David Saadeh, Bettina Koßmann, Andrea Zug, Claudia Hoffmann und Gunter Joas Foto: Roberto Bulgrin - Roberto Bulgrin

Neues Angebot im Klinikum Esslingen: Psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche zuhause betreuen. 24 Stunden Notfalldienst.

EsslingenDepressionen, Persönlichkeits- oder Angststörungen gehören zu den Krankheiten, die das STäB-Team regelmäßig behandelt. STäB ist die Abkürzung für stationsäquivalente Behandlung: Ein Team aus Sozialpädagogen, Psychologen, Ärzten und Pflegern betreut psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche zuhause – anstatt stationär im Krankenhaus. Gunter Joas, Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Klinikum Esslingen, hat diese Behandlungsmethode gemeinsam mit seinem Team im November 2019 gestartet.

„Die Klinik kommt nach Hause“, sagt Joas. „Wir sind damit lebensnaher dran an den Patienten und können bessere Lösungen anbieten.“ Die Patienten: Das sind Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 18 Jahren. „Wir betreuen zum Beispiel Jugendliche, die es nicht mehr schaffen, in die Schule oder zu ihrem Ausbildungsplatz zu gehen“, sagt Bettina Koßmann, Oberärztin und Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Jeden Tag, auch am Wochenende ist das Team im Einsatz, 24 Stunden am Tag in Bereitschaft. Denn bei Notfällen, wie beispielsweise bei Suizidgefahr, kommt der Patient direkt auf die Station. „Wir haben die Möglichkeit zu tauschen – also dass ein Patient wieder stationär behandelt wird oder andersherum“, sagt Joas.

30 Minuten Fahrtzeit entfernt von Esslingen dürfen die Patienten wohnen – das achtköpfige Team betreut somit Kinder und Jugendliche im gesamten Landkreis. Das erfordert eine gute Planung. „Am Anfang steht eine genaue Diagnostik in der Klinik“, sagt Joas. Die medizinischen Tests könne das Team dann auch bei den Betroffenen zuhause durchführen. Braucht man dafür große Apparate, wie zum Beispiel bei der Kernspintomografie, könne man wieder auf das Klinikum zurückgreifen. „Der Therapieplan kommt dann vom Team“, sagt Joas. Jeder Patient hat seinen eigenen Wochenplan. „Es braucht viel Organisation und Struktur, jedes Zeitfenster muss geplant werden“, sagt Krankenpfleger David Saadeh. Mindestens eine Stunde am Tag sei jemand in der gewohnten Umgebung des Patienten. „Die Jugendlichen erzählen uns, dass es zuhause stressiger ist als bei einer stationären Behandlung, da man sich nicht zurückziehen kann“, sagt Joas. Eine Herausforderung für die ganze Familie. Sozialpädagogin Andrea Zug meint: „Die Patienten sind in der Klinik sonst immer in einer anderen Rolle als zuhause. Wir haben daheim die Chance, die direkte Lebenswelt zu sehen.“ Dabei gehe es aber keineswegs um Kontrolle. „Um Schuld geht es nicht, sondern darum, Lösungen zu finden“, sagt Joas. Nicht nur zuhause ist das Team dabei. „Wir gehen mit ihnen raus oder in die Schule“, sagt Koßmann. Die Oberärztin strahlt, als sie von einem Erfolgserlebnis einer Patientin spricht, die zuhause behandelt wurde. „Die junge Frau, die in einer Wohngemeinschaft gewohnt hat, hat sich nicht mehr getraut rauszugehen. Nun fährt sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Esslingen.“ Sozialpädagogin Andrea Zug erzählt von einem ähnlichen Problem und der darauffolgenden Behandlung eines Patienten: „Er konnte nicht mit dem Bus oder der Bahn fahren. Ich habe den Patienten dann an einer Haltestelle abgesetzt und bin mit dem Auto neben der Bahn hergefahren. An der nächsten Haltestelle habe ich den Jugendlichen wieder abgeholt. Als die Tür aufging, hat er gestrahlt.“ Das sei allerdings nicht eine Übung am Anfang, sondern in der Endstufe einer Behandlung gewesen.

Chefarzt Joas äußert aber auch eine gewisse Sorge. Mit StäB habe er gehofft, dass sich der Bettendruck in der Kinder- und Jugendpsychiatrie abmildert. Denn: Stationär sei sie bereits über 100 Prozent ausgelastet. „Durch die Behandlung zuhause erreichen wir aber auch Patienten, die wir nicht hatten – es erschließt sich ein neues Klientel“, sagt er. Baden-Württemberg sei mit jugendpsychiatrischen Plätzen schlecht ausgestattet. Joas ist begeistert von der neuen Behandlungsmethode: „Das StäB ist nah an der Lebenswelt und praxisbezogen – das ist der Schatz daran.“