Foto: Finckh Architekten/Andreas Kaie - Finckh Architekten/Andreas Kaier

Von Kommunen wie auch von Privatleuten wünscht sich Architekt Thomas Sixt Finckh mehr Mut, neue Wege zu verfolgen. In einer neuen Serie stellt die EZ beispielhafte Bauprojekte vor.

EsslingenArchitektur, die neue ästhetische Perspektiven eröffnet – das schwebt Thomas Sixt Finckh vor. Der Vorsitzende der Kammergruppe Esslingen I wünscht sich, dass schon Kinder an die Faszination des modernen Bauens und Lebens herangeführt werden. Im Interview spricht Finckh, der unter anderem das Kinderhaus auf der Bundesgartenschau in Heilbronn (siehe Bild) gebaut hat, über die städtebaulichen Chancen, die qualitätvolle Gebäude bieten. Mit dem Wettbewerb „Beispielhaftes Bauen“ zeichnet die Architektenkammer Baden-Württemberg vorbildliche Projekte aus. Einige von ihnen stellen wir nun, aus Sicht ihrer Nutzer und Bewohner, in unserer Serie „Beispielhaftes Bauen“ vor.

Mit dem Wettbewerb „Beispielhaftes Bauen“ belohnt die Architektenkammer auch im Kreis Esslingen vorbildliche Objekte, deren Bauweise Maßstäbe setzt. Auf welches Echo stößt dieser Wettbewerb bei Städten und Gemeinden?
Das ist sehr unterschiedlich. Vor allem hängt es von den Zielen und Ansprüchen der Kommunen ab. In Ostfildern etwa sieht man in guter Architektur Chancen. Deshalb wurden dort gleich fünf städtische Projekte beim Verfahren 2012 bis 2018 ausgezeichnet. Die meisten anderen Kommunen sind leer ausgegangen.

Als Architekt haben Sie das Tiny House für Senioren der Familie Sohn in Esslingen gebaut. Dieses Projekt wurde ausgezeichnet. Wie inspiriert das den Planer?
Speziell diese Auszeichnung freut uns sehr. Da wurde auf kostengünstigste Weise, mit viel Eigenleistung der Bauherren, ein tolles Projekt realisiert. Für uns sind architektonische Auszeichnungen eine Belohnung und Bestätigung für die unermüdliche Arbeit. Jeder Erfolg motiviert uns für zukünftige, spannende Projekte.

Als Vorsitzender der Kammergruppe I im Kreis Esslingen ist es Ihnen ein Anliegen, moderne Architektur einem breiten Kreis zu vermitteln. Die von Ihnen angestoßene Filmreihe „Architektur im Kino“ füllt derzeit das Kommunale Kino in Esslingen. Nicht alle Kommunen setzen jedoch städtebaulich innovative Konzepte um. Welche Defizite sehen Sie denn gerade bei den kommunalen Planern?
Das stimmt leider, und es tut weh, wenn Chancen vergeben werden. Den ersten Schritt für qualitätsvolle Architektur sehen wir im Wettbewerb. Das ist ein Pflichtinstrument für kommunale Projekte. Um der Aufgabe der Kommunen gerecht zu werden, das beste für die Bürger zu erhalten. Diese Entscheidungen, von Fachpreisrichtern getroffen und mit einer Realisierungsempfehlung weitergereicht, stellen die Basis dar. Oft werden jedoch diese Empfehlungen im Prozess verworfen und nicht konsequent weiterverfolgt. So gehen innovative Ideen verloren, die Projekte driften ins architektonische Mittelmaß ab. Um dies zu verhindern, raten wir jeder Kommune zu einen unabhängigen Gestaltungsbeirat, der mit Fachkompetenz Projekte langfristig begleitet.

Der Wettbewerb „Beispielhaftes Bauen“ hatte gerade auch öffentliche Gebäude wie Kindergärten und Flüchtlingsunterkünfte im Blick. Wie lassen sich in diesen funktionalen Bauten anspruchsvolle ästhetische Konzepte umsetzen?
Die Flüchtlingsunterkünfte in Ostfildern zeigen, dass beispielhafte Architekturen nicht teuer sein müssen. In der breiten Öffentlichkeit wird das immer mit hohen Kosten abgetan. Das stimmt absolut nicht. Jede Aufgabe kann mit innovativen Konzepten umgesetzt werden. Dabei spielt das Projekt selbst keine Rolle, wie die ausgezeichneten Beispiele einer Logistik- und Produktionshalle, Laborgebäude oder Kindergärten zeigen. Es bedarf nur des Willens und der Einsicht des Bauherren des Mehrwertes guter Architektur.

