Sich „auf Augenhöhe zu begegnen“, das ist Katrin Radtke auch bei den internationalen Beziehungen der Stadt wichtig. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Katrin Radtke ist im Esslinger Rathaus für die Partnerstädte zuständig. Die studierte Kulturmanagerin, die viel internationale Erfahrung mitbringt, ist überzeugte Europäerin und hat für das „EU-Bashing“ wenig Verständnis.

Esslingen Die Irrungen und Wirrungen rund um den Brexit halten Europa in Atem. „Auch ich beobachte ganz genau, was da läuft“, sagt Katrin Radtke. Und das nicht nur, weil sie seit einigen Monaten im Rathaus für die internationalen Beziehungen der Stadt zuständig ist und dort in die Fußstapfen der langjährigen Referatsleiterin Jutta Fahrion tritt. Die gebürtige Sindelfingerin, die in Ditzingen aufgewachsen ist, hat ein Studienjahr im irischen Dundalk verbracht. Die 30 000-Einwohnerstadt liegt nah an der Grenze zu Nordirland. Da Katrin Radtke damals oft in Belfast war, „weiß ich, was es bedeuten würde, wenn es plötzlich wieder Grenzkontrollen gäbe und kann gut verstehen, dass sich die Bevölkerung dagegen wehrt“. Dass die Schlagbäume zwischen den EU-Staaten abmontiert worden sind, genießt die 34-Jährige. „Ich möchte nicht mehr so leben, wie zu den Zeiten meiner Großeltern. Denn die EU bietet uns ganz viel.“ Zwar müsse sich innerhalb des Staatenbundes das ein oder andere verändern. „Dieses EU-Bashing kann ich nicht nachvollziehen. Denn gerade meine Generation nimmt die Vorteile ja sehr gerne in Anspruch.“

Menschen zusammenbringen

Dass sie bereits als Schülerin an einem Austausch teilgenommen hat und zudem aus einer reiselustigen Familie kommt, hat Katrin Radtkes berufliche Laufbahn beeinflusst. Bevor es zum Abschluss des Bachelorstudiums nach Irland ging, hat sie in Künzelsau Betriebswirtschaft mit der Vertiefungsrichtung Kultur- und Freizeitmanagement studiert. „BWL ist eine gute Basis, und für Kultur interessiere ich mich, seitdem ich in der Schule mit Freundinnen einen Kulturabend ins Leben gerufen habe.“ Beim Masterstudium im dänischen Odense gesellten sich dann noch Sprachen und Internationale Beziehungen hinzu. An der Uni, aber auch im Alltag, komme man zwar mit Englisch ganz gut zurecht. Dennoch hat Katrin Radtke an der Abendschule Dänisch gelernt. „Wenn man zwei Jahre in einem Land lebt, finde ich es wichtig, dass man auch die Landessprache spricht“, – zumal sie neben dem Studium gearbeitet hat. Die dänischen Nachbarn seien nicht nur bei der Digitalisierung weiter. „Auch bei den Frauenrechten und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist man dort fortschrittlicher.“ So arbeiteten die meisten Männer aus ihrem dänischen Freundeskreis, den sie heute noch regelmäßig besucht, nicht Vollzeit. „Es ist selbstverständlich, dass man sich auch die Arbeit für die Familie teilt.“

Nachdem sie ihren Master in der Tasche hatte, zog die gebürtige Schwäbin nach Saarbrücken. In einer Eventagentur betreute sie neben internationalen Projekten große Veranstaltungen und Kongresse. Dort wurde ihr Interesse am öffentlichen Dienst geweckt. „Ich habe viel für Ministerien im Saarland, aber auch im Bund gearbeitet“, erzählt sie. So organisierte sie unter anderem einen Tag der offenen Tür des Bundesrates. Nach drei Jahren im Saarland und in Berlin „hat mich dann aber doch das Heimweh gepackt“. Sie hatte Glück. Die Stadt Remseck suchte damals gerade eine Fachgruppenleitung für die Bereiche Kultur, Sport und Bürgerschaftliches Engagement – und somit auch für die Partnerstädte. „Esslingen passt also optimal in meine Biografie.“ Doch nicht nur deshalb fühlt sie sich im Rathaus der Neckarstadt am richtigen Platz: „Städtepartnerschaften sind ein gutes Mittel, um die Bevölkerung zusammenzubringen. Denn sie sind ein Stück gelebtes Europa.“

