Im Silcherhof entstehen 124 neue Wohnungen. Doch das reicht nicht: Die Stadt empfiehlt den Neubau von 3100 Wohnungen bis 2030. Foto: Kaier

Von Melanie Braun
Wo soll in den kommenden Jahren gebaut werden, wo will man Gewerbe ansiedeln und welche Flächen sollen frei bleiben? Um diese Fragen wird in Esslingen seit Jahren gestritten. Heftig wird es immer dann, wenn die Stadt dazu ansetzt, die groben Planungen im Flächennutzungsplan (FNP) zu fixieren. Denn oft prallen bei den Vorhaben gegensätzliche Interessen aufeinander. Im Februar hat der Gemeinderat einen neuen Vorentwurf für den FNP beschlossen. Wir haben die Bürgerausschüsse der Stadtteile gefragt, was sie von den Plänen halten. In einer Serie werden wir ihre Positionen dazu darstellen.
Kern des neuen Vorentwurfs ist vor allem der Wohnungsbau. Der Wohnungsmarkt in der Stadt ist leer gefegt, vor allem günstige Domizile sind ein rares Gut. Deshalb empfiehlt die Stadt, bis 2030 etwa 3100 neue Wohnungen zu bauen – ein Fünftel davon im Außenbereich, alles andere in Baulücken in der Stadt. Doch dagegen regt sich teils massiver Widerstand: Viele Bürger fürchten um das Grün in ihrer Umgebung, um Freiflächen zur Erholung, Frischluftschneisen und ökologisch wertvolle Gebiete. Außerdem sorgen sie sich, dass mit mehr Menschen noch mehr Verkehr in die Stadt kommt.

600 Stellungnahmen eingegangen

Die Bedenken sind der Stadt wohlbekannt: Nachdem der Gemeinderat grünes Licht für den neuen Vorentwurf gegeben hatte, konnten auch die Bürger sowie die Träger öffentlicher Belange, also vornehmlich Behörden, ihre Stellungnahme zu dem Plan abgeben. Insgesamt rund 600 Stellungnahmen kamen dabei zusammen – einige davon deckten sich. Laut Stadtverwaltung bleiben aber immer noch rund 300 unterschiedliche Einwendungen übrig. Über den Sommer ist man im Rathaus damit beschäftigt, diese zu sichten, zu bewerten und gegebenenfalls im Entwurf des Flächennutzungsplans zu berücksichtigen. Voraussichtlich im Herbst soll die überarbeitete Version des FNP öffentlich vorgestellt werden.
Nach welchen Kriterien die Einwände bewertet und in den Vorentwurf eingearbeitet werden, will man im Rathaus allerdings nicht verraten. „Wenn ich dazu etwas sagen würde, würde ich mich angreifbar machen“, sagt der Baubürgermeister Wilfried Wallbrecht. „Dann heißt es vielleicht, ich wisse schon, was kommt.“ Seiner Meinung nach könnte das so verstanden werden, dass er etwas vorweg nehme, das erst noch im Gemeinderat beschlossen werden müsse. Auch aus rechtlicher Sicht könne es problematisch sein, sich zu den Einwendungen und zur Arbeit an dem Zukunftsplan zu äußern: „Das ist ein heikles Feld und wir stehen unter Beobachtung“, sagt Wallbrecht. Da wolle er keine Angriffsfläche bieten.
Thomas Kiwitt, Planungsdirektor der Region Stuttgart, hält sich mit Detailbewertungen ebenfalls zurück. Die Region ist für den Regionalplan zuständig, der als Grundlage für die Flächennutzungspläne der Kommunen dient. Aber Kiwitt betont: „Ich maße mir nicht an, zu sagen: Da und da soll Esslingen bauen.“ Generell müsse man aber schon bedenken, dass Esslingen eine gute S-Bahn-Verbindung und insgesamt eine gute Infrastruktur habe: „Insofern sollten da auch Leute wohnen.“ Denn wenn an solch günstigen Standorten Wohnraum verknappt werde, produziere man damit mehr Verkehr – schließlich müssten Menschen, die in der Stadt arbeiten, aber nicht wohnen, einpendeln.
Es sei aus Sicht der Region eine Kernaufgabe der Kommunen, genügend Wohnungen für die Kinder ihrer Bürger zu schaffen. Und auch wenn die aktuelle Geburtenrate darauf hindeute, dass die Bevölkerung langfristig schrumpfe, so sei zunächst noch von einem höheren Bedarf an Wohnungen auszugehen. Denn die Zahl der Anfang 20-Jährigen – also von Leuten in dem Alter, in dem man üblicherweise aus dem Elternhaus ausziehe und einen eigenen Haushalt gründe – sei derzeit noch höher als die der Mitte 80-Jährigen, die in absehbarer Zeit keine Wohnung mehr benötigten.
Hinzu komme, dass in den nächsten Jahren vermutlich viele Menschen in die Region zuwandern würden. Denn wenn man davon ausgehe, dass die Zahl der Arbeitsplätze gleich bleibe, dann bräuchte man den Zuzug von rund 140 000 Menschen, um diese Stellen besetzen zu können, rechnet Kiwitt vor. „Wir sollten vermeiden, dass es hier Jobs gibt und anderswo Leute, die diese annehmen wollen, aber hier kein Dach über dem Kopf finden“, so der Planungsdirektor.
Allerdings sei das Verkehrssystem in der Region heute schon am Limit, das werde sich so schnell auch nicht ändern. Deshalb sehe die Region Mittelzentren wie Esslingen ganz klar als wichtige Standorte für den Zuzug. Denn hier könnten sie den öffentlichen Nahverkehr nutzen. Insofern halte die Region die von Esslingen im neuen FNP vorgesehenen Neubauflächen eigentlich für zu gering. „Aber wir sehen auch die Schwierigkeiten in der Stadt“, betont Kiwitt. Die Topografie sei schwierig, zudem gebe es viele ökologisch wertvolle Flächen und wenig Platz: „Ich wüsste auch nicht, wo man noch mehr Flächen ausweisen sollte“, räumt der Planungsdirektor ein.

