Ingrid Göhring trägt seit 30 Jahren Muscheln und Meeresschnecken zusammen und beschäftigt sich auch mit den Lebensgewohnheiten der Tiere. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Seit 30 Jahren sammelt Ingrid Göhring Muscheln und Meeresschnecken. Sie ist von der Artenvielfalt der Meeresbewohner, mit denen sie sich auch wissenschaftlich beschäftigt, fasziniert.

Esslingen Seit dem Mittelalter ist sie Symbol der christlichen Pilger und weist in stilisierter Form den Wanderern auf dem Jakobsweg die Route. Die Große Pilgermuschel, auch als Jakobsmuschel bekannt, fasziniert Ingrid Göhring. „Es ist doch sehr beeindruckend, was die Natur hervorbringt.“ Die Esslingerin sammelt Muscheln und Meeresschnecken, kennt aber nicht nur deren deutsche, sondern auch die lateinischen Namen und hat die Lebensgewohnheiten der Meeresbewohner studiert. „Ich betreibe dieses Hobby als wissenschaftliche Sammlung“, sagt die Sammlerin, die den Unterschied zwischen Muscheln, von denen es rund 20 000 Arten gibt, und Meeresschnecken, die es auf rund 105 000 Arten bringen, genau kennt: „Eine Meeresschnecke ist von der Spitze her spiralig aufgewunden.“

Wandelndes Lexikon

Im Souterrain ihres Hauses hat sie sich einen Raum eingerichtet, in dem die Schätze in fein säuberlich beschrifteten Kartons verwahrt werden. Wer den Deckel hebt, kann sich auf eine Reise durch die Weltmeere machen. Angefangen hat alles vor 30 Jahren, als Ingrid und Dieter Göhring mit ihren Kindern Urlaub auf der Nordseeinsel Spiekeroog gemacht haben. Bei den täglichen Strandspaziergängen „waren wir von den Muscheln so begeistert, dass wir jede Menge gesammelt haben“. Die schönsten Stücke durften dann, gesäubert und gut verpackt, mit zurück nach Esslingen reisen. Hier wurden die Urlaubssouvenirs bei Kindergeburtstagen zur Attraktion. „Wir haben Muschelketten gebastelt und Spanschachteln damit beklebt“, erzählt Ingrid Göhring, die einige der hübsch gestalteten Schachteln bis heute verwahrt. Von der Vielfalt der Unterwasserwelt angetan, wollte sie mehr über die Meeresbewohner mit der harten Schale wissen. „Ich habe mir Literatur besorgt und bin dadurch immer tiefer in das Thema eingestiegen.“ Inzwischen ist sie ein wandelndes Lexikon. Wie viele Muschelschalen und Schneckengehäuse in den Kartons liegen sowie dekorativ in Gläsern arrangiert sind, hat die Sammlerin nicht gezählt. Denn ihr kommt es nicht auf Masse an. Vielmehr möchte sie den Reichtum der Meere dokumentieren, und zeigen, dass auch dort Individuen leben. Ob Muschel oder Schnecke: „Jedes Gehäuse sieht anders aus, und jedes ist schön.“ Damit die gesammelten Werke ihre ganze Pracht entfalten, reibt Ingrid Göhring sie mit flüssigem Parafin ein.

Das Ehepaar, das als gemeinsames Hobby die Orchideenzucht pflegt, ist viel in der Welt herumgekommen. An den Stränden der Seychellen haben sie ebenso nach den Objekten ihrer Begierde Ausschau gehalten wie in Neuseeland und auf Sanibel Island in Florida – ein Dorado für die Liebhaber von Muscheln und Meeresschnecken. Von dem im Golf von Mexiko gelegenen Eiland hat die Sammlerin unter anderem eine weiße, ganz leichte Muschel mitgebracht, die „Sailors Ear“ genannt wird. Zu den europäischen Lieblingszielen gehört seit vielen Jahren die Bretagne. „Mit rund 14 Metern gibt es dort den größten Tidenhub. Und je höher das Wasser steht, desto weiter zieht es sich auch wieder zurück“, erklärt die Expertin, die sich, am Ziel angekommen, als erstes einen Gezeitenkalender besorgt. „Außerdem ist das Meer in der Normandie und Bretagne durch den Golfstrom artenreicher als die Nordsee.“ Weil die Tiere in wärmerem Wasser mehr Nahrung finden, färben sich ihre Schalen intensiver. „Von der Farbe her findet man dort die schönsten Pilgermuscheln.“

Expertin für Meeresströmung

Wenn das Wasser abläuft, macht sich Ingrid Göhring, zu deren Urlaubsgepäck neben Gummistiefeln auch Eimer und eine Bürste gehören, auf den Weg. „Ich bin inzwischen Expertin für die Meeresströmung geworden“, erklärt die Sammlerin, die nur leere Schalen und Gehäuse in den Eimer legt – „allerdings nur von Arten, die nicht unter Schutz stehen“. Besonders ergiebig ist die Suche nach einem Sturm. Denn da werden Meeresbewohner angespült, die eine weite Reise hinter sich haben. So hat die Esslingerin, die mit Fotos ihrer schönsten Stücke Glückwunschkarten gestaltet, an der Nordsee Islandmuscheln gefunden. „Das sind dann sehr seltene Funde“, die das Herz der Sammlerin natürlich höher schlagen lassen. „Ich habe eine Beziehung zu jedem einzelnen Stück, weil ich jeden Strand, an dem ich gesammelt habe, ganz genau kenne.“

Man glaubt gar nicht, was man alles sammeln kann. Wir haben unsere Leserinnen und Leser aufgerufen, uns von ihrer Sammelleidenschaft zu berichten. Die Resonanz war sehr erfreulich, und so werden wir in loser Folge unter dem Titel „Gesammelte Werke“ einige Menschen und natürlich das vorstellen, was ihre Sammelleidenschaft geweckt hat.