Der Himmel über Esslingen zeigt sich in seinem schönsten Gewand. So zieht es am Weinwandertag Hunderte in die Steillagen. Dort gibt es Kostproben der edlen Tröpfchen und viele Informationen rund um die Reben. Foto: pwo Quelle: Unbekannt

Von Petra Weber-Obrock

Es herrscht Kaiserwetter. Unter einem knallblauen Himmel mit weißen Wolken wachsen die Reben goldgrün den Schenkenberg hinauf. Besser hätten sich die Esslinger Weingärtner den Rahmen für den 34. Weinwandertag in den historischen Steil- und Terrassenlagen gar nicht bestellen können. Und so strömten schon eine halbe Stunde vor dem offiziellen Beginn um 11 Uhr die Gäste von der Frauenkirche aus in Scharen hinauf in die Weinberge. Viele waren noch vom letzten Mal mit einem Glas zum Umhängen ausgerüstet, das man sich an den fünf Ständen auffüllen lassen konnte, bevor man sich in der Mettinger Kelter zum feuchtfröhlichen Abschied traf.

1200 Stunden Arbeit im Jahr

Einige Besucher zeigten sich im VfB-Fan-T-Shirt schon halb auf dem Weg zur Aufstiegsfeier auf dem Cannstatter Wasen. Kinder wurden im Bollerwagen den Berg hinaufgezogen. Sonnenbrillen wurden aufgesetzt und reichlich Sonnenmilch auf Arme und Gesicht verteilt. „Das ist eine sehr interessante Veranstaltung, auf der bestens für das leibliche Wohl gesorgt wird“, lobte Wolfgang Zoubek, der mit seiner Frau aus Pliezhausen gekommen war. Den Esslinger Weingärtnern bot der Tag die Möglichkeit, ihre guten Tropfen zu präsentieren und bekannt zu machen.

Nach dem schweißtreibenden ersten Anstieg bot sich am Stand von Weingärtner Gottfried Bader das „Glockenspiel“ als Erfrischung zwischen atemberaubenden Steillagen und historischen Weinterrassen an, die bis zum 12. Jahrhundert zurückgehen. „Die Steillagen bewirtschaften wir noch heute hauptsächlich in Handarbeit“, erzählte der Wengerter. Wenn man nicht auf Traktoren und andere technische Hilfsmittel zurückgreifen kann, stecken etwa 1200 Stunden harte Arbeit pro Jahr in einem Hektar Weinberg. „Um kostendeckend zu arbeiten, bauen wir alle möglichen Rebsorten an“, erzählt Bader und wünscht sich, dass sich die „Geiz-ist-geil-Mentalität“ vieler Konsumenten ändern möge.

„Hier geht es um nichts weniger als um die Erhaltung einer Kulturlandschaft und damit um die Identität einer Region“, fasste die Besucherin Marina Steindor aus Stuttgart treffend zusammen. Diesem Ziel hat sich auch der Staffelsteiger-Verein verschrieben, der beim Wandertag die Besucher informierte und um Mitglieder warb. „Die Steillagen sind einzigartige Zeugnisse bäuerlicher Kultur“, erklärte Mitglied Claus Hägele. Für die meisten Besucher trat beim Wandern die Denkmalpflege allerdings hinter den Genuss des guten Tropfens zurück. „Wir kommen jedes Jahr zur gleichen Zeit aus Büdingen bei Frankfurt, um sowohl die Verwandten als auch den Weinwandertag zu besuchen“, erzählten Inge und Wolfgang Cerhau. Ganz klar ist für sie, dass sie eine Auswahl leckerer Esslinger Weine mit ins Hessische nehmen, darunter Esecco, Riesling, Grauburgunder und Acolon.

Gäste aus den USA

Nach 12 Uhr wurde es immer voller im Weinberg. Am Stand „Schenkenberg“ wälzten sich wahre Menschenmassen über die Wege. Große Gruppen von Besuchern sprachen amerikanisches Englisch. Maria Prasser aus Texas war mit ihren Freunden Walter und Christl Döller vom Zollberg unterwegs. „Unser Besuch aus den USA ist eine echte Wengerterstochter aus Rüdesheim am Rhein“, erzählte Walter Doller.

Hoch über Mettingen hat Wengerter Eberhard Sohn die Leitung seines Standes mit der Spezialität „Faifegrädler“ inzwischen an die jüngere Generation abgegeben. „Den Namen für diesen Spätburgunder Weißherbst, der sich auf den Mettinger Kirchturm bezieht, haben wir beim Stadtjubiläum 1977 aus der Taufe gehoben“, erzählte er. Zum ersten Mal in mehr als 50 Jahren Tätigkeit als Weingärtner und Landwirt hat er einen Frosteinbruch wie am 20. April erlebt, der für gravierende Schäden in den Weinbergen gesorgt hat. Er schätzt, dass 40 bis 50 Prozent des Ertrags in diesem Jahr verloren sein könnten. Allerdings haben die Weinstöcke einige neue „Gescheine“, also Blütenstände, ausgebildet. Eberhard Sohn betrachtet die Wetterkapriolen mit einem gewissen Fatalismus. „Man hat den Wein erst, wenn er im Fass ist“, sei eine alte Weingärtnerweisheit.