Das Planwerk und seine Vorgeschichte

Abbruch: Es ist nicht das erste Mal, dass die Stadt versucht, den Flächennutzungsplan fortzuschreiben. Das Planwerk, dessen derzeitige Fassung aus dem Jahr 1984 stammt, sollte schon vor Jahren erneuert werden. 2012 stimmte der Gemeinderat einem Vorentwurf zu – dem war ein Leitbildprozess samt Bürgerdialog vorangegangen. Doch angesichts der massiven Kritik aus der Bevölkerung beschloss die Stadt, das Verfahren zu unterbrechen und erneut in den Bürgerdialog zu gehen. Im Juli 2015 fasste der Gemeinderat einen Grundsatzbeschluss zur künftigen Stadtentwicklung. Wenige Monate später wollte die Verwaltung dann doch auf einen neuen Flächennutzungsplan verzichten und lieber auf Basis des bestehenden auf aktuelle Entwicklungen reagieren. Vergangenen Sommer beschloss man dann, doch einen neuen Entwurf zu erarbeiten.

Leitlinien: Im Flächennutzungsplan (FNP) werden die großen Leitlinien für die Stadtentwicklung der kommenden Jahre festgesteckt. Dabei handelt es sich um Optionen, nicht um konkrete Bauvorhaben. Am FNP, der vom Regierungspräsidium Stuttgart genehmigt werden muss, sollen sich die Bebauungspläne in der Stadt orientieren.

Serie

In einer Serie wird die Eßlinger Zeitung in den kommenden Wochen die Positionen der Bürgerausschüsse zu den Empfehlungen der Stadtverwaltung für den Flächennutzungsplan darstellen. Wo sind aus Sicht der Bürger die Knackpunkte bei den Planungen, was begrüßen und was kritisieren sie? Um diese Aspekte wird es bei unserer Serie gehen, die in loser Folge die wichtigsten Vorhaben und die Reaktionen aus der Bürgerschaft beleuchten wird. Los geht es am kommenden Samstag mit der Pliensauvorstadt, wo vor allem die Bebauung des VfL-Post-Geländes umstritten ist.