Moderator Theo Rombach (links) befragt Vertreter von Hochschulen, Handwerk und Industrie sowie die beiden Gastgeber, KSK-Vorstand Burkhardt Wittmacher (3. von rechts) und Landrat Heinz Eininger (4. von rechts). Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Mit Rang 22 unter 402 deutschen Landkreisen steht der Kreis Esslingen nicht schlecht da. Er zählt zu den besten fünf Prozent. Aber zum einen ist sein Weg nach oben abgebremst worden, zum anderen steht er als Zuliefer-Standort für die Automobilindustrie vor einem Strukturwandel. Deshalb trafen sich Firmenchefs und Kommunalpolitiker im Landratsamt, um über Stärken und Schwächen des Landkreises zu reden und in den nächsten Monaten an seiner Zukunftsfähigkeit zu feilen.

Von Roland Kurz

Alle drei Jahre wird der Prognos-Zukunftsatlas veröffentlicht. 2016 landete der Kreis Esslingen auf Platz 22, nochmals drei Plätze besser als 2013. Doch dieser relativ kleine Fortschritt nahm Landrat Heinz Eininger als Signal wahr, dass man sich nicht zufrieden zurücklehnen kann: „Die Dynamik ist raus, die Luft wird oben dünner.“ 2007 war der Kreis nur auf Rang 68, dann machte er 2010 und 2013 zwei größere Sprünge. In manchen Punkten hörte sich Einingers Urteil sogar negativer an als das Zeugnis von Prognos: „Verstopfte Straßen, verspätete Züge und lahme Datennetze sind für mich kein Beleg für Zukunftsfähigkeit.“ Gemeinsam mit der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen lud Eininger deshalb am Montagabend zum Zukunftsdialog ein.

Innovationstempo nimmt zu

Der Auftaktveranstaltung folgen vier Workshops und Ende dieses Jahres sollen dann konkrete Empfehlungen und umsetzbare Projektvorschläge auf dem Tisch liegen. Ob die etwa 40 Unternehmer, zu denen sich Kreisräte, Amtsleute aus Rathäusern und die Führungsriege des Landratsamts gesellten, eine gute Beteiligung sind, darüber gingen die Meinungen beim anschließenden Umtrunk auseinander.

In den Zukunftsfeldern der deutschen Wirtschaft - darunter Maschinen- und Fahrzeugbau, Dienstleistungen für Forschung und Entwicklung, Gesundheitswirtschaft - arbeiten im Kreis Esslingen bereits 43 Prozent der Beschäftigten, ein hervorragender Wert. Damit verbunden ist auch die hohe Zahl der Patente. Tobias Koch, Leiter des Stuttgarter Prognos-Büros, sieht jedoch eine nachlassende Innovationskraft im Mittelstand bei gleichzeitig immer schneller aufeinander folgenden Innovationsprozessen. Dass die Digitalisierung alte Geschäftsmodelle verändere, sei nichts Neues, aber dieser Prozess nehme Fahrt auf. Strukturwandel und Digitalisierung sollen deshalb in zwei Workshops beackert werden.

Seit 2009 ist die Bevölkerungszahl im Landkreis dank seiner Wirtschaftsstruktur ständig gewachsen. Aber die Zuwanderung reicht nicht aus, um den demografischen Wandel auszugleichen. Prognos prognostiziert deshalb einen Fachkräfte-Engpass und eine steigende Zahl unbesetzter Lehrstellen. Schulabbrecher müssten deshalb unbedingt aufgefangen werden. Zwei weitere Schwachstellen des Landkreises sind laut Prognos der Wohnungsmarkt und die Lücken im Breitbandnetz. Jährlich 1300 neue Wohnungen auf den Markt zu bringen, reiche nicht, so Koch. Das führe zu weiterem Preisanstieg und zu noch mehr Pendlern und Verkehrsbelastung. Er riet dazu, dieses Zeitfenster - gute Haushaltslage und Förderprogramme von Bund und Land - für die Erneuerung der Infrastruktur zu nutzen.

Der Landrat sieht einige Weichen schon richtig gestellt. Von Moderator Theo Rombach auf die Platzierungen Böblingens (Rang 4) und Ludwigsburg (Rang 12) angesprochen, verwies Eininger auf die Schienenprojekte auf den Fildern inklusive des ICE-Bahnhofs am Flughafen. Auch beim Breitband-Ausbau habe der Kreis mit dem Aufbau des Netz-Rückgrats die Initiative ergriffen, aber das Land müsse mehr fördern.

Handwerk nutzt Digitalisierung

Christoph Nold, Geschäftsführer der IHK-Bezirkskammer, bewertet zwar den Fachkräfte-Engpass als Risikofaktor erster Ordnung, sieht aber das Fachkräftebündnis auf Kreisebene als ein gutes Instrument. Weniger positiv äußerte sich Christian Maercker, Rektor der Hochschule Esslingen. Die Personalfrage im Pflegebereich hält er für alarmierend. Jens Schmitt, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, war sich mit dem Landrat einig, dass sich das Image nichtakademischer Berufe ändern muss. Auch das Handwerk, so Schmitt, nutze zunehmend die Digitalisierung. Es entwickle neue Geschäftsmodelle und leiste mehr Wissensarbeit. Die Begriffe Fachkräftemangel und Vollbeschäftigung charakterisieren für Wilfried Hüntelmann, den Leiter der Agentur für Arbeit Göppingen-Esslingen, den Arbeitsmarkt nicht vollständig. Nach wie vor gebe es 3000 Langzeitarbeitslose. Angesichts des Wandels zur E-Mobilität müsse die Industrie rund um das Auto neue Geschäftsmodelle entwickeln, betonte Andreas Frey, Rektor der Hochschule Nürtingen.

Vergleichsweise ratlos zeigte sich die Podiumsrunde beim Thema Immobilienmarkt. Wenn man selbst auf dem Dorf mehr als 1000 Euro pro Quadratmeter zahle, sei etwas aus dem Gleichgewicht geraten, sagte Burkhardt Wittmacher, Vorstandsvorsitzender der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen. Es gehe nicht nur um Wohnungen, sondern um Flächen allgemein, ergänzte Eininger, „an deren Verfügbarkeit wird sich manches entscheiden.“

Schwächen und Stärken des Landkreises esslingen

Stärken:

Kreis gewinnt an Bevölkerung und besitzt hohe Attraktivität für junge Erwachsene (2015: plus 7300 Einwohner).

Starke und technologieorientierte Wirtschaftsstruktur mit hohem Anteil Forschung und Entwicklung (Rang 25 von 402 Kreisen), hohe Patentintensität (Rang 26).

Starker und dynamischer Arbeitsmarkt, Zunahme der Beschäftigung und hohe Akademikerquote, Arbeitslosenquote bei 3,3 Prozent, Landesdurchschnitt 3,7 Prozent).

Sehr hohes Kaufkraftniveau, geringe Zahl an Hilfeempfängern und geringe Kriminalitätsrate.

Geringe kommunale Schuldenlast und damit hoher Gestaltungsspielraum.

Schwächen

Wachsender Fachkräfte-Engpass und Anstieg bei unbesetzten Ausbildungsstellen.

Nur Mittelmaß bei Fertigstellung neuer Wohnungen (2,6 Wohnungen auf 1000 Einwohner, Kreis Böblingen: 3,7 Wohnungen auf 1000.

Deutliche Lücken bei der Breitbandversorgung auf dem Land.