Für die Hanns-Martin-Schleyer-Brücke in Mettingen gibt es keinen Aufschub. Sie muss schon in den nächsten fünf bis sechs Jahren abgerissen und neu gebaut werden. Foto: Bulgrin Foto: dpa

Von Christian Dörmann

Der Markt für Elektrofahrräder boomt. Auch Menschen, die sich bisher wenig für das Fahrradfahren begeistern konnten, haben Pedelecs als komfortables Fortbewegungsmittel entdeckt. Doch was auf der einen Seite mit Blick auf volle Straßen und Gesundheitsvorsorge viele Vorteile hat, birgt auf der anderen Seite auch negative Folgen: So steigt die Zahl der Unfälle mit Beteiligung von Pedelecfahrern auch im Landkreis Esslingen kontinuierlich an - von nur einem Vorfall im Jahr 2010 auf 42 fünf Jahre später. Für 2016 liegen noch keine Zahlen zur Veröffentlichung vor, doch von der Tendenz her geht die Polizei von einer weiteren Zunahme aus.

Noch nie waren auf Deutschlands Straßen so viele Pedelecs oder E-Bikes unterwegs wie derzeit. Dies hat auch in Baden-Württemberg dazu geführt, dass Unfälle mit Beteiligung von Fahrern, deren Rad beim Treten durch einen Elektromotor unterstützt wird, im zurückliegenden Jahr gegenüber 2015 um mehr als 20 Prozent zugenommen haben. 842 Unfälle gab es zwischen Januar und November 2016, neun Menschen starben.

„Normaler Effekt“

Trotz dieser Entwicklung will man weder im Polizeipräsidium Reutlingen noch beim Kreisverband Esslingen des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) von einer alarmierenden Entwicklung reden. Elektrofahrräder verbreiteten sich stark mit noch zunehmender Tendenz, und deshalb bedeute die höhere Unfallhäufigkeit einen normalen Effekt, erklärt Josef Hönes vom Polizeipräsidium Reutlingen. Auch Thomas Rumpf, Vorsitzender des ADFC im Kreis Esslingen, setzt Ursache und Problem ins Verhältnis: „Die Zahl der Pedelecs nimmt stark zu. Es fahren jetzt Leute mit dem Fahrrad, die vorher nie gefahren sind.“

Und genau da könnte eine Unfallursache liegen, obwohl es darüber noch keine genauen Statistiken gibt. Denn wer sich ungeübt auf die Elektrounterstützung einlässt, macht mitunter unliebsame Erfahrungen mit der erstaunlichen Schubkraft des kleinen Motors. Ansonsten sind es im Kreis Esslingen vor allem zu hohe Geschwindigkeit, Nichtbeachtung der Vorfahrtsregeln und Abbiegefehler, die zu den Verkehrsunfällen führen.

Der Blick auf die Situation im Kreis Esslingen (siehe nebenstehende Grafik) macht die Entwicklung deutlich. Ein Pedelec-Fahrer ist 2015 ums Leben gekommen. 2016 gab es keinen Todesfall, weniger Leichtverletzte und etwa ebenso viele Schwerverletzte wie 2015. Soviel steht bereits vor der Veröffentlichung der offiziellen Zahlen für das vergangene Jahr fest. Auffällig ist: Die Unfallgefährdung steigt mit zunehmendem Alter. Ausgehend von 39 ausgewerteten Unfällen mit Pedelecs in den vergangenen zwölf Monaten stellt sich die Situation bei den Beteiligten so dar: ein junger Erwachsener (18 bis 24 Jahre), 22 Betroffene zwischen 25 und 64 Jahren, 16 Personen im Alter von 65 Jahren und darüber. „Die Verteilung innerhalb der 25- bis 64-Jährigen verdichtet sich mit zunehmendem Alter“, sagt Josef Hönes. Am deutlichsten sei die Zunahme ab dem Alter von 63 Jahren. Ein Grund dafür könnte sein, dass eben sehr viele ältere Menschen aufs Elektrofahrrad steigen. Durch Statistiken ist diese Vermutung allerdings nicht belegt.

Breite Radwege ohne Hindernisse

Beim ADFC ist das Thema Elektrofahrräder und Unfallhäufigkeit längst angekommen. „Das beschäftigt uns sehr“, sagt Thomas Rumpf und kommt dabei auf einen Punkt zu sprechen, der aus seiner Sicht mit dazu beiträgt, dass nicht nur Pedelecfahrer, sondern Radfahrer ganz allgemein einer immer höheren Gefahr ausgesetzt sind: „Mit dem Boom hält die Infrastruktur nicht mit. Wir brauchen neue und breitere Radwege ohne Hindernisse, wie etwa Poller.“ So setzt der Rückenwind für E-Bikes und Pedelecs die Städte und Gemeinden unter Druck, ihr Verkehrssystem der wachsenden Zahl von Radlern, ob mit oder ohne elektronischer Unterstützung, anzupassen.

Anpassung gilt laut Rumpf aber auch für andere Verkehrsteilnehmer, wenn es um die Wahrnehmung von E-Bikern geht: „Die sind oft schneller unterwegs, als man es normalerweise gewohnt ist.“ Wer mehr über das Thema Elektrofahrräder wissen will, erhält beim ADFC Informationen. Angeboten werden auch Kurse.

www.adfc-bw.de

kraft macht den unterschied

Pedelec: Ein Motor mit maximal 250 Watt unterstützt das Fahrrad bis zu einer Geschwindigkeit von 25 Kilometern pro Stunde. Diese Unterstützung funktioniert aber nur dann, wenn der Fahrer in die Pedale tritt. Zulässig ist eine Anfahr- und Schiebehilfe bis zu sechs Kilometern pro Stunde ohne Pedaltreten. Es gibt keine Helmpflicht, und ein Kennzeichen ist nicht erforderlich.

S-Pedelec: In diesem Fall wird das Fahrrad beim Pedaltreten durch einen Elektromotor mit einer höheren Leistung unterstützt. Alternativ kann das Fahrrad auch ganz ohne Pedalunterstützung und nur mit elektrischer Energie gefahren werden. Bei einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von mehr als 20 Kilometern pro Stunde besteht Helmpflicht, und es muss ein Versicherungskennzeichen am Fahrzeug angebracht werden.