Ausschreibungen für freie Stellen gibt es derzeit zu Genüge in der Esslinger Stadtverwaltung. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Ob Erzieherinnen, Ingenieure oder Architekten: Die Esslinger Stadtverwaltung sucht in fast allen Bereichen neue Mitarbeiter. Derzeit sind rund 130 Stellen unbesetzt.

EsslingenDie Stadt sucht händeringend Erzieherinnen, Ingenieure und Architekten, aber auch Handwerker und IT-Experten: Der Fachkräftemangel in der Stadtverwaltung zieht sich durch fast alle Bereiche. Rund 130 Stellen im Rathaus sind unbesetzt. Die Personalnot hat Folgen: Kitagruppen können nicht eröffnet werden, Bebauungsplan-Verfahren ziehen sich in die Länge, Projekte bleiben liegen und beim Radverkehr kommt man nicht voran. Im Rathaus will man sich nun verstärkt um neue Mitarbeiter bemühen – doch Esslingen ist nicht die einzige Kommune, die Personal sucht.

In der Stadtverwaltung macht man sich viele Gedanken, wie man neue Mitarbeiter gewinnen kann. „Es reicht nicht mehr, einfach eine Stellenanzeige zu schalten“, sagt Oberbürgermeister Jürgen Zieger. Deshalb wird in der Personalabteilung ein Bereich für die Mitarbeitergewinnung aufgebaut, der zunächst zwei Stellen umfassen soll. „Zudem müssen wir uns die kritische Frage stellen, ob wir Architekten, Ingenieure und IT-Experten noch bekommen für die Löhne, die wir zahlen“, sagt Zieger. Denn nicht nur zahle die freie Wirtschaft weit mehr, auch manch kleinere Stadt biete deutlich höhere Gehälter.

Mehr Geld für Erzieherinnen

Das gleiche gelte für Erzieherinnen. „Hier wollen wir das Entgelt-Niveau anheben“, sagt Zieger. Das bedeute angesichts der fast 500 Erzieherstellen wohl Mehrkosten in siebenstelliger Höhe – dennoch soll der Gemeinderat im Herbst darüber diskutieren. Zudem müsse man über eine großzügigere Freistellung der Kita-Leitungen für Organisation und Planung nachdenken, im Vergleich zu anderen Kommunen sei diese in Esslingen unterdurchschnittlich. Darüber hinaus will man Führungskräfte strategischer ausbilden und sich weichen Faktoren widmen, um die Stadt als Arbeitgeber attraktiver zu machen, etwa das Gesundheitsmanagement ausbauen, mehr Weiterbildung anbieten, öfter mobiles Arbeiten ermöglichen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Aber auch die Arbeitskultur müsse man modernisieren, so Zieger: „Qualifizierte Mitarbeiter wollen heute anders geführt werden.“

Klar ist bei dem Thema für Zieger: „Hier ist Druck auf dem Kessel.“ Denn das Personal fehle an allen Ecken und Enden: Ingenieure und Handwerksmeister im Tiefbauamt, Stadt- und Verkehrsplaner im Planungsamt, Architekten und IT-Experten bei der städtischen Tochter SGE (Städtische Gebäude Esslingen), Sachbearbeiter in der Kämmerei und Fachleute im Amt für Soziales und Bildung sowie in der Wirtschaftsförderung – und nicht zuletzt zahlreiche Erzieherinnen. Rund 75 der 130 freien Stellen müssen nach Ansicht der Rathausspitze besonders dringend besetzt werden, für 20 weitere hat man Mitarbeiter gefunden, die bald ihren Job antreten können.

Die hohe Zahl offener Stellen macht auch den Stadträten zu schaffen. Die Fraktionen und Gruppen im Gemeinderat halten die Personalnot durch die Bank für ein massives Problem. Nicht nur, weil wichtige Themen wie im Bereich Verkehr gar nicht oder nur schleppend bearbeitet würden und Kitagruppen geschlossen blieben. Sondern auch, weil die verbliebenen Mitarbeiter im Rathaus einen Teil der Aufgaben nicht besetzter Stellen zusätzlich erledigen müssten. „Es droht das Abgleiten in einen Teufelskreis“, warnt Tobias Hardt von der Linken. Denn ständige Überlastung führe zu Unzufriedenheit und Krankheitsausfällen. Carmen Tittel, Fraktionschefin der Grünen, betont: „Fachkräftemangel hat gravierende Auswirkungen auf die ganz normalen Verwaltungsabläufe und die kommunale Daseinsvorsorge für die Bürgerinnen und Bürger.“

