Quelle: Unbekannt

Die Stadtbücherei in der Esslinger Altstadt soll modernisiert und erweitert werden. Ein Preisgericht hat sich jetzt für einen entsprechenden Architektenentwurf entschieden. Oberbürgermeister Zieger begrüßt die Entscheidung des Preisgerichts.

EsslingenDie Stadtbücherei in der Esslinger Altstadt hat sich spätestens im vergangenen Jahr zu einem Symbol urbanen Bürgerstolzes emporgeschraubt. Die Frage, ob sie in den engen Gassen im Herzen des Herzens der Altstadt bleibt oder umzieht, brachte sehr viel Emotionalität in das Thema. Sie bleibt im Bebenhäuser Pfleghof, so wollte es ein Bürgerentscheid. Seit Freitag liegt ein Entwurf vor, wie die Modernisierung und Erweiterung über die Bühne gehen soll. Der Sieger des Architekturwettbewerbs ist das Düsseldorfer Büros AGN Niederberghaus. Die EZ sprach mit Oberbürgermeister Jürgen Zieger über den Siegerentwurf und die Frage, wie es nun weitergeht.

Der Siegerentwurf steht seit dem Wochenende zur Diskussion. Haben Sie schon Meinungen dazu eingefangen?
Ja, ganz unterschiedlicher Art. Im Wesentlichen eine sehr positive Resonanz. Aber es gibt auch kritische Stimmen, die finden, dass eine Chance vertan wurde, eine spektakulärere Architektur anzustreben ist.

Wie ist Ihr Standpunkt? Was hat Priorität: Extravaganz, um aufzufallen? Die Funktionalität? Etwas dazwischen?
Ein alter, heute noch gültiger Satz der Architektur lautet: Form follows function – also die Form leitet sich aus der Funktion des Gebäudes ab. Die ersten beiden Preisträger haben die räumlichen Anforderungen erfüllt und dabei der wertvollen historischen Bausubstanz aus dem 13. Jahrhundert in besonderer Weise Rechnung getragen. Für das Preisgericht und auch für mich gibt es daher keinen Grund, extravagante Lösungen oder eine spektakuläre Architektur einzufordern. Die Besonderheit der Architektur und die Ästhetik des 21. Jahrhunderts finden sich im Zusammenfügen der vorhandenen historischen Mauern einerseits und Räumen mit moderner Architektur andererseits wieder.

Das heißt, Esslinger müssen nun nicht befürchten, dass sie durch ihr mittelalterliches Gassenlabyrinth laufen und plötzlich von einem extremen architektonischen Bruch überwältigt werden?
Nein. Wenn die Bibliothek entsprechend dem Entwurf des ersten Preisträgers realisiert wird, erscheint sie nicht in einer besonders spektakulären Form. Es ist eine Kombination aus historischer Bausubstanz und modernen Stilelementen des 21. Jahrhunderts. In diesem Sinne wird es eine sehr moderne Bibliothek sein.

Ich muss noch etwas nachhaken. Irgendwo wird es ja einen Bruch zwischen dem Traditionellen und dem Modernen geben. An welcher Stelle könnte der besonders augenscheinlich werden?
Da gibt es eine Reihe von Stellen. Die Dachkonstruktion ist transparent, es wird keine Ziegellandschaft werden. Es wird Kombinationen von historischen Bruchsteinen und sehr modernen Materialien geben – sie werden auffällige Bruchlinien darstellen. Genau diese Linien zeigen aber den Zusammenhang von Geschichte und Moderne. Exemplarisch ist die so genannte Lesekapelle im neu zu schaffenden Untergeschoss: Dort gehen wir davon aus, dass wir auf Reste einer Kapelle und wertvolle Artefakte aus der Gründerzeit der Stadt stoßen, die wir aber an diesem Leseort nicht hinter Glas verstecken, sondern integrieren wollen. Das wird gelebte Historie.

