Die Ludwigsburger Stadtbücherei setzt auf großzügige und moderne Räume in einem eher schmucklosen Funktionsbau. Fotos: oh Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Die Stadtbüchereien in Esslingen und Ludwigsburg haben einiges gemeinsam: Sie gehören zu den renommiertesten Häusern, das Publikum kommt in Scharen, die Angebote sind vielfältig sowie zeitgemäß, und beide konkurrierten jahrelang um den Spitzenplatz im bundesweiten Bibliothekenvergleich BIX. Neuerdings hat Ludwigsburg einen wesentlichen Vorteil: Während man in Esslingen seit mehr als 20 Jahren vergeblich für eine Erweiterung kämpft, ist Ludwigsburg schon ein entscheidendes Stück weiter. Nach zweijähriger Umbauzeit wurde 2015 eine aufwendig modernisierte und erweiterte Hauptstelle im Kulturzentrum Wilhelmstraße eingeweiht. Die Investitionen der Barockstadt haben sich gelohnt: Besucherzahlen und Neuanmeldungen haben deutlich zugenommen. Umso mehr wartet man in Esslingen auf einen Grundsatzbeschluss zur Zukunft der Bücherei, der im ersten Quartal im Gemeinderat fallen soll.

Stillstand bedeutet Rückschritt

Ein Vierteljahrhundert ist es her, seit der Esslinger Gemeinderat im Bebenhäuser Pfleghof eine Bücherei eingerichtet hat, die damals bundesweit zu den Vorzeigeobjekten gehörte. Mittlerweile hat der Zahn der Zeit an der Esslinger Bibliothek genagt. Die Toiletten sind in schlechtem Zustand, von Barrierefreiheit kann keine Rede sein, Aufzug und Brandmeldeanlage sind störanfällig, und es gibt viel zu wenig Platz: Wollte die Hauptstelle der Esslinger Bibliothek heutigen Richtwerten genügen, wären mindestens 3200 Quadratmeter Publikumsfläche nötig - tatsächlich sind es 1800. Damit rangiert Esslingen im Landesvergleich auf dem drittletzten Platz. So ist es umso bemerkenswerter, dass trotz immer schwierigerer Rahmenbedingungen jahrelang Höchstwertungen im BIX eingefahren wurden.

Die Esslinger Bücherei-Leiterin Gudrun Fuchs und ihr Ludwigsburger Kollege Thomas Stierle wissen nur zu gut, was es heißt, wenn eine Bücherei mit Lob überschüttet wird, während der nächste Schritt in Richtung Zukunft schon viel zu lange auf sich warten lässt. Wer erfolgreich arbeiten will, darf die sich stetig verändernden Anforderungen nie aus den Augen verlieren. „Die gesellschaftlichen Erwartungen an die Stadtbibliothek sind stark verändert“, sagt Stierle. „Die Bibliothek wird zum vernetzten Bürgerzentrum, das nicht nur Medien bereitstellt, Zugänge zu Medientechnologie eröffnet und Bildungsangebote macht, sondern auch Lern- und Begegnungsort ist, Menschen bei der Umsetzung ihrer Ideen, beim Teilen ihres Wissens unterstützt und zu gesellschaftlichen Themen Stellung bezieht. Ihr Kapital ist das in allen Bevölkerungsgruppen positive Image sowie die anerkannte Neutralität und Offenheit der Institution.“

Doch das positive Image ist kein Selbstläufer, weil die Kunden immer differenzierte Erwartungen haben. Während die einen in Ruhe lesen und studieren wollen, kommen Schüler gern in Gruppen, um gemeinsam zu lernen. Andere Kunden nutzen die Bücherei als nicht-kommerziellen Treffpunkt in der Innenstadt, während vor allem die Jüngeren gerne auch ein bisschen Trubel haben. Wenn nicht genug Platz vorhanden ist, um ruhige von belebten Bereichen zu trennen, birgt das Zündstoff. „Bei uns hatten sich vor der Erweiterung die Beschwerden gehäuft“, sagt Stierle. „Den einen war die Bücherei zu laut, andere haben sich beklagt, weil wir sie zu oft um Ruhe bitten mussten. Das hat sich auf die Besucherzahlen ausgewirkt.“ Ähnliche Erfahrungen macht man zunehmend auch in der Esslinger Bibliothek: Immer häufiger beklagen sich Kunden, dass sie in Ruhe arbeiten wollen, jedoch keine Rückzugsmöglichkeiten finden. Und wenn demnächst die Abiturprüfungen anstehen, werden vermehrt Schüler nach Arbeitsplätzen suchen, wo sie alleine oder in Gruppen lernen können. An solche Zeiten erinnert sich auch Stierle: „Wir hatten dasselbe Problem. Die Schulen ermuntern ihre Schüler völlig zu Recht, selbstständig zu arbeiten. Dafür ist eine Stadtbibliothek der ideale Ort. Wenn jedoch alle Arbeitsplätze von Schülern belegt sind, fehlen sie anderen Kunden.“

Die Ludwigsburger Bücherei hat den zusätzlichen Platz, den sie durch die Erweiterung gewonnen hat, genützt: Es gibt jetzt mehr Sitzplätze zum Verweilen, zahlreiche Einzelarbeitsplätze, aber auch die nötigen Arbeitsräume für Gruppen, es gibt Lesebereiche für stilles Schmökern und Arbeiten, einen kleinen Vortragssaal, eine Zeitschriftenlounge mit digitaler Lesemöglichkeit für mehr als 4000 Titel aus aller Welt, und es gibt Platz für technische Neuerungen wie einen 3D-Drucker.

