die das Präsidium in Reutlingen zuständig ist. Diesen erfreulichen Daten steht eine Zunahme der Tatverdächtigen gegenüber. Erstmals seit fünf Jahren stieg deren Anzahl deutlich, im Kreis Esslingen auf knapp 12 000 Personen. Das sind 12,6 Prozent mehr als im Vorjahr, wobei die Gruppe der Kinder (bis unter 14 Jahre) gegenüber 2014 am stärksten zulegte (45,3 Prozent), gefolgt von nichtdeutschen Tatverdächtigen (32,2).

Viele ausländerrechtliche Verstöße

Den Anstieg der Zahl an Tatverdächtigen führt die Polizei auf die starke Zunahme der Verstöße gegen das Aufenthalts- beziehungsweise Asylverfahrensgesetz (fast plus 230 Prozent im Kreis Esslingen) zurück. Wie zu erwarten, spielen die internationalen Fluchtbewegungen gen Europa auch in dieser Statistik eine Rolle. Die Behörde merkt in diesem Zusammenhang an, dass die Körperverletzungsdelikte überwiegend zwischen den Asylbewerbern beziehungsweise Flüchtlingen ablaufen und oftmals mit den Verhältnissen in den Unterbringungen zusammenhängen. Zudem seien die Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisenregionen mehrheitlich wegen ausländerrechtlicher Verstöße tatverdächtig. „Entgegen weit verbreiteter Gerüchte“, schreibt die Polizei in ihrer Mitteilung, „sind Flüchtlinge nicht überproportional wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung auffällig“. 2015 ging die Zahl gegenüber dem Vorjahr von zehn auf sechs Fälle zurück.

Einbruchszahlen nehmen wieder ab

Auch der Anstieg der Straftaten insgesamt fußt laut der Polizei in erster Linie auf Verstößen im Zusammenhang mit Aufenthalt und Asyl. Derweil blieben die Gewalt- und Straßenkriminalität laut dem Präsidium auf einem „niedrigen Niveau“. Während die Gewalttaten (Mord, Raub, gefährliche und schwere Körperverletzung) im Kreis Esslingen um 15 auf 657 Fälle anstiegen, sank die Straßenkriminalität um etwa zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die 3770 Fälle sind zudem der niedrigste Wert im Fünfjahresvergleich. Zur Straßenkriminalität zählen Raubdelikte, Körperverletzungen, Diebstähle und Sachbeschädigungen, wobei die Polizei insbesondere die rückläufigen Zahlen Letzterer für die Entwicklung verantwortlich macht. Hervorheben möchte sie den Rückgang beim schweren Diebstahl (um 8,8 Prozent) und bei den Wohnungseinbrüchen (um 15,2 Prozent), die im Vorjahr deutlich zugenommen hatten. Bei den Einbrüchen verweist sie gesondert auf die Aufklärungsquote (8,1 Prozent, 2014: 6,1 Prozent), spricht aber von Verbesserungsbedarf (siehe Infobox). Sie begründet die Zunahme der Erfolge auch mit polizeilichen Aktionen des Polizeipräsidiums Reutlingen wie der Installation der Ermittlungsgruppe Eigentum oder erhöhten Kontrollen.

Dies werde auch 2016 fortgesetzt und sei durch die Festnahme einer größeren Diebesbande Ende Januar abermals bestätigt worden. Dennoch appelliert die Behörde an die Bürgerinnen und Bürger, wachsam zu sein. Die Einbruchsversuche nahmen nämlich zu. „Ein Beleg dafür, wie wichtig eine wachsame Nachbarschaft und technischer Einbruchsschutz sind“, wie die Polizei mitteilt. Die Kriminalpolizeiliche Beratungsstelle des Reutlinger Präsidiums bietet übrigens eine kostenlose Beratung an, die 2015 fast 1900 Mal in Anspruch genommen wurde. Wenn jemand etwas Verdächtiges wahrnimmt, solle er unverzüglich die Polizei (Tel. 110) verständigen: „Dies erhöht die Chancen, Einbrecher auf frischer Tat oder in Tatortnähe festzunehmen und ihnen eventuell weitere Taten nachzuweisen.“

Unzufrieden ist die Behörde in punkto Gewalt gegen Polizisten, vor allem die Körperverletzungen nahmen zu (um 13 Prozent). Besorgniserregend sei hierbei der signifikante Anstieg der Dienstausfälle infolge von Gewalteinwirkung: 413 Tage in Esslingen, Tübingen und Reutlingen in 2015.

„Das ist noch kein befriedigendes Ergebnis“

Sicherheit: Die Bürger der Landkreise Esslingen, Reutlingen und Tübingen leben sicher. Das hat der Präsident des zuständigen Polizeipräsidiums, Hans-Dieter Wagner, auf der gestrigen Pressekonferenz in Esslingen zur polizeilichen Kriminalstatistik 2015 bilanziert: „Insgesamt haben wir allen Grund, von einer deutlich entspannten Sicherheitslage zu sprechen.“ Allerdings sei das Empfinden in weiten Teilen der Bevölkerung anders, manchmal sogar gegenläufig. „Das ist für uns kein Widerspruch“, sagte Hans-Dieter Wagner. „Aber die Polizei muss ihr Einsatzkonzept künftig mehr am Sicherheitsgefühl der Bevölkerung als an den objektiven Zahlen ausrichten.“ Will heißen: Auch Präsenz zeigen, wo laut es der Statistik nicht unbedingt Not tut - angesichts der Personalenge ein forderndes Unterfangen. Deshalb warb Wagner abermals um Nachwuchs. Indes beschrieb er einen Ruck bei den politischen Motiven von Straftaten. Einem „dramatischen“ Anstieg bei den rechtsmotivierten Delikten stehe ein Rückgang bei denen mit linkem Hintergrund entgegen. Philosophisch wurde Hans-Dieter Wagner, als er über die Zunahme der Übergriffe auf Beamte sprach: „Was verändert sich in einer Gesellschaft, wenn Polizisten im Einsatz, Feuerwehrleute bei Löscharbeiten oder Sachbearbeiter im Jobcenter tätlich angegangen werden?“ Das wolle er nicht hinnehmen, und solch ein Vergehen müsse zu einer „gesellschaftlichen Ächtung“ führen.

Aufklärung: Trotz einer Verbesserung der Aufklärungsquote sind die Polizeiverantwortlichen nicht zufrieden. „Das ist noch kein befriedigendes Ergebnis, auf dem wir uns ausruhen“, sagte der stellvertretende Polizeipräsident und leitende Kriminaldirektor Reinhard Nething bezüglich der Aufklärung von Wohnungseinbrüchen.