Im September startet an der Hochschule Esslingen der neue Masterstudiengang Autonomes Fahren. Die Technik, sagt Studiengangleiter Gunther Schaaf, ist schon sehr weit fortgeschritten.
EsslingenFür viele Menschen ist ein Auto, das sich wie von Geisterhand gesteuert sicher durch den Verkehr bewegt, noch immer so etwas wie Science Fiction. Doch davon kann nach den Worten von Gunther Schaaf schon längst keine Rede mehr sein. Er sollte es wissen, denn zum kommenden Wintersemester startet an der Hochschule Esslingen der erste berufsbegleitende Masterstudiengang Autonomes Fahren im Land, dessen wissenschaftlicher Leiter der Mathematikprofessor ist. Die Entwicklung autonomer Fahrzeuge bezeichnet Schaaf als eine der größten Herausforderungen der Automobilindustrie. Um diesen Transformationsprozess meistern zu können, werden dringend Fachkräfte benötigt. Mit dem Masterstudiengang Autonomes Fahren soll die entsprechende Kompetenz aufgebaut werden.
In einer großen Halle auf dem Esslinger Hochschulgelände in der Innenstadt stehen Fahrzeuge verschiedener Marken. Auf den ersten Blick fällt dem Betrachter an den zumeist von den Herstellern gespendeten Autos nichts Besonderes auf. Wer genauer hinschaut, erkennt aber diverse Sensoren oder Kameras und damit die technischen Voraussetzungen für einen Fahrbetrieb weitgehend unabhängig vom Menschen. Die Frage, wie groß diese Unabhängigkeit nach dem aktuellen Stand der Technik sein kann, lässt sich laut Gunther Schaaf nicht so einfach beantworten. Zwischen fünf Levels unterscheidet der Professor, wobei etwa bei Level 3 teilautonomes Fahren möglich ist, bei Level 4 ist man schon „hochautonom“ unterwegs und bei Level 5 schließlich „vollautonom“. Technisch, sagt der Professor, sei vollautonomes Fahren schon heute möglich, bei dem sich der Fahrer komplett aus den Prozessen heraushalten könne.
Was ist am Ende sicher?
Das Problem ist die Absicherung. „Wir müssen gewährleisten dass das System immer funktioniert“, sagt Schaaf. Natürlich auch unter ungünstigen Bedingungen wie bei Nebel oder Schneetreiben. Was als sicher gilt, ist dabei nach objektiven Maßstäben wohl nur schwer zu beurteilen. Einen Fehler bezogen auf zehn Millionen Fahrkilometer bezeichnet Gunther Schaaf als „zuverlässig“. Gleichwohl gehen nach seiner Einschätzung noch einige Jahre ins Land, bis Level 5 letztendlich akzeptierter Standard ist.
„Die Systeme werden immer besser“, weiß der Professor und verweist auf erfolgreiche Projekte wie den autonomen Bus in Bad Birnbach, der im Versuchsbetrieb läuft. Dennoch: Das psychologische Moment spielt für viele Menschen eine große Rolle, wenn es darum geht, dem Auto die Regie zu überlassen. Und dann führt natürlich ein Unfall, wie er sich im März im US-Bundesstaat Arizona zugetragen hat, zu weiterer Verunsicherung. Eine Frau war mit ihrem Fahrrad von seinem selbstfahrenden Auto erfasst und getötet worden. „Menschen produzieren viel mehr Unfälle“, weiß Schaaf, „doch wenn ein autonom fahrendes Auto beteiligt ist, dann hat dies natürlich eine viel größere Aufmerksamkeit.“
Also heißt es die Systeme testen, testen und noch einmal testen – viel mehr als seinerzeit die längst eingeführten Assistenzsysteme wie ABS oder ESP. Rein nüchtern und objektiv betrachtet bedeutet autonomes Fahren für Gunther Schaaf aber einen Sicherheitsgewinn. Schon wenn nur zehn Prozent aller Autos autonom unterwegs sind, prognostiziert er einen positiven Effekt. Der Verkehr laufe gleichmäßiger, es entstünden weniger Staus, und damit sinke eben auch das Unfallrisiko.
Nun bilden die technischen Möglichkeiten aber nur eine Seite der Medaille, wenn es um die Einführung vollautomatisch agierender Systeme geht. Die andere ist der rechtliche Aspekt, weshalb sich der neue berufsbegleitende Masterstudiengang auch mit dem Thema „Digitale Ethik und Recht“ befasst. Dabei spielen haftungsrechtliche Fragen ebenso eine Rolle wie gesellschaftliche Aspekte. Denn wer kommt nach einem Unfall für die Folgen auf, und wer entscheidet am Ende darüber, ob ein menschliches oder technisches Versagen vorliegt?