Dass die Arbeit mit den und für die örtlichen Schulen in Ludwigsburg im Vordergrund steht, ist kein Zufall: Die dortige Bibliothek gehört zum städtischen Fachbereich Bildung und Familie, in Esslingen ist die Bücherei Teil der Kulturverwaltung. Und manche Esslinger unken gar, der Gemeinderat gebe bereitwilliger Geld für Bildung als für Kultur aus. Doch solche Überlegungen dürften keine Rolle spielen, wenn der Gemeinderat im ersten Quartal den künftigen Kurs der Bücherei absteckt. Viel entscheidender ist, dass man sich in Esslingen vor Jahren entschlossen hat, auf ein zentralisiertes Büchereisystem mit starker Hauptstelle zu setzen, während in Ludwigsburg die beiden hauptamtlich betriebenen Außenstellen eine wichtigere Rolle spielen. Deshalb ist es umso bemerkenswerter, dass die Barockstadt ihre Hauptstelle zuletzt deutlich gestärkt hat und zudem über einen Ausbau der Zweigstelle im Bildungszentrum West von 500 auf etwa 750 Quadratmeter nachdenkt.

Umbau oder Neubau?

In Esslingen muss zunächst die Standortfrage beantwortet werden: Bleibt die Bücherei-Hauptstelle im Bebenhäuser Pfleghof oder wird ein anderer Standort angepeilt - im Gespräch ist ein Neubau zwischen Kies- und Küferstraße. Befürworter eines Neubaus befürchten, ein Umbau im bestehenden Gebäude könnte bei laufendem Betrieb logistische Probleme aufwerfen. Doch da rät der Ludwigsburger Bücherei-Leiter, nicht so rasch aufzugeben: „Wir haben bei laufendem Betrieb umgebaut, und die Arbeiten waren erheblich. Trotzdem kann man so etwas hinbekommen, wenn man gut plant und die Kunden entsprechend mitnimmt. Bei uns waren zwischendurch nur kurze Schließungen für einige Wochen nötig, ansonsten lief der Betrieb mit gewissen Einschränkungen weiter.“

Dass es sich lohnen würde, für eine überschaubare Frist gewisse Beeinträchtigungen in Kauf zu nehmen, ist für den Förderverein der Esslinger Bücherei klar: Dessen Vorsitzende Sylvia Greiffenhagen hat dem Gemeinderat geraten, am historischen Haus in der Heugasse als Alleinstellungsmerkmal festzuhalten, anstatt auf einen Funktionsbau zu setzen. Auch da kann ein Blick nach Ludwigsburg hilfreich sein: Bei allen Vorzügen einer modernisierten Bücherei wird das dortige Haus wohl nie den Charme der Esslinger Bibliothek erreichen.

Die Esslinger Bücherei in Zahlen

Publikumsfläche: Insgesamt 2050 Quadratmeter.

Standorte: Esslingen hat ein zentralisiertes Büchereisystem. Die Hauptstelle im Bebenhäuser Pfleghof hat 1820 Quadratmeter Publikumsfläche. Die Zweigstelle in Berkheim (212 Quadratmeter) wird fachlich von der Stadtbücherei betreut und weitgehend ehrenamtlich betrieben. Die ehemalige Zweigstelle Zollberg wird in Eigenregie von einem Verein betrieben, der Unterstützung von der Stadtbücherei erhält. Der Bücherbus (18 Quadratmeter) der Esslinger Stadtbücherei steuert jede Woche 21 Haltestellen an.

Nutzfläche je 1000 Einwohner:22,6 Quadratmeter. Der Durchschnitt vergleichbarer Bibliotheken in Baden-Württemberg liegt bei 33,5 Quadratmetern je 1000 Einwohner.

Besucher: 275 000 jährlich.

Entleihungen:1 200 000 jährlich.

Medienbestand: 190 000.

Die Ludwigsburger Bücherei in Zahlen

Publikumsfläche: Insgesamt 3122 Quadratmeter in der Hauptstelle und den hauptamtlich geführten Zweigstellen.

Standorte: Zentralbibliothek mit 2000 Quadratmetern Publikumsfläche, weitere Teilflächen im Kulturzentrum werden gemeinsam mit dem Wissenszentrum Energie genutzt. Hauptamtlich geführte Zweigstellen im Bildungszentrum West (500 Quadratmeter, Erweiterung auf 750 Quadratmeter im Gespräch) und im Schlösslesfeld (350 Quadratmeter). Der Bücherbus steuert zwölf Haltestellen an. Die Ortsbüchereien in Neckarweihingen und Poppenweiler werden von Vereinen geführt und von der Stadtbücherei unterstützt.

Nutzfläche je 1000 Einwohner: 33,9 Quadratmeter.

Besucher: 350 000 jährlich.

Entleihungen:1 100 000 jährlich.

Medienbestand: 220 000 plus 25 000 im historischen Bestand.