Erst Mitte 2026 soll die S-Bahn über Filderstadt-Bernhausen Foto: Roberto Bulgrin - Roberto Bulgrin

Der S-Bahn-Anschluss Neuhausen wird 84 Millionen Euro teurer. Mit den Gründen befassten sich nun Gemeinderäte, Kreis- und Regionalräte. Alternativen sehen sie nicht.

EsslingenDie schlechte Nachricht ist schon vor gut einer Woche durchgedrungen: Die Verlängerung der S-Bahn von Bernhausen nach Neuhausen verzögert sich und kostet 84 Millionen Euro mehr. Wenn die erste S-Bahn Mitte 2026 fährt, wird das Projekt 209 Millionen Euro gekostet haben. Detailliert hat inzwischen Volker Christiani, Chefplaner der SSB (Stuttgarter Straßenbahnen), den Planungsstand erläutert, zunächst den Regionalräten im Verkehrsausschuss, dann im Gemeinderat Neuhausen und schließlich im Finanzausschuss des Kreistags. Gefreut hat sich niemand. Die Begründung Christianis konnten die Kommunalpolitiker nachvollziehen, was aber grundsätzliche Kritik am Planungsverfahren nicht ausschloss. Denn die Verzögerung liegt insbesondere am Genehmigungsverfahren. Die Kostensteigerung wird der allgemeinen Baukostensteigerung zugeschrieben. Nur sechs Millionen Euro seien durch geänderte Pläne verursacht worden, betonte Christiani.

2014, als die Region Stuttgart, der Kreis Esslingen sowie Filderstadt und Neuhausen den ersten Rahmenvertrag für die S2-Verlängerung abgeschlossen haben, wurde mit 125 Millionen Euro kalkuliert. 2016 war man bei knapp 150 Millionen angelangt. Nun hat man versucht, die Entwicklung bis 2026 vorauszusehen und landete bei 209 Millionen Euro.

Im März 2017 wurde das Planfeststellungsverfahren eingeleitet. Bei der üblichen Bearbeitungszeit läge die Genehmigung jetzt auf dem Tisch. Laut Christiani hatten Bürger und Behörden jedoch sehr viele Einwendungen erhoben. Obendrauf kam im Januar der Beschluss der Regionalräte, auf dieser Strecke auch den 15-Minuten-Takt zu zu ermöglichen. Daraus resultierte ein Planänderungsverfahren, nicht zuletzt, weil die dichtere Zugfolge auch besseren Lärmschutz erfordert. Das ist immerhin eine gute Nachricht: Die SSB sagt zu, freiwillig Unterschottermatten zu verlegen, die innerorts Lärm und Erschütterungen besser schlucken. Die öffentliche Erörterung der Pläne ist jetzt frühestens diesen Herbst möglich, die Genehmigung wird für 2020 erwartet.

Mehr Zeit brauchen die Planer auch für den Zuschussantrag. Im Gegensatz zum Bund, der 60 Prozent an den tatsächlichen Kosten zahlt, bleibt das Land bei den 20 Prozent der Kostenberechnung. Also rechnet die SSB genauestens, wie sich die Kosten bei jedem einzelnen Gewerk bis 2026 entwickeln könnten. „Es ist ein Irrsinn, dass sich ein Co-Finanzierer aus der Verantwortung schleicht“, wetterte SPD-Kreisrat Steffen Weigel gegen die Landesregierung. Beim „vermaledeiten“ Kosten-Nutzen-Faktor von 1,0 sieht Landrat Heinz Eininger genauso wie Weigel einen grundsätzlichen Webfehler. Wenn ein Projekt nötig sei, könne dieser Faktor nicht alleiniges Kriterium sein.

