Quelle: Unbekannt

Mit Hingabe lauschen Drei- bis Sechsjährige unter dem Motto „Nacht & Nachtigall“ einer Prise Johann Sebastian Bach bei einem der Mini-Konzerte im Rahmen des Podium-Festivals.

EsslingenMit großen Augen bewundert ein kleines Mädchen Lisa Ströckens in ihrem federbesetzten Nachtigallen-Kleid: „Du siehst aber schön aus, und du kannst so schön singen.“ Und warum bloß kann diese Vogelart so wunderschön trillern, zwitschern und flöten? Weil sie immer und überall Töne und Klänge sammelt. Manche nimmt sie einfach mit, andere stibitzt sie frech. „Helft mir. Wir sammeln alles ein, was schön klingt“, animiert die Sopranistin die Kids in der Kindertagesstätte Neckarstraße. Und die packen gleich noch das Miauen einer Katze, das Bellen eines Hundes, das Fauchen eines Tigers und das Stürmen des Windes mit ein. Aus all diesen Tönen will die Nachtigall dann ein Lied für sie singen. Weil sie aber nur nachts so wohltönend singen kann, heißt es für alle: Hinlegen, Augen zumachen und zuhören. Mit Hingabe lauschen die Drei- bis Sechsjährigen unter dem Motto „Nacht & Nachtigall“ einer Prise Johann Sebastian Bach, ein wenig Richard Strauss und ein bisschen John Dowland. Rund 300 Esslinger Kindergartenkinder waren in diesem Jahr im Rahmen des Podium-Festivals in 20 Mini-Konzerten in den Genuss dieses zauberhaften Klassik-Programms gekommen, das Gitarristin Wiebke Rademacher und Sängerin Lisa Ströckens konzipiert haben.

Der Auftritt ist mit knapp 20 Minuten Länge auf die Aufmerksamkeitsspanne von Kindern im Kindergartenalter zugeschnitten, Ausmalbögen und eine CD mit den Musikstücken gibt es hinterher noch mit dazu. Zum Konzept des Podium-Festivals gehörten von Anfang an speziell auf Kinder und Jugendliche zugeschnittene Produktionen, Workshops, Konzerte und Angebote. Zum zehnjährigen Jubiläum sollten in diesem Jahr erstmals auch die Allerkleinsten zum Zug kommen. Das für die Kindergärten kostenlose Mini-Konzert, das in Kooperation mit dem Esslinger Helbling-Verlag verwirklicht wurde, ist als Überraschung für die Kinder gedacht – „eine kleine Konzert-Intervention in Esslinger Kindertagesstätten“, scherzt Wiebke Rademacher. Die Leiterin des Podium-Education-Programms, die derzeit ihre Doktorarbeit in Musikwissenschaft schreibt, freut sich über die Reaktionen: „Die Kinder haben leuchtende Augen. Sie schenken uns ganz viel Aufmerksamkeit. Sie sind wie gebannt, und es fasziniert sie sehr, eine klassische Gesangsstimme ganz aus der Nähe zu hören.“ Kindgerecht und spielerisch haben die beiden Musikerinnen die kleine Aufführung in Szene gesetzt, sehr zart, sehr behutsam und ohne schnelle Wechsel. „Wir haben versucht, einen Klangraum aufzumachen, in dem die Kinder Zeit haben, den Tönen nachzuspüren. Und ich habe das Gefühl, dass sie diesen sehr ruhigen Moment im Kita-Alltag sehr genossen haben“, berichtet Rademacher.

Das Konzept des Podium-Festivals, Musik in neuen Zusammenhängen und experimentellen Konzertformaten ganz nah bei den Zuhörern zu präsentieren, haben die beiden Musikerinnen auch auf ihre Mini-Konzerte übertragen: „Hätten wir den Kindern gesagt: ‚So, in einer Reihe auf die Stühle sitzen, ganz leise sein, wir spielen euch was vor.‘ Dann hätten sie vermutlich keine zwei Minuten zugehört, weil sie das nicht gewöhnt sind. Wenn man aber ein Konzert-Format wählt, bei dem die Zuhörer die Möglichkeit haben, sich auf die Musik einzulassen, dann gibt es keine Distanz. Schwellen gehen nicht von der klassischen Musik aus, sondern vom Format, von der Präsentation oder von der Art der Ansprache“, hat Rademacher beobachtet. Beim Podium-Workshop mit Mädchen zwischen 14 und 18 Jahren hat sie ähnliche Erfahrungen gemacht: „Die Mädchen hatten vorher keinen Zugang zu klassischer Musik. Und sie haben auf komplexe, sperrige neue Musikwerke unglaublich toll, unmittelbar und intensiv reagiert. Uns hat es völlig begeistert, wie präzise sie zugehört, die Musik beschrieben und dann frei dazu assoziiert haben.“ Und auch das diesjährige Kulturrucksack-Projekt, bei dem alle Esslinger Fünftklässler mit dem Berliner Stegreif-Orchester eine Sinfonie von Brahms erleben durften, bestätigt das Podium-Team in seiner Prämisse: „Musik, die gut geformt ist und im richtigen Format präsentiert wird, kann immer toll wirken.“