Allerdings sehen die Räte wie die Verwaltung die Gründe für den Personalmangel vor allem im Wirtschaftsboom. Die Unternehmen zahlten deutlich bessere Löhne als die öffentliche Hand, es herrsche nahezu Vollbeschäftigung und die Arbeitnehmer müssten kaum betriebsbedingte Kündigungen fürchten. Hinzu kommt laut Zieger ein Demografieproblem: Es gebe nicht genug Nachwuchs, um Fachkräfte zu ersetzen, die in den Ruhestand gehen. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Jörn Lingnau glaubt aber auch, dass häufige Umstrukturierungen und die hohe Fluktuation im Rathaus ein Grund für die vielen Vakanzen sein könnten. „Wir müssen mehr Ruhe reinbringen“, fordert er. Annette Silberhorn-Hemminger, Fraktionschefin der Freien Wähler, findet, dass die Bewerbungsverfahren zu lange dauern: „Hier muss man schneller und effektiver werden.“

OB bleibt optimistisch

Dass die von ihnen mitgetragenen Stellenstreichungen zur Haushaltskonsolidierung das Personalproblem verschärft haben, glauben die meisten Räte nicht. Zumal die Entscheidungen aus finanzieller Sicht richtig gewesen seien, betont vor allem Silberhorn-Hemminger. Und OB Zieger sagt: „Man kann ja nicht prospektiv Stellen schaffen.“ Derweil fasst sich der SPD-Fraktionschef Andreas Koch als Stadtrat an die eigene Nase. Es sei schon kritisch zu sehen, dass der Personalabbau nicht immer mit einer Reduzierung der Erwartungen an die Verwaltung verbunden gewesen sei: „Das geht auf Dauer nicht gut.“

Ein Patentrezept gegen den Personalmangel haben die Räte nicht. Einig ist man sich , dass man über höhere Gehälter reden muss. Rena Farquhar (FDP) schlägt zudem mehr Verbeamtungen vor. Darüber hinaus muss aus Sicht der Räte für ein gutes Betriebsklima und weiche Standortfaktoren wie eine gute Work-Life-Balance, Unterstützung bei der Wohnungssuche oder gute Karrieremöglichkeiten gesorgt werden. Zu lange sollten die Vakanzen nicht andauern, denn in den kommenden Jahren stehen mit den Sanierungen der Brücken und der Geiselbachstraße einige Großprojekte ins Haus, die geplant und überwacht sein wollen. Doch OB Zieger bleibt optimistisch und hält es mit Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Wir schaffen das“, betont der Rathauschef.

Ein flächendeckendes Problem

Personalnot: Laut Arne Pautsch, Professor für Öffentliches Recht und Kommunalwissenschaften an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg, betrifft die Personalnot im Prinzip alle Kommunen bundesweit, und zwar unabhängig von ihrer Größe. Das zeige sich insbesondere in der Kämmerei, über die jede Gemeinde verfügen müsse und wo enormer Personalmangel herrsche. Bei guter Konjunktur würden die gut bezahlten Jobs in der Wirtschaft oft bevorzugt. Das Interesse an den als krisensicher geltenden Stellen im öffentlichen Dienst steige tendenziell eher bei wirtschaftlich angespannter Lage.

Beamtenstatus: Pautsch findet, man könne den Kommunen nicht vorwerfen, sich zu wenig um Mitarbeiter gekümmert zu haben: Beamten- und Tarifrecht im öffentlichen Dienst seien transparent, jeder Bewerber wisse, auf was er sich einlasse. Er plädiert jedoch klar dafür, dass öffentliche Verwaltungen möglichst weitgehend am Beamtenstatus festhalten – was in Baden-Württemberg zum Glück meist der Fall sei. Denn nur so könne man hier langfristig die Personalplanung sichern. Dass Angestelltenverhältnisse sich wegen der größeren Flexibilität für öffentliche Verwaltungen auszahlten, sei ein Trugschluss, sagt Pautsch.