Die hohen Erwartungen des Meisterkonzert-Publikums an den Gewinner des 17. Chopin-Wettbewerbs, Seong-Jin Cho, wurden erfüllt. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Rainer Kellmayer

Der alle fünf Jahre in Warschau stattfindende internationale Chopin-Wettbewerb ist der Olymp unter den Klavierwettbewerben. Beim letzten Concours im Jahr 2015 bewarben sich 450 Nachwuchspianisten aus 27 Ländern um eine Teilnahme. 78 davon wurden zu den verschiedenen Wettbewerbsrunden zugelassen, in denen ausschließlich Chopin-Werke vorzutragen waren. Nach zähem Ringen mit Enttäuschungen und musikalischen Höheflügen kürte die hochkarätig besetzte Jury mit der Präsidentin Martha Argerich drei Preisträger und vergab diverse Sonderpreise. Wer sich im Feuer dieses gnadenlosen Wettbewerbes am Ende mit dem ersten Preis durchsetzt, verfügt nicht nur über stählerne Nerven und fantastische pianistische Fähigkeiten - er darf auch auf eine Weltkarriere hoffen. Gewinner des 17. Chopin-Wettbewerbes war der 1994 im südkoreanischen Seoul geborene, derzeit in Paris bei Michel Béroff studierende Seong-Jin Cho, der zwischen Konzerten in Paris und den USA Station im Esslinger Neckar Forum machte. Die Erwartungen des Meisterkonzert-Publikums waren hoch, und sie wurden nicht enttäuscht. Insbesondere in Frédéric Chopins Préludes op. 28, die Cho kürzlich auf CD einspielte, hörte man Klaviermusik wie von einem anderen Stern. Cho versank bei diesem an Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ angelehntem Zyklus geradezu in der Musik. Er schuf ein Kaleidoskop an Farben und Stimmungen, zeigte sich mal poetisch singend, dann wieder gewaltig polternd: Jedes Prélude entführte die Zuhörer in eine eigene Klangwelt. Der Pianist startete vehemente Ritte über die Klaviatur, um danach unvermittelt im Tonnebel des nächsten Satzes zu versinken. Er entwickelte eine kluge Dramaturgie, die den Spannungsbogen von der ersten bis zur letzten Note hielt. Mit spielerischer Leichtigkeit absolvierte Cho das Laufwerk und scheute sich nicht, die Konturen mit einer bisweilen extremen Dynamik zu schärfen.

Seong-Jin Chos phänomenale Technik war auch Basis der absolut transparenten Wiedergabe von Franz Schuberts Klaviersonate c-Moll. Er setzte die Empfindungen und Ausdruckstiefe der Musik um, ohne jemals in schwelgerische romantische Untiefen abzugleiten. Klare Kontraste prägten den ausdrucksstarken Kopfsatz, und das Adagio lebte von einer tief empfundenen Musikalität, mit mannigfachen Schattierungen in Klang und Dynamik, ausgedrückt durch eine höchst differenzierte Anschlagskunst. Dem locker perlenden Menuett folgte ein rastloser Galopp, bei dem Cho seine frappierenden manuellen Fähigkeiten voll ausspielte - brillant, spannend und die Zuhörer fesselnd.

Bei der eingangs gespielten Sonate h-Moll op. 1 war noch nichts vom späteren Zwölftöner Alban Berg zu spüren. Der Sonatenhauptsatz gibt die Form, und stilistisch ist das Werk der Spätromantik zuzuordnen, wobei die tonale Freiheit Bergs etwas sperrig wirkte, jedoch im großen Spannungsbogen weitgehend aufgelöst wurde. Seong-Jin Cho sorgte für eine schlüssige Interpretation mit sauberer Linienzeichnung und einer kristallinen Klarheit des Klangbildes. Fazit: Das begeisterte, den Pianisten mit Ovationen feiernde Esslinger Meisterkonzert-Publikum erlebte im Neckar Forum eine Sternstunde der Klaviermusik.