Auch Sieghart Friz, der neue CDU-Fraktionsvorsitzende, hadert mit dem Genehmigungsprozedere: „Was kriegen wir denn in Deutschland noch hin?“ So dürfe man die negative Botschaft nicht stehen lassen, hielt Rainer Moritz von den Grünen dagegen. Die Kosten liefen ja davon, weil die Baukonjunktur so gut laufe, und das liege wiederum daran, dass der Staat Geld für solche Infrastrukturprojekte habe.

Unerfreuliche Erfahrungen

Trotz des Ärgers über die Verzögerung stellten sich die Räte in allen drei Gremien grundsätzlich hinter das Projekt. „Die Filder ertrinken im Verkehr, es gibt wenig Alternativen“, sagte CDU-Kreisrat Friz. Im Regionalausschuss nannte der Plochinger Bürgermeister Frank Buß (Freie Wähler) das einstimmige Votum des Gremiums „ein kraftvolles Signal an die Beteiligten, das Projekt fortzusetzen“. Die Regionalräte Rainer Ganske (CDU) und Harald Raß (SPD) zeigten sich jedoch von der SSB enttäuscht. Man habe sich bewusst für die SSB als Projektpartner entschieden, weil man mit der Deutschen Bahn „unerfreuliche Erfahrungen“ gemacht habe. Nun passiere Ähnliches.

Im Gemeinderat Neuhausen schluckten die Gemeinderäte am Mittwochabend ebenfalls schwer. „Das ist schon ein Schlag in die Magengrube“, kommentierte Erich Bolich (SPD) die Nachricht. „Aber weil die Verkehrsprobleme auf der Straße nicht mehr zu lösen sind, bleibt uns nichts anderes mehr übrig.“ Für Neuhausen und Filderstadt bedeutet die Kostensteigerung, dass die Kommunen rund drei Millionen Euro mehr beitragen müssen, maximal könnten es 6,7 Millionen werden. Der Kreis ist nun mit 13 Millionen Euro dabei, sechs Millionen mehr.

Chefplaner Christiani findet im Übrigen die Verzögerung nicht so schlimm. Das Projekt sei 2013 so richtig in Gang gekommen, bei einer Inbetriebnahme 2026 habe es also 13 Jahre gedauert. „Als Infrastrukturplaner sage ich, das ist schnell.“

Es kommentiert: Roland Kurz

Roland Kurz

Einzeln betrachtet kann man alle Gründe nachvollziehen, warum die S-Bahnstrecke nach Neuhausen später fertig werden soll. Aber dass jeder einzelne Schritt länger dauert, ist kaum begreiflich. Der Zeitplan wird nicht zum ersten Mal korrigiert. Die Inbetriebnahme war mal für 2019 vorgesehen. Deshalb müssten eigentlich die Kommunalpolitiker und die Bürger auf die Barrikaden steigen, wenn die S2 erst 2026 in Neuhausen ankommen soll.
Auf den Fildern quälen sich Tag für Tag die Autofahrer über verstopfte Straßen, stöhnen Anwohner über Lärm und Gestank. Warum braucht ein Planfeststellungsverfahren 38 statt 16 Monate? Warum benötigt man zur Bearbeitung des Zuschussantrags jetzt ein Jahr statt drei Monate? Ist da niemand in Esslingen, Stuttgart oder Berlin, der Dampf machen kann? Es muss doch möglich sein, in Zeiten des Klimawandels einem Projekt Priorität einzuräumen und die Energie darauf zu konzentrieren. Traurig ist, dass sich die Landesregierung beim Zuschussverfahren ein Hintertürchen offen lässt. Damit zwingt sie den Projektträgern eine weitere Planungsrunde auf.
Und das nächste Trauerspiel kündigt sich schon an: Die Verlängerung von Neuhausen ins Neckartal. Noch immer sucht man die beste Variante. Wenn die gefunden ist, wird die Kosten-Nutzen-Rechnung aufgestellt, wird geplant, eingewendet, genehmigt. Ich würde ja wetten, dass Neuhausen 2046 immer noch Endstation ist. Aber ob ich mich mit 88 noch an diese Wette erinnere?