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Zwei betrunkene Frauen beleidigen sich am Esslinger Bahnhof. Die eine sticht daraufhin mit einer Schere auf die andere ein. Jetzt wurde das Urteil gesprochen.

Esslingen Die 25-jährige Angeklagte brach in Tränen der Erleichterung aus. Zwei Jahre auf Bewährung wegen versuchten Totschlags lautete das Urteil der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart. Der Staatsanwalt hatte zuvor viereinhalb Jahre Freiheitsstrafe gefordert. Die Kammer vertrat aber die Auffassung, dass die junge Frau durch eine schwere Beleidigung des 23 Jahre alten Opfers aufs Äußerte gereizt und hierdurch zur Tat hingerissen wurde. Daher lag ein minder schwerer Fall vor. Darüber hinaus wurde die Strafhöhe zusätzlich durch die vom psychiatrischen Sachverständigen attestierte verminderte Schuldfähigkeit reduziert.

„Es wäre wirklich am besten gewesen, wenn alle Beteiligten, wie sie es eigentlich vor hatten, in den frühen Morgenstunden des 10. Aprils 2018 nach Hause gegangen wären“, meinte der Vorsitzende Richter Christian Klotz. Auf dem Esslinger Bahnhofsvorplatz trafen sich zufällig die Angeklagte nebst zwei männlichen Begleitern sowie das spätere Opfer nebst einer Bekannten. Alle waren erheblich betrunken, so hatte die 25-Jährige 1,82 Promille Blutalkohol und die 23-Jährige 2,3 Promille. Die anschließende, länger andauernde Auseinandersetzung war von drei Videokameras aufgezeichnet worden. Das Opfer, das sich eigenen Angaben nach an nichts mehr erinnern konnte, soll zunächst mit einem der jungen Männer geflirtet und ihn geküsst haben. Nun soll die Begleiterin der 23-Jährigen mit der Bemerkung „die sehen asozial aus“, die Angeklagte aufgebracht haben. Es folgten laut Urteil hitzige Wortgefechte, auch zwei Polizeibeamte waren aufmerksam geworden und trennten die Gruppen.

„Eigentlich war die Sache nun erledigt“, sagte Klotz. Doch das Opfer ging wieder zur Angeklagten und soll die 25-Jährige schwer beleidigt haben. „Möglicherweise als Hure“, meinte der Richter. Als die 23-Jährige sich nach einem Wortgefecht umdrehte, riss die 25-Jährige sie zu Boden und stach mit einer 20 Zentimeter langen Schere mit sechs Zentimeter langen Scherenblättern in Richtung Brustkorb. Glücklicherweise kam es nicht zu schwerwiegenden Verletzungen, da das Opfer die Stiche mit den Armen abwehrte, ein Begleiter der Angeklagten deren Arm festhielt und die zwei Polizeibeamten sofort zur Stelle waren. „Ich stech dich ab“, soll die 25-Jährige noch gerufen haben. Und sie nahm den Tod der 23-Jährigen billigend in Kauf, war sich die Kammer sicher. Das Opfer leidet heute noch an den schweren psychischen Folgen der Tat.

Die Angeklagte, die am ersten Verhandlungstag noch geschwiegen hatte, gestand später. Der psychiatrische Sachverständige attestierte der jungen Frau, die eine problematische Jugend hatte, verminderte Schuldfähigkeit. Sie leide unter einer Borderline-Störung, Depressionen und sei drogen- und alkoholabhängig. Am Tag vor der Tat habe die 25-Jährige mit ihrem damaligen Freund Schluss gemacht und dieser habe daraufhin mit Suizid gedroht. Zudem soll ein früherer Partner gewalttätig gewesen sein. Der Sachverständige sah in der Tat die Folge einer Verknüpfung ungünstiger Umstände und stellte eine günstige Prognose aus.

Als Bewährungsauflage muss sich die 25-Jährige umgehend in stationäre, psychotherapeutische Behandlung, wenn diese abgeschlossen ist, in eine Entziehungsklinik und anschließend in ambulante Behandlung begeben.