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Der Sachverständige hat den beiden Angeklagten zwar verminderte Schuldfähigkeit bescheinigt. Ab er auch er hat keine Erklärung für die Qualen, die sie einem Obdachlosen zugefügt haben sollen.

EsslingenDiese sadistische Quälerei sei ihm einfach unbegreiflich, stellte Peter Winckler vor der 1. Schwurgerichtskammer am Landgericht Stuttgart fest. Den beiden Angeklagten, denen unter anderem versuchter Mord in der Nacht vom 24. auf den 25. Juni vergangenen Jahres an einem Bewohner einer Obdachlosenunterkunft in Oberesslingen vorgeworfen wird, attestierte der psychiatrische Sachverständige jedoch erheblich verminderte Schuldfähigkeit. Zuvor hatte die Rechtsmedizinerin Adina Schweickhardt in ihrem Gutachten nochmals das Martyrium des 51-jährigen Opfers vor dem geistigen Auge der Zuhörer auferstehen lassen. „Das müssen teilweise höllische Schmerzen gewesen sein“, bemerkte denn auch die Kammervorsitzende Ute Baisch. Und die Rechtsmedizinerin fasste zusammen: Mindestens zwei Schläge mit einer Flasche auf den Kopf, mehrere wuchtige Faustschläge ins Gesicht, sodass das Nasenbein und die Augenhöhle brachen, ein Teil des linken Ohrläppchens wurde mehrmals durch Zwicken und Reißen mit einer Beißzange abgetrennt, Verletzungen an der Schulter, die wahrscheinlich von einem Stück Gartenschlauch stammen, Verletzungen am Oberkörper und Rippenbrüche durch Fußtritte. Beide Knie waren mit einem Hammer malträtiert worden, und beim linken Zeigefinger kam die Beißzange wieder zum Einsatz, sodass ein Gelenk verletzt und eine Sehne heraus gerissen war. Der 51-Jährige stand kurz vor dem Schock, als die Rettungskräfte eintrafen, und im Krankenhaus hatte man noch eine lebensbedrohende Einblutung im Schädel festgestellt.

„Als ob ihn das nichts angehe“

Hierfür verantwortlich sollen der 59- jährige Mitbewohner des Opfers und ein 53-Jähriger sein, der das Opfer zuvor gar nicht gekannt hatte. Letzterer hatte jedoch in den frühen Morgenstunden einen Notruf abgesetzt. Der Jüngere der Angeklagten habe ihn in mehrfacher Hinsicht überrascht, meinte der psychiatrische Gutachter. Bei seinem ersten Besuch in der U-Haft habe er nicht erwartet, einen geschiedenen Familienvater mit Abitur anzutreffen, der zwei Lehren erfolgreich abgeschlossen hatte, anschließend noch studierte und seit 25 Jahren einen kleinen Betrieb in Esslingen führt. Ungewöhnlich sei darüber hinaus gewesen, dass der 53-Jährige keinerlei erkennbare emotionale Reaktion auf die schwerwiegende Vorwürfe gezeigt habe. „So, als ob ihn das alles nichts angehe“, sagte Winckler.

Der Angeklagte hatte im Prozess aufgrund des erheblichen Alkoholkonsums weitgehende Erinnerungslücken geltend gemacht. Den älteren Mitangeklagten aus der Obdachlosenszene habe er zuvor kennengelernt und nur sporadisch getroffen. Er sei nur neugierig gewesen, weil dieser öfters in Frauenkleidern durch Esslingen gelaufen war, hatte der 53-Jährige ausgesagt. Irgendeinen sexuellen Hintergrund sah Winckler nicht. Der Familienvater litt aber seit Jahrzehnten an einer bipolaren affektiven Störung mit abwechselnd manischen und depressiven Schüben, war auch deswegen in Behandlung, sei es ambulant oder für ein paar Tage stationär, und nahm Medikamente ein. Eine jahrelange Alkoholabhängigkeit hatte laut dem Sachverständigen inzwischen zusätzlich zu einer Hirnschädigung geführt. In der Tatnacht sei auch der Alkohol bestimmend gewesen.

Alles in allem attestierte Winckler dem 53-Jährigen erheblich verminderte Schuldfähigkeit, ebenso dem 59-jährigen. Auf eine Frage, und zwar die nach dem Motiv, habe er jedoch keine Antwort. Warum ticke einer so brutal aus und quäle und demütige jemanden, den er überhaupt nicht kannte? Dem älteren Mitangeklagten aus der Obdachlosenszene, der nach eigenen Angaben mehr als die Hälfte seines Lebens im Knast gesessen hatte, traue man so etwas auf den ersten Blick eher zu. Doch laut Aussage des Opfers habe der 53-Jährige die Hauptrolle gespielt, was auch die DNA-Spuren an den Werkzeugen belegen würden, meinte der Psychiater. Der Prozess wird am 20. März fortgesetzt.