Von Alexander Maier

Die Überlegungen der Stadt Esslingen, das Gemeindehaus am Blarerplatz von der evangelischen Kirche zu kaufen, um dort die Stadtbücherei unterzubringen, sorgen seit Wochen für Wirbel. In die Debatte, die zunehmend an Deutlichkeit gewinnt, hat sich nun auch das Netzwerk Kultur eingeschaltet. Der Zusammenschluss der örtlichen Kultureinrichtungen und -organisationen mahnt in einem Schreiben an die Gemeinderatsfraktionen an, dass den vielen Worten der vergangenen Jahre endlich Taten folgen müssen. Einen Umzug der Bücherei an den Blarerplatz lehnt das Netzwerk kategorisch ab.

„Sowohl der Stadtverwaltung als auch dem Gemeinderat ist bereits seit den 90er-Jahren der eklatante Raummangel der Esslinger Stadtbücherei bekannt“, betonen die Netzwerker. Doch trotz einer Machbarkeitsstudie, die 2013 attraktive Entwicklungsmöglichkeiten für den Bebenhäuser Pfleghof unter Einbeziehung des Nachbargebäudes Heugasse 11 aufgezeigt hatte, habe sich nichts Konkretes getan. „Umso erfreulicher ist es, dass nun endlich Bewegung in die Diskussion um die Zukunft der Bücherei zu kommen scheint“, schreibt das Netzwerk.

Kritik an Diskussionskultur

„Allerdings findet diese Diskussion augenscheinlich und unverständlicherweise vor allem hinter verschlossenen Türen der Verwaltungsspitze statt und öffnet Spekulationen und Gerüchten Tür und Tor. Die Zukunft einer solch bedeutenden Institution wie der Stadtbücherei mit 270 000 Besuchern pro Jahr verdient unserer Ansicht nach aber eine offene und vielstimmige Diskussion und könnte den handelnden Kulturpolitikern sowie der kritischen Öffentlichkeit neue Perspektiven eröffnen.“ Einer solchen Chance dürfe sich die Stadt nicht ohne Not verschließen.

Das hartnäckigste Gerücht, das derzeit kursiert, betreffe einen möglichen Umzug der Stadtbücherei ins Gemeindehaus am Blarerplatz. Doch dagegen spricht sich der Sprecherrat des Netzwerks „ganz entschieden aus“. Das Gemeindehaus sei ein unverzichtbarer Veranstaltungs- und Probenort. Schon jetzt sei der Platzmangel für die Esslinger Chöre und Orchester groß. Das Gemeindehaus mit seinem Festsaal sei einer der wenigen Orte für Proben und Auftritte in der Esslinger Innenstadt. Das gelte für Chorkonzerte, kammermusikalische Konzerte, den Wettbewerb „Jugend musiziert“, Theateraufführungen und Schulveranstaltungen. „Der Festsaal verfügt mit einem Fassungsvermögen von mehr als 400 Plätzen über eine optimale Größe, er ist bezahlbar und wartet mit einer ausgesprochen guten Akustik für kammermusikalische Projekte und Chorkonzerte auf“, schreibt das Netzwerk. Außerdem werde das Gemeindehaus regelmäßig von vielen internationalen Kulturvereinen genutzt und sei damit ein wichtiger Ort für die Integration ganz unterschiedlicher Bevölkerungsschichten.

Dagegen biete das Gemeindehaus „für die Stadtbücherei keine Verbesserung“. Die Machbarkeitsstudie aus dem Jahr 2013 habe ergeben, dass am jetzigen Standort der Stadtbücherei in der Heugasse mit der Erweiterung ins Nachbargebäude rund 3600 Quadratmeter Nutzfläche entstehen könnten. „Es fällt schwer zu glauben, dass diese Fläche auch im Gemeindehaus am Blarerplatz geschaffen werden könnte“, geben die Netzwerker zu bedenken.

Zudem stehe das komplette Gemeindehaus am Blarerplatz unter Denkmalschutz. „Die Denkmalbehörde wird sicher darauf bestehen, das Erscheinungsbild des Gebäudes zu erhalten“, vermutet der Sprecherrat. „Ein kompletter Umbau mit Erweiterung erscheint uns deshalb schwer durchsetzbar zu sein. Es ist außerdem zu befürchten, dass die angrenzende Städtische Musikschule den dringend benötigten Melanchthonsaal verlieren würde.

Der Kutschersaal im Bebenhäuser Pfleghof, wo die Stadtbücherei derzeit untergebracht ist, sei sicher nicht der optimale Raum für Lesungen, Vorträge und Diskussionen. Der Chor der Franziskanerkirche wäre dafür aber nach Einschätzung des Netzwerks gänzlich ungeeignet: „Es handelt sich um einen sakralen Raum, der niemals in einen neutralen Veranstaltungsort umgewandelt werden kann.“ Außerdem sei die Franziskanerkirche „akustisch höchst problematisch und nahezu nicht zu beheizen“.

Schon jetzt nutze die Stadtbücherei das Gemeindehaus am Blarerplatz für größere Lesungen während der LesART. Unter solchen Vorzeichen fragt das Netzwerk: „Wo sollen die zukünftig stattfinden, wenn sich dort die Bibliothek befindet?“ Deshalb wünscht sich der Sprecherrat nun „eine offene Diskussion über die Zukunft der Stadtbücherei unter Einbeziehung aller Beteiligten und der Esslinger Bürgerschaft mit dem Ziel, schnell zu einer tragbaren und zukunftsorientierten Lösung zu kommen“.