Vielfach ist moderne Architektur aber doch eine Kostenfrage. Wenn junge Leute sich ein Haus bauen wollen, fehlt oft erst mal das Geld. Dann greift man doch eher zum Standard-Entwurf. Welche Anreize oder Fördermöglichkeiten könnte man für moderne Architektur schaffen?
Das stimmt nicht! Dass ein Standard-Entwurf günstiger ist, das ist einfach falsch. Man muss nur den Mut haben, neue Wege zu gehen. Jedoch liegt heute der Hauptkostenpunkt beim teuren Baugrund. Es kann nicht sein, dass mehr als die Hälfte vom Gesamtbudget für das Grundstück bezahlt werden muss und dass dann nichts mehr für das Gebäude übrig bleibt. Da sind die Kommunen gefordert, dringend neue Bauflächen zu schaffen, um den abnormalen Grundstückspreisen entgegen zu wirken. Anreize für gute Architekturen fände ich wichtig, um den leider nicht sehr qualitätsvollen Charakter heutiger Neubaugebiete entgegenzuwirken.

Die ausgezeichneten Bauten sind im Stadtbild ja echte Hingucker. Das kommt allerdings nicht bei allen Nachbarn gut an. Welche Reaktionen erleben Sie, wenn Sie innovative Konzepte umsetzen?
Das ist richtig, die Meinungen sind oft zweigeteilt. Viele sind begeistert, manche auf den ersten Blick entsetzt. Wir haben jedoch die Erfahrung gemacht, wenn wir denen die Architekturen erklären, ändert sich sehr schnell ihre Meinung.

Eine Ihrer Forderungen ist es, dass Architektur Schulfach werden sollte. Wie kann man junge Menschen denn an innovative Baukonzepte heranführen?
Forderung ist gut, das ist ein Wunsch, die Jugendlichen sehr früh, spielerisch mit guter Architektur zu konfrontieren. Optimal ist es, wenn sich die Kinder täglich in guter Architektur bewegen dürfen. Wie Beispiele aus der Schweiz oder Vorarlberg, aber auch die prämierten Kindergärten und Jugendeinrichtungen aus Unterensingen und Ostfildern zeigen. Ich würde mir mehr Bewusstseinsfindung für gute Baukultur wünschen. Jeder Mensch erlebt zu jeder Zeit Architektur. Man wohnt und arbeitet in Räumen, man bewegt sich in Stadträumen. Das ist Pflichtprogramm, um sich mit „Baukulturen“ auseinanderzusetzen, sie zu verstehen.

Nachhaltiges Bauen ist in aller Munde. Welchen Stellenwert hat beim „Beispielhaften Bauen“ die Energiebilanz?
Die Energiebilanz ist ein wichtiges Kriterium, das mit in die Bewertung einfließt. In Sachen Nachhaltigkeit steht leider immer nur die Energiebilanz im Vordergrund. Wir sehen die Nachhaltigkeit auch in guter, schöner Architektur. Ein Gebäude ist sehr nachhaltig, wenn es lange erhalten und genutzt wird. Das ist der Fall, wenn wir etwas als schön und wertvoll erachten. So ist es für uns sehr wichtig, gut gebaute, architektonisch wertvolle Gebäude zu erstellen. Wenn wir uns vorstellen, wie uns die Gebäude vergangener Jahrhunderte in Esslingen begeistern, so hat das sehr viel mit Schönheit zu tun.

Beton ist als Baumaterial eigentlich verpönt. Viele denken an die tristen grauen Bauten der 60er- und 70er-Jahre. In Ihren Häusern entdecken Sie dieses Baumaterial neu. Was reizt Sie denn daran?
Das Motto von Beton lautet: „Es kommt immer darauf an, was man daraus macht.“ Wir verarbeiten Beton sehr gerne, da es ein natürliches Produkt ist, ein flüssiger Stein, den man nach Belieben fast unbegrenzt formen kann, der dauerhaft, stabil und fast wartungsfrei ist. Das heißt jedoch nicht, dass wir alles „nur“ aus Beton umsetzen. Für jeden Einsatz das richtige Material und dessen Stärken auszureizen, das ist unser Ziel.

Sie selbst haben in Esslingen auf engstem Raum ein Wohnhaus für Ihre Familie entworfen und gebaut, das architektonisch Maßstäbe setzt. Wie lebt es sich da?
„Hell, frei, offen, großzügig trotz nur 4,5 Meter Breite, unbeschwert, individuell, kreativ, sehr entspannt“ – das waren die spontanen Worte meiner Familie, als ich ihnen die Frage stellte. Und mit einem sehr guten Gewissen, denn wir haben aufgezeigt, dass nachhaltiges Bauen in Passivhausstandard in keinster Weise baukünstlerischen Ansprüchen entgegensteht und dass Architektur auch in der Typologie Einfamilienhaus Beiträge zu Flächen-, Ressourcenschonung und Nachverdichtung leisten kann.

Das Interview führte Elisabeth Maier.

„Leben in moderner Architektur“ heißt eine neue Serie der Esslinger Zeitung. In loser Folge stellen wir in den kommenden Wochen Gebäude und öffentliche Einrichtungen vor, die im Wettbewerb „Beispielhaftes Bauen“ der Architektenkammer Baden-Württemberg ausgezeichnet wurden. Wie leben und arbeiten Menschen in dieser Baukunst? Zum Start sprachen wir mit Thomas Sixt Finckh, Vorsitzender der Architektenkammer Esslingen I, über Chancen und Grenzen anspruchsvoller Architektur.