Foto: Roberto Bulgrin - Roberto Bulgrin

Während die Stadt den Alicensteg über Neckar und B 10 lieber heute als morgen abreißen will, wächst im Gemeinderat die Bereitschaft, die Fußgängerverbindung zu erhalten.

EsslingenDie Zukunft des Alicensteg als schnellste Fußgängerverbindung zwischen Zollberg und der Esslinger Innenstadt entwickelt sich zur unendlichen Geschichte. Im Aussschuss für Technik und Umwelt des Gemeinderats, wo das Thema jetzt auf Antrag von Die Linke, SPD, Grünen und FDP auf der Tagesordnung stand ist keine Entscheidung gefallen, was mit dem maroden Steg geschehen soll. Allerdings stehen die Zeichen im Gemeinderat eher auf Erhalt des Bauwerks, während die Verwaltung die Fußgängerbrücke lieber heute als morgen und ersatzlos abreißen würde.

Der Ausschuss für Technik und Umwelt will die Diskussion am Montagabend als erste Lesung zu diesem Thema verstanden wissen und hat die Verwaltung beauftragt, ein Gesamtkonzept für die Fußgängerbeziehungen zu entwickeln. Dieses soll dann Grundlage für die Entscheidung sein, ob der Alicensteg neu gebaut wird, eventuell sogar an anderer Stelle, ob nur der Überbau erneuert wird, oder ob er auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Die Kosten würden bei einem Erhalt der Brücke bei zwei Millionen Euro liegen, ein Abbruch käme nach den Berechnungen der Verwaltung auf etwa 200 000 Euro. Uwe Heinemann, der Leiter des Tiefbauamtes, würde den Steg am liebsten noch vor dem kommenden Winter „zurückbauen“, sprich abreißen. Denn das 113 Meter lange Bauwerk über Neckar, Bundesstraße 10 und Berkheimer Straße ist seit August 2015 ob seines maroden Zustandes gesperrt und kostet trotzdem Geld. Immer wieder muss es überprüft werden, weil sich der Belag auflöst und so die Gefahr besteht, dass größere Brocken auf die B 10 fallen.

Vor einer Instandsetzung des auch von starker Korrosion befallenen Steges warnt Heinemann auch deshalb, weil dafür die Bundesstraße zumindest zeitweilig komplett gesperrt werden müsste. Ob es dafür eine Genehmigung geben würde, bezweifelt der Tiefbauamtschef. Aus seiner Sicht stellt die Fußgängerverbindung vom Zollberg über den Unteren Eisbergweg zur Berkheimer Straße und von dort über die Vogelsangbrücke eine gute Alternative zum Alicensteg dar.

„Wir brauchen eine Entscheidung“, sagte Heinemann auch mit Blick auf das, was sich derzeit sonst noch in der Stadt abspielt. „Wir kümmern uns gerade im drei Großbrücken und es gibt etliche Innenstadtbrücken, die ebenfalls marode sind. Das sind ganz andere Probleme“, betonte der Leiter des Tiefbauamtes im Ausschuss für Technik und Umwelt.

Trotz solcher Argumente, bis hin zu der von Heidi Bär gestellten Frage, ob sich die 1968 erbaute Fußgängerbrücke überhaupt an der richtigen Stelle befindet, schlägt das Herz der Stadträtinnen und Stadträte mehrheitlich für den Alicensteg. Denn zu dem Plan, die Mobilität in der Stadt neu zu definieren, gehörten eben auch die Bedürfnisse der Fußgänger. „Wir sollten das Geld für die Erneuerung des Überbaus in die Hand nehmen“, meinte Stadtrat Andreas Fritz (Grüne). „Wir wollen die Mobilitätswende und dazu gehören Fußwege“, sagte Heidi Bär (SPD). Für Eberhard Scharpf (Freie Wähler) ist es mit dem Erhalt des Steges allein aber nicht getan. Ihm geht es auch um die Fortführung des Weges in Richtung Zollberg. Dafür müsse einiges investiert werden, das sei bei der Kalkulation zu berücksichtigen. Auch Karin Pflüger (CDU) richtet den Blick auf die Kosten und stellt die Frage nach dem Aufwand für einen komplette Neubau. Ansonsten sieht sie durchaus Potenzial für den Steg. Die künftigen Bewohner des Nürk-Areals wollten schließlich auch eine schnelle Verbindung in den Merkelpark. Johanna Renz (Linke) sprach sich ebenso für den Steg aus wie Rena Farquhar (FDP), die vor allem die Erreichbarkeit der Jugendfarm und der Innenstadtschulen in den Vordergrund stellte.

