Der Filmemacher und Künstler Piotr Kotlicki unterrichtet an der Filmhochschule in Łódż. Er hat das Programm für das Kurzfilmfestival im Esslinger Lima zusammengestellt. Foto: E. Maier

Von Elisabeth Maier

Hinter dem Offizier lauert die bleiche Fratze des Todes. Während der Militär noch Befehle erteilt, zerfällt sein Körper. Blutig stechen Rippen und Organe unter der Uniform hervor. „Officer“ heißt das Ölgemälde des polnischen Malers Piotr Kotlicki. Der Künstler ist ein Grenzgänger zwischen Malerei und Film. Virtuos spielt er mit Licht und Schatten. Dass er ein politisch denkender Mensch ist, merkt man den Bildern an. Viele seiner Arbeiten sind von Bildern des Bürgerkriegs in der Ukraine inspiriert. Er forscht und unterrichtet an der renommierten Filmhochschule in Łódz. Nun hat er für das Literarische Marionettentheater (LIMA) in der Esslinger Landolinsgasse ein kleines Festival mit polnischen Kurzfilmen kuratiert. Das Programm wird im Februar auch in Posen zu sehen sein.
„Ich möchte zeigen, was die Filmemacher und Videokünstler in Polen bewegt“, sagt Kotlicki. In Zeiten einer europafeindlichen Regierungspolitik in Polen wird das nicht einfacher. Dennoch knüpft der Künstler weiter Kontakte nach Deutschland und in andere Länder. Seine Werke sind in internationalen Galerien und bei Festivals zu sehen, unter anderem in Salzburg, Madrid, Warschau, Novi Sad und Hamburg. Im Frühjahr stellt er in einer New Yorker Galerie aus. Mit Andreas Weiner vom Esslinger Lima verbindet den Multimedia-Künstler eine lange Freundschaft. Das gemeinsame Kurzfilmfestival soll ein Schritt für weitere Kooperationen sein. Denn auch der innovative Chef des LIMA lotet an der Marionettenbühne Möglichkeiten multimedialen Arbeitens aus.

Europafeindlicher Kurs

Der 45-Jährige, der in der Esslinger Partnerstadt Piotrków Trybunalski aufgewachsen ist, weiß von Künstlerkollegen aus anderen Bereichen, dass die neue Regierungspartei PiS (steht deutsch übersetzt für Recht und Gerechtigkeit) mit ihrem europafeindlichen Kurs viele Freiheiten einschränkt. Das hat besonders die Künstler im Theater schwer getroffen. Unliebsamen Künstlern werden Mittel gekürzt.
Und nicht nur das: Der Intendant Jan Klata vom Stary Teatr aus Krakau etwa musste im September seinