Ungewöhnlich viele Esslinger nutzten die Chance, offen über die Zukunft von Blarer-Gemeindehaus und Franziskanerkirche zu diskutieren. Foto: Rudel Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Die Nachricht hat viele Esslinger kalt erwischt: Als Anfang März bekannt wurde, dass die evangelische Kirche überlegt, das Gemeindehaus am Blarerplatz und die Franziskanerkirche an die Stadt zu verkaufen, die dort einen möglichen Standort für ihre Bücherei zu erkennen glaubte, dachten manche erst mal an einen schlechten Scherz. Mittlerweile ist klar: Das Thema wird im Rathaus und in Kirchenkreisen viel ernsthafter beraten, als es zunächst schien. Entsprechend engagiert wird nun in der Stadt diskutiert. Eine Gruppe namhafter Christen hat Dekan und Gesamtkirchengemeinderat per Brief vor einem Verkauf dieser symbolträchtigen Gebäude gewarnt. Weil man sich in Rathaus und Dekanat bedeckt hält, luden die Absender des Briefs nun zur Diskussion ins Gemeindehaus ein. Der Abend geriet ob des Besucheransturms zum unüberhörbaren Bekenntnis für den Erhalt von Gemeindehaus und Franziskanerkirche. Als der Theologe Hans Norbert Janowski einen Verkauf als „ruinöses Signal“ charakterisierte, gab es donnernden Applaus.

Offene Debatte wird erwartet

„Es gibt in Esslingen sonst keinen Raum, der in Größe und Qualität vergleichbar wäre“, befand Uwe Mönninghoff, der souverän durch den Abend führte. Umso mehr hat er sich gewundert, dass die Debatte zunächst hinter verschlossenen Türen geführt wurde: „Zum Glück hat die Presse das Thema aufgegriffen.“ Nun sei es höchste Zeit, öffentlich darüber zu diskutieren. Dekan Bernd Weißenborn erläuterte die finanziellen Nöte der Gesamtkirchengemeinde, die mit einem strukturellen Defizit von mehr als 500 000 Euro kämpfe. Man bemühe sich um finanzielle Konsolidierung. Dabei geht es auch um Erhalt und Verkauf von Gebäuden. Als von der Stadt der Wunsch gekommen sei, ob das Gemeindehaus zur Bücherei werden könnte, sei dieser Gedanke in den Fokus gerückt. Das Gemeindehaus verursache jährliche Kosten im hohen fünfstelligen Bereich. Von kirchlicher Seite gebe es dort nur ein gutes Dutzend großer Veranstaltungen, für die sich auch andere Räume finden ließen. Die Nutzung sei „eher eine kulturelle“. Da stelle sich die Frage, ob das Aufgabe der Kirche sei. Für Weißenborn gibt es viele Gründe für den Erhalt von Franziskanerkirche und Gemeindehaus. Mit der Finanzierung sei man jedoch „zunehmend überfordert“. Für Ideen sei man offen.

Der Kirchenhistoriker Professor Jörg Thierfelder gab Einblicke in die Geschichte von Franziskanerkirche und Gemeindehaus. Sein Urteil: „Das ganze Bauensemble sollte nicht verkauft werden. Es ist wichtig für Esslingen - für Kirchengemeinde und Bürgergemeinde.“ Der Theologe Michael Gese unterstrich die Bedeutung der Franziskanerkirche: „Hier ist ein Raum der Stille und des Gebets mitten in unserer Stadt entstanden.“ Vieles sei dort im Geiste der Franziskaner gewachsen und finde einen unersetzlichen Rahmen: „Der Chorraum der Franziskanerkirche ist ein besonderes Juwel, und die Arbeit, die dort geschieht, ist kostbar.“

Ulrike Gräter sprach für die vielen Musikensembles und Vereine, die das Gemeindehaus regelmäßig nutzen (siehe Anhang). Sie dankte der Kirche für ihr Entgegenkommen und erläuterte die Bedeutung des Festsaals: „Seine Größe ist ideal, er ist erschwinglich, er liegt zentral und seine Akustik ist brillant.“ Ulrike Gräter wunderte sich über „kühne technische Pläne“, die kursieren, um die Bücherei dort unterzubringen. Und sie fragte sich, was der Denkmalschutz dazu sagt. Dass das Landesdenkmalamt der Einladung zu diesem Abend nicht gefolgt war, quittierten viele Besucher mit Buhrufen. Gräter forderte Kirche und Stadt zu gemeinsamen Anstrengungen auf, um diesen Aufführungs- und Probenort zu erhalten, der für viele Esslinger „ein emotionaler Ankerplatz im Herzen der Stadt“ sei. Dass die Kirche wegen des möglichen Verkaufs keine Termine für 2018 verbindlich zusagt, bringe viele Veranstalter in Schwierigkeiten.

Für Hans Norbert Janowski sind das Gemeindehaus und die Franziskanerkirche „wie geschaffen, um als Zentrum der evangelischen Gesamtkirchengemeinde zu dienen“. Für eine Stadtbibliothek sei das Ensemble mit Blick auf den Denkmalschutz und die Räumlichkeiten ungeeignet. Janowski plädierte dafür, alle Möglichkeiten für einen Erhalt auszuschöpfen. Unter dem Beifall vieler Zuhörer regte er eine maßvolle Erhöhung der Raummiete und eine finanzielle Beteiligung der Stadt an. Und er schrieb den Verantwortlichen ins Stammbuch: „Mit einem Verkauf dieser Gebäude würde sich das evangelische Esslingen von der lokalen Mitte seiner Glaubenspraxis verabschieden: Aus einer einladenden Öffnung würde ein resignierter Rückzug.“ Als Veranstaltungs- und Versammlungszentrum für Kirche und Bürgerschaft biete das Haus vorzügliche Entwicklungsperspektiven.

Engagiert wurde anschließend diskutiert. Viele machten deutlich, wie sehr ihnen Gemeindehaus und Franziskanerkirche am Herzen liegen - und wie sehr sie deren Verlust fürchten. „Mir blutet das Herz“, erklärte eine Dame. Dass die Kirche nie bei der Stadt wegen einer Kostenbeteiligung für die weltliche Nutzung angeklopft hat, löste allenthalben Verwunderung aus - genau wie die Tatsache, dass die Entscheidung über einen Verkauf noch vor der Sommerpause fallen soll. „So etwas darf man nicht übers Knie brechen“, befand Janowski, der wie viele andere Redner Konzepte einforderte, wie sich das Defizit reduzieren ließe, um das Haus halten zu können. Dass die Musikvereine bereit wären, ihren Beitrag über eine maßvolle Mieterhöhung zu leisten, machten einige Vereinsvertreter deutlich. Eine Dame erhielt viel Beifall für ihren Einwand, die Stadtbücherei werde derzeit ohne eigenes Zutun gegen all die Nutzer des Gemeindehauses ausgespielt. Dass viele die Zukunft der Bibliothek ohnehin im Bebenhäuser Pfleghof sehen, wurde wiederholt deutlich. Susanne Lüdtke, Vorsitzende des Fördervereins der Stadtbücherei, brachte die Stimmung auf den Punkt: „Unser Herz schlägt für den Bebenhäuser Pfleghof.“

Wissenswertes zu Blarer-Gemeindehaus und Franziskanerkirche

Franziskanerkirche: Bettelmönche, die 1237 nach Esslingen kamen, bauten damals die Franziskanerkirche und das dazugehörige Kloster. Der erhaltene Chor der Kirche entstand um 1300. Ein Teil der Klostergebäude wurde 1668 abgerissen, im 19. Jahrhundert folgte dann auch das Langhaus der Kirche. Mit dem Gedanken eines „Klosters für die Stadt“ knüpft man heute wieder an die klösterliche Tradition der Barfüßermönche an. Damit ist die Franziskanerkirche für evangelische und katholische Christen zu einem Ort der inneren Einkehr geworden.

Gemeindehaus: 1930 ließ die evangelische Kirchengemeinde an die Franziskanerkirche das Gemeindehaus am Blarerplatz anbauen. Es sollte kirchlichen Gruppierungen ebenso offenstehen wie dem Oratorienverein und anderen Gesangvereinen. Heute zählt Ulrike Gräter dort „rund 90 Veranstaltungen im Jahr - Tendenz steigend“. Außerdem proben jede Woche ein halbes Dutzend Chöre, der Melanchthonsaal wird täglich von der Musikschule genutzt. Zu denen, die das Gemeindehaus gern nutzen, zählen Bläserjugend, Concordia Wäldenbronn, Liederkranz, Vocalensemble, Schulorchester, Voices, Kammerorchester, Kinderchor, Kurrende, Kantoreien der Stadtkirche, Oratorienverein, das Lettische Chorfestival, der Philharmonische Chor, das Podium Festival, der Polizeichor, der Russische Chor, die Saloniker, die Stadtkapelle, der Tonkünstlerverband, der Weingärtner-Liederkranz, das Zupforchester, Bürger für Berber, der Deutsch-Madagassische Verein, Lebenshilfe, Lepramission, Hochschule, VdK, Bunt ES, und die Stadt, die dort Bürger- und Personalversammlungen und manchmal den Schwörtag abhält.