Als der Steg noch offen war, für den übrigens schon vor Jahren ein Abbruchbeschluss im Rahmen der Haushaltskonsolidierung gefasst worden ist, wurde diese Verbindung nicht gerade im Übermaß genutzt. „Die Zahl der Leute war sehr übersichtlich“, so auch die Erfahrung von Baubürgermeister Wilfried Wallbrecht. Gleichwohl schreibt man dem Steg im Zollberger Bürgerausschuss eine wichtige Bedeutung für all diejenigen zu, die ihn genutzt haben: etwa für Kinder aus verschiedenen Esslinger Schulen, die auf der Jugendfarm Kinder betreut oder auf dem TSG-Gelände Sportunterricht hatten. Oder aber für die Mitarbeiter der WLB-Werkstatt auf dem Zollberg.

Die alleinige Sicht auf die Funktion und Bedeutung des Alicensteges reicht dem Ausschuss mit Blick auf ein Mobilitätskonzept für die gesamte Stadt allerdings nicht aus. SPD-Fraktionschef Andreas Koch sprach an die Adresse der Verwaltung gerichtet gar von einem „destruktiven Stückwerk“. Denn Lücken, wenn es um Fußgängerverbindungen über den Neckar geht, sieht Koch auch an anderer Stelle: etwa im Bereich Mettingen-Brühl-Weil oder zwischen der Neuen Weststadt und dem künftigen Neckaruferpark.

Kommentar: Nur ein Symbol?

Wenn man den Fall einmal ganz emotionslos betrachtet, dann gibt es tatsächlich viele Gründe, den verrosteten und bröckelnden Alicensteg dauerhaft zu beseitigen. Die Fußgängerbrücke wurde auch zu ihren besten Zeiten nicht über Gebühr genutzt, die großen Schäden machen eine Totaloperation wohl unumgänglich, es gibt eine alternative, wenngleich längere Streckenführung, und das liebe Geld spielt in Zeiten eines 20 Millionen Euro tiefen Haushaltslochs natürlich auch eine Rolle.
Da wäre ein Verzicht auf das Bauwerk die logische Konsequenz, all seiner Bedeutung als Teil des europäischen Jakobsweges und des Esslinger Höhenweges zum Trotz. Doch wie überall wird auch in Esslingen die Frage, welche Art von Mobilität wir uns in Zukunft leisten wollen oder können, neu diskutiert. So verlässt auch der neue Esslinger Gemeinderat den Weg, nur die Folgen von Klimawandel und Umweltbelastung zu beklagen, es ansonsten aber bei einem „Weiter so“ zu belassen.
So könnte der Alicensteg letztlich zu einem Symbol für das Ziel werden, alle Verkehrsarten, ob Autos, Nahverkehr, Fahrradfahrer oder Fußgänger, möglichst gleichrangig zu behandeln. Das muss man sich freilich leisten können. Auch vor dem Hintergrund, dass uns die Großbrücken über den Neckar und diverse innerstädtische Brückenbauwerke noch viele Jahre beschäftigen werden – finanziell und verkehrstechnisch.
Wer über ein Mobilitätskonzept für die Stadt spricht, kann nicht den Blick auf einzelne Projekte richten. Es geht um das Zusammenspiel aller Verkehrsarten und Verkehrswege und nicht um punktuelle Interessen. Deshalb ist die Forderung des Ausschusses für Technik und Umwelt nach einem Gesamtkonzept wichtig. Erst dann wird deutlich werden, welche Funktion der Alicensteg im großen Gefüge einnimmt. Und erst dann ist die Grundlage für eine Entscheidung gelegt.
Aber seien wir doch mal ganz ehrlich: Ein bisschen Luxus ist speziell dieser Brückenschlag über den Neckar schon. (cid)