Als Katrin Radtke 2015 ins Remsecker Rathaus kam, war die Stadt bereits mit Kommunen in Frankreich und Italien verschwistert. Die Fachgruppenleiterin knüpfte Kontakte zum rumänischen Ort Codlea. Die Vorbereitung der Partnerschaftsurkunde und deren feierliche Unterzeichnung „gehörten zu meinen letzten Amtshandlungen in Remseck“, erzählt die 34-Jährige, die vor einigen Jahren während eines Praktikums in der deutschen Botschaft in Skopje in eine etwas andere Welt eingetaucht ist. „Das war eine sehr gute Erfahrung“, resümiert sie. „Denn in Mazedonien habe ich erlebt, dass wir ganz viel voneinander lernen können und es wichtig ist, dem Gegenüber auf Augenhöhe zu begegnen.“

Diese Maxime vertritt sie auch in den partnerschaftlichen Beziehungen der Stadt Esslingen. „Wir müssen uns so stark miteinander verflechten, dass wir Verständnis für unsere Nachbarn haben und es völlig abwegig wäre, noch einmal auf dumme Gedanken zu kommen“, betont die Amtsleiterin, die im Augenblick viel Zeit damit verbringt, die Kontakte ins italienische Udine wiederzubeleben. Nach einem Wechsel im dortigen OB-Büro „war es schwierig geworden“. Jetzt steht der 60. Geburtstag der Städtepartnerschaft ins Haus. „Und die Signale, die wir bekommen, sind sehr vielversprechend.“ Klar sei, dass sich die Beziehungen zwischen den Schwesterkommunen stetig wandeln. „Denn die Aussöhnung, die ja Grundlage der ersten Städtepartnerschaften war und bei den Partnerschaften mit den östlichen Staaten noch eine Rolle gespielt hat, ist vollzogen.“ Wie es weitergeht, hänge immer auch von den Entwicklungen in den einzelnen Ländern sowie in der EU ab. Dass es wieder Gespräche mit dem niederländischen Schiedam gibt, das sich vor einigen Jahren – ebenso wie Neath Port Talbot in Wales – aus der Ringpartnerschaft verabschiedet hatte, stimmt Katrin Radtke zuversichtlich. „Und ich schließe nicht aus, dass wir eines Tages auch wieder mit Neath ein gemeinsames Projekt starten.“

Esslingens Partnerstädte

Schon früh hat man in Esslingen die Zeichen der Zeit erkannt und Kontakte mit den europäischen Nachbarn geknüpft. Seit 1958 ist die Neckarstadt mit der französischen Stadt Vienne verbunden. Im gleichen Jahr wurde mit Neath ein Partnerschaftsabkommen unterzeichnet. Die walisische Stadt hat den Kreis der Ringpartnerstädte aber inzwischen ebenso verlassen wie das holländische Schiedam, mit dem Esslingen seit 1964 verschwistert war. Weiterhin bestehen Partnerschaften zur italienischen Stadt Udine (1959), nach Norrköping in Schweden (1964), Sheboygan in den USA (1967), Velenje in Slowenien (1970), Molodetschno in Weißrussland (1987), Eger in Ungarn (1991) sowie Piotrków Trybunalski in Polen (1992). Seit Juli 2016 ist Esslingen zudem mit der südindischen Millionenstadt Coimbatore verschwistert und somit die erste deutsche Stadt, die eine offizielle Partnerschaft zu einer Stadt in Indien unterhält.