Ab in die Tonne. Nach dem Aus der Jamaika-Sondierungen favorisieren die Politiker im Kreis unterschiedliche Lösungen. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Christian Dörmann und Melanie Braun

Minderheitsregierung? Neuwahlen? Oder doch eine Große Koalition von CDU und SPD? Bei den Parteien im Kreis favorisiert man unterschiedliche Lösungen für die verfahrene Situation in Berlin. Wir haben einige Stellungnahmen politischer Vertreter gesammelt.

Markus Grübel, CDU-Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Esslingen und Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium: „Wir haben eine ernste Lage, und ich bin schon sehr verwundert über die FDP“, sagt der Abgeordnete. Sein Eindruck ist, dass sich bei den Verhandlungen hinter verschlossenen Türen einiges bewegt hat. In der jetzigen Situation erwartet Grübel, „dass die SPD ihrer Verantwortung gerecht wird“. Er könne auf dem Wahlzettel kein Kästchen für eine bestimmte Koalition erkennen und deshalb müsse sich die SPD jetzt bewegen. Grübel: „Niemand tritt doch zu einer Wahl an, um in die Opposition zu gehen.“ Was Neuwahlen angeht, so befürchtet der Abgeordnete, dass die Situation danach nicht besser ist als derzeit.

Andreas Deuschle, CDU-Landtagsabgeordneter im Wahlkreis Esslingen: Der Ausstieg der FDP kommt für den Abgeordneten überraschend. Ob bei den Liberalen Kalkül mit im Spiel gewesen ist, vermag er nicht einzuschätzen. Deuschle sieht ein Stück weit Verantwortung bei der SPD. „Wenn sich die SPD nicht bewegt, werden die Wählerinnen und Wähler darauf auch eine Antwort finden.“ Neuwahlen sind für ihn die schlechteste Lösung, eine Minderheitsregierung sei dagegen durchaus ein gangbarer Weg: „Das Parlament hätte eine deutlich größere Bedeutung, das kann Demokratie auch stärken.“

Wolfgang Drexler, SPD-Landtagsabgeordneter im Wahlkreis Esslingen: „Eine Einigung unter den vier Parteien der bürgerlichen Mitte sollte doch möglich sein“, zeigt sich auch Drexler von den Ereignissen überrascht. „Da ist irgendwas passiert“, glaubt er. Was eine mögliche Verantwortung seiner Partei in der verfahrenen Situation anbelangt, ist es für Drexler nach den herben Verlusten bei der Bundestagswahl nur schwer zu erklären, warum die SPD wieder in die Regierung gehen soll. „Eine Regierung aus den beiden Hauptverlierern - damit habe ich ein Problem. Aber es zeigt sich: Eine Kompromissfindung ohne die SPD ist offenbar nicht möglich.“

Ulrich Fehrlen, Vorsitzender des Esslinger FDP-Kreisverbands, sieht die Verantwortung für die gescheiterten Jamaika-Gespräche nicht nur bei seiner Partei. „Vielleicht liegt die Schuld auch bei denen, die sich nicht bewegt haben.“ Wie es weitergeht, hänge nun vor allem von Bundeskanzlerin Angela Merkel ab. Vielleicht sei eine Minderheitsregierung gar nicht so schlecht: „Vielleicht kommen bessere Ergebnisse heraus, wenn themenbezogen Mehrheiten gebildet werden müssen.“ Möglich ist für ihn auch, dass die SPD sich doch überlegt, in eine Regierung einzusteigen: „Aber dann geht es genauso schlecht weiter wie bisher.“

Vera Kosova, Sprecherin des AfD-Kreisverbands Esslingen, hat mit großen Schwierigkeiten bei den Sondierungsgesprächen gerechnet - aber nicht mit diesem Ergebnis. „Ich hätte gedacht, dass die CSU die Gespräche abbricht.“ Enttäuschend sei vor allem, dass die erfolglosen Sondierungen so lange gedauert hätten. Sie wünscht sich - anders als mancher Parteikollege in Berlin - keine Neuwahlen: Man habe gerade einen personal- und kostenintensiven Wahlkampf hinter sich, sie wolle jetzt nicht von vorn anfangen. Zumal sie nicht sicher ist, ob Neuwahlen ihrer Partei so viel mehr Stimmen bringen würden, wie vermutet. Positiv sei aber: „Politik ist wieder spannend.“

