John Lees (links) und seine Band verzichten gern auf unnötigen Schnickschnack und lassen lieber ihre Musik für sich sprechen. Foto: Kaier

Von Alexander Maier

Manchmal kann es ungeheuer reizvoll sein, in Erinnerungen an vergangene Zeiten zu schwelgen. Man denkt an Menschen und Erlebnisse, die einen seither begleiten. Plötzlich wird vieles so lebendig, als sei es gerade erst gewesen. Und die Musik spielt dabei eine ganz besondere Rolle, weil einen der Soundtrack des eigenen Lebens an schöne und manchmal auch schmerzliche Momente erinnert. Und weil vertraute Klänge die alten Empfindungen wieder wecken. Jedes Jahr im Sommer gibt es dafür ausgiebig Gelegenheit für die Generation Ü 50: Dann touren viele der Band-Legenden von einst durch die Lande und bringen ihre alten Hits wieder zum Klingen. Den idealen Rahmen bietet dafür die Esslinger Burg, deren Atmosphäre wie geschaffen ist für einen stimmungsvollen Konzertabend. Mit Barclay James Harvest (BJH) stellte sich nun eine der erfolgreichsten Bands der 70er- und 80er-Jahre auf Esslingens Höhen vor. Genauer gesagt: ein Teil der damaligen Legende. Denn die beiden Frontmänner John Lees und Les Holroyd, die die britische Progressive-Rock-Formation 1967 aus der Taufe gehoben hatten, gehen seit 1998 getrennte Wege, ohne die gemeinsame Vergangenheit zu leugnen. Auf der Burg war nun John Lees mit seinen Barclay James Harvest zu Gast. Und er weckte in vielen der rund 1800 Zuhörer wohlige Erinnerungen – dass am Ende Publikum und Musiker im strömenden Regen glückselig die legendäre „Hymn“ der Band gemeinsam anstimmten, spricht für sich.

Perlen aus dem Schatzkästlein

Für Open-Air-Veranstalter und ihr Publikum wird derzeit jeder Abend zur Zitterpartie: Den ganzen Tag über schaut man immer wieder sorgenvoll gen Himmel – viele Besucher des BJH-Konzerts auf der Burg vertrieben sich die Zeit bis zum verspäteten Einlass damit, diverse Wetter-Apps zu konsultieren. Und die hatten für 20 Uhr kräftigere Regenschauer über Esslingen angekündigt. Doch am Ende kam’s nicht ganz so schlimm, wie manche befürchtet hatten: Eine kleine Kostprobe englischen Wetters zu Beginn – ansonsten blieb es über weite Strecken des Konzerts trocken. Erst bei der Zugabe öffnete der Himmel dann wirklich seine Schleusen. Doch das war den meisten Zuhörern einerlei, weil sie sich längst aufs Positivste eingegroovt hatten – und weil mit „Mockingbird“ und „Hymn“ zwei der schönsten Songs aus dem reich gefüllten Schatzkästlein von Barclay James Harvest das Konzert stimmungsvoll beendeten.
Wer sich am Freitagabend im weiten Rund der Esslinger Burg umschaute, hat rasch erkannt, dass die Fans seit den 70ern und 80ern mit ihrer Lieblings-Band reifer und auch ein ganz klein wenig älter geworden sind. Deshalb wurde der Abend für viele zur Reise in die eigene Vergangenheit – bei jedem Titel durfte man Erinnerungen aus dem Gedächtnis hervorkramen, die untrennbar mit der Musik von BJH verbunden sind: „Weißt Du noch ...?“. Und die begann zunächst mit der deutschen Progressive-Rock-Formation Anyone’s Daughter, die zur selben Zeit wie BJH groß geworden war und die auf der Burg auch mit ihrer aktuellen Besetzung nahtlos an alte Tugenden anknüpfte. So war’s eine perfekte Einstimmung auf Barclay James Harvest, die auch John Lees und seinen Musikern Respekt abnötigte: „Das sind richtig gute Jungs. Es hat Spaß gemacht, Euch zuzuhören.“
Wenn eine Band wie BJH auf der Bühne steht, erwarten die meisten Fans vor allem ein Wiederhören mit den großen Hits vergangener Zeiten. Entsprechend hoch sind die Erwartungen gesteckt – am liebsten würden viele die Songs genau so erleben, wie sie sie seit den 70ern und 80ern unzählige Male auf den Alben von Barclay James Harvest gehört haben. Für viele Musiker ist das nicht allzu reizvoll, weil sie in ihrer musikalischen Entwicklung nicht stehengeblieben sind – und weil sie zeigen wollen, dass ihre Musik lebendig wie eh und je ist. Trotzdem müssen in Esslingen nur einige wenige Nummern neueren Datums genügen, um die musikalische Entwicklung der Band nach ihrer Teilung anzudeuten: Besonders bleibt der Titel „North“ in Erinnerung, der atmosphärisch dicht die Stimmung im englischen Norden, wo die Band zuhause ist, spürbar werden lässt.
„Best of Barclay“ haben John Lees (Gitarre und Gesang) und seine aktuellen Band-Kollegen Craig Fletcher (Bass und Gesang), Keyboarder Jez Smith und Schlagzeuger Kevin Whitehead ihre aktuelle Tour genannt. Da durften die altvertrauten Titel wie „Child of the Universe“, „Poor Man’s Moody Blues“, „Loving is easy“ oder „Medicine Man“ nicht fehlen. Manches haben John Lees und seine Band nur behutsam weiterentwickelt, bei einigen Titeln sind die neuen Einflüsse auch für Gelegenheits-Hörer unverkennbar. Was geblieben ist, ist ein Sound, der traumwandlerisch sicher auf dem schmalen Grat zwischen progressivem Rock und massentauglichem Mainstream balanciert. Und der typisch ist für die britische Band. Jeder unnötige Schnickschnack ist John Lees fremd – er lässt lieber die Musik sprechen. Ein paar knappe, wohl gesetzte Kommentare zwischendurch mussten auf der Burg reichen – ansonsten überließ er die Conférencen lieber Craig Fletcher, der augenzwinkernd durch ein Programm führte, dem die meisten eher versonnen als mit überschäumender Begeisterung folgten. Und das in vielen noch lange nachklingen wird.