Sie sind Vorsitzender des Forums Stadt, einem Netzwerk aus Städten mit historischer Bausubstanz. Gibt es etwas, was andere historische Orte aus dem Esslinger Büchereiprojekt lernen können?
Zweifellos wäre die Bibliothek ein vorzeigbares Beispiel für andere. Wir beschäftigen uns in diesem Forum immer mit der Frage, wie wir das Leben des 21. Jahrhunderts in Gebäuden des 13. bis 15. Jahrhunderts abbilden können. Das ist die nachhaltigste Form der Denkmalsicherung. Die Vorstellung, dass wir uns eine Chance vergeben würden oder der modernen Architektur verweigern würden, lass ich mal als These so stehen. Ich behaupte allerdings, dass das Zusammenfügen von Geschichte und moderner Architektur ein Alleinstellungsmerkmal für unsere Stadt werden kann.

Jenseits aller Ästhetik noch eine ganz sachliche Frage: Wie geht es jetzt weiter?
Es gibt eine einstimmige Preisgerichtsempfehlung. Ich gehe davon aus, dass der Gemeinderat den ersten Preisträger mit den Planungen und der Umsetzung beauftragen wird, sofern alle formalen und rechtlichen Voraussetzungen erfüllt werden. Das könnte schon in der Gemeinderatssitzung im April passieren oder in einer der nachfolgenden Sitzungen.

Und dann?
Es ist ein kompliziertes Verfahren. Wir müssen eine Reihe Fachingenieure einschalten und uns mit dem Denkmalschutz abstimmen. Außerdem haben wir versprochen, die Bürgerinitiative und die Bücherei selbst mit einzubinden. Unser Zeitplan sieht vor, dass wir im Frühjahr 2021 einen abgestimmten Entwurf haben, der die Grundlage für den Bebauungsplan und die Ausschreibungen abgibt. Dieses und das nächste Jahr brauchen wir also für die Planung. 2021 hoffen wir, die Genehmigung für den Bebauungsplan zu bekommen. In der zweiten Hälfte 2022 brauchen wir dann ein Interimsquartier, weil dann der Baubeginn starten sollte. Der übrigens erst einmal mit Abriss beginnt.

Es gibt also noch Unwägbarkeiten?
Ja, es ist kompliziert. Aber wir gehen davon aus, dass sich spätestens zu unserem Jubiläumsjahr 2027 die Pforten der neuen Bibliothek in der mittelalterlichen Gebäudestruktur öffnen.

Das Interview führte Johannes M. Fischer

Lob vom Förderverein

Mit „Freude und Zufriedenheit“ hat der Förderverein der Esslinger Stadtbücherei die Ergebnisse des Architektenwettbewerbs quittiert. „Wir sind mit dem Ergebnis sehr einverstanden“, erklärt die Vorsitzende, Professorin Sylvia Greiffenhagen. „Sowohl der erste als auch der zweite Preisträger erfüllen in sehr guter Weise die funktionalen und gestalterischen Anforderungen an eine Bibliothek der Zukunft. Die Vorgaben des Bibliotheks-Teams und die in der Bürgerbeteiligung geäußerten Wünsche der Nutzer und Nutzerinnen wurden ernst genommen und weitestgehend berücksichtigt.“ Dass im Detail einige Punkte nachgebessert werden müssen, sei selbstverständlich. Positiv sieht der Förderverein, dass die Denkmalbehörde beim ersten Preisträger wohl keine gravierenden Einwände machen werde. „Es sind von dieser Seite aus also keine weiteren großen Verzögerungen zu erwarten“, sagt Greiffenhagen. Besonders freut den Förderverein, dass der Wettbewerb einstimmig entschieden wurde: „Nun ist zu hoffen, dass die zeitweilige Polarisierung der Stadtgesellschaft im Thema Stadtbücherei rasch überwunden wird und wir alle gemeinsam an der Umsetzung einer tollen neuen Bücherei weiterarbeiten.“ adi