An der Praxis orientiert
Mit ihrem neuen Studiengang bewegt sich die Hochschule Esslingen keineswegs nur im theoretischen Raum. Die Hochschule ist mit der Automobilindustrie und deren Zulieferern gut vernetzt und weiß deshalb, wie künftige Experten ausgebildet sein müssen, um den Tranformationsprozess bewältigen zu können. „Wir führen viele Gespräche mit den Unternehmen und sind praxisorientiert“, versichert Schaaf. Das könnte sich auch direkt auf den Studienbetrieb auswirken, indem Lehrbeauftragte aus der Industrie ihre Erfahrungen und ihr Wissen im Hörsaal vermitteln. Aber mitunter muss der Blick auch in weitere Ferne gerichtet werden. In die USA zum Beispiel, wo die Entwicklung autonom agierender Fahrsysteme schneller voranschreitet als hierzulande, wie der Professor einräumt.
Wenn nun im September der neue Studiengang Fahrt aufnimmt, dann weiß Gunther Schaaf, dass der schnelle technische Fortschritt immer wieder auch eine Überprüfung und Anpassung der Studieninhalte zur Folge haben muss. Aber an Tempo ist der Mathematikprofessor gewöhnt: „Wir haben das Thema autonomes Fahren innerhalb kurzer Zeit an den Start gebracht. Wir sind gut aufgestellt, und darauf bin ich stolz.“
Informationen rund um den neuen Masterstudiengang Autonomes Fahren
Die Anmeldung läuft: Im September startet der berufsbegleitende Masterstudiengang Autonomes Fahren an der Hochschule Esslingen. Zu vergeben sind 20 Studienplätze und die Anmeldungsfrist läuft bereits. Es liegen schon erste Bewerbungen vor. Der Studiengang richtet sich an Ingenieurinnen und Ingenieure, die berufsbegleitend einen akademischen Masterabschluss erwerben möchten, ohne dabei ihre Karriere unterbrechen zu müssen. Es handelt sich dabei um ein klassisches Präsenzstudium, für das sich neben Absolventen aus dem Maschinenbau auch Interessierte aus den Bereichen Fahrzeugtechnik, Informatik, Wirtschaftsinformatik, Physik oder Mathematik bewerben können.
Studieninhalte: Die Studierenden beschäftigen sich im Rahmen des Masterstudiengangs mit technischen, ökonomischen und ethisch-rechtlichen Fragestellungen. Sie vertiefen ihr Wissen in Sensorik, maschinellem Lernen und IT-Sicherheit. Sie befassen sich aber auch mit zukünftigen Fahrzeug- und Mobilitätskonzepten und werden darauf vorbereitet, teil- und vollautomatisierte Fahrzeugsysteme zu entwickeln und zu optimieren.
Kompetenzen gebündelt: Für diesen ersten Masterstudiengang Autonomes Fahren in Baden-Württemberg arbeiten die Hochschulen Esslingen, Aalen, Heilbronn, Mannheim, Ravensburg-Weingarten, Reutlingen und die Hochschule der Medien Stuttgart unter dem Dach der Hochschulföderation SüdWest (HfSW) zusammen. Dadurch werden die Kompetenzen der einzelnen Hochschulen gebündelt.
Mathematikprofessor an der Spitze: Wissenschaftlicher Leiter des Studienprojektes Autonomes Fahren ist Gunther Schaaf von der Hochschule Esslingen. Studiert hat er Physik und Mathematik an der Universität Stuttgart jeweils mit Diplomabschluss. Danach war er Wissenschaftlicher Angestellter an der Universität Stuttgart im Institut für theoretische und angewandte Physik. Nach seiner Promotion im Jahr 2002 zum Thema „Numerical Simulation of Discolation Motion in Icosahedral Quasicrystals“ arbeitete Gunther Schaaf bei der Robert Bosch GmbH in Stuttgart in den Bereichen Driver Assistance und Corporate Research. Im Jahr 2015 kam Schaaf schließlich als Lehrbeauftragter an die Hochschule Esslingen in die Fakultät Grundlagen. Seit 2016 ist Gunther Schaaf Professor für Mathematik an der Hochschule Esslingen.