Thaddäus Kunzmann, Vorsitzender des Esslinger CDU-Kreisverbands, geht davon aus, dass es doch noch eine Große Koalition geben könnte. „Die SPD hat sich zurückgezogen, weil sie davon ausging, dass es eine Regierungskoalition geben wird. Aber das hat sich jetzt geändert.“ Er hält eine Große Koalition für die beste der möglichen Lösungen. Eine Minderheitsregierung könne nur Verwalter sein, aber kein Gestalter. „Und die Frage ist: Wie lange trägt so etwas? Und warum sollte bei Neuwahlen etwas anderes herauskommen als bei der letzten Wahl?“ Danach gehe es vermutlich von vorne los mit Verhandlungen. Im Übrigen glaubt er an Kalkül bei der FDP: „Ich gehe davon aus, dass die FDP das vorbereitet hat - begründet durch den Starrsinn der Grünen.“

Andrea Lindlohr, Landtagsabgeordnete der Grünen im Wahlkreis Esslingen und Vorstandsmitglied im Kreisverband: „Es ist ein schlechter Zustand, dass es derzeit keine Aussicht auf eine neue Regierung gibt.“ Es sei klar, dass Jamaika eine schwierige Koalition gewesen wäre, aber sie glaube, sie wäre möglich gewesen. Das habe die FDP vereitelt: „Ich kann nicht verstehen, warum die FDP nicht regieren will“, so Lindlohr. Ein Wahlergebnis solle man in Demut annehmen und etwas daraus machen. Und Koalitionen seien letztlich Verabredungen auf Zeit: Man müsse sich nicht auf eine Weltsicht einigen, sondern zusammen arbeiten.

Michael Beck, Vorsitzender des Esslinger SPD-Kreisverbands, sieht die Gesamtverantwortung für die geplatzten Jamaika-Sondierungen bei der CDU, vor allem bei Kanzlerin Angela Merkel. Zwar habe die FDP die Verhandlungen abgebrochen, aber zuvor habe Merkel die Gespräche nicht gut gestaltet. Daher trage sie die Schuld an der Lage, in der sich Deutschland jetzt befinde. „Sie sollte zurücktreten“, findet Michael Beck. Die SPD sieht er nicht am Zuge, sich für eine Große Koalition zu öffnen: „Der Ball liegt jetzt klar bei der CDU.“ Erst wenn sie sich geäußert habe, wie es weitergehen soll, könne sich die SPD positionieren. Klar ist für den Kreisverbandsvorsitzenden Beck: „Das Wahlergebnis war kein Regierungsauftrag für die SPD.“

Renata Alt, FDP-Bundestagsabgeordnete im Wahlkreis Nürtingen: Die Abgeordnete bewegen gemischte Gefühle, doch letztlich ist sie froh, dass sich ihre Partei während der Sondierungen nicht hat „verbiegen“ lassen. „Eine Ehe soll man nicht eingehen, wenn die Scheidung schon absehbar ist“, meint sie. Die FDP wolle das Land modernisieren und auf diesem Weg seien ihr die anderen Parteien nicht gefolgt. „Wir wollen ernst genommen werden und sind heute eine andere FDP als früher“, meint Renata Alt. In den vergangenen drei Tagen habe sich die Situation in den Verhandlungen verschlechtert und es habe keine Vertrauensbasis mehr gegeben.

Nils Schmid, SPD-Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Nürtingen: Für den Abgeordneten ist es ein „Armutszeugnis, wie sich die FDP aus der Verantwortung stiehlt“. Aber auch „der typische Merkel-Politikstil“ ist aus Sicht von Nils Schmid ein Grund für das Scheitern der Verhandlungen. Bei der jüngsten Bundestagswahl sei die Große Koalition klar abgewählt worden. Deshalb werde die SPD auch weiterhin nicht für eine solche Koalition zur Verfügung stehen, unterstreicht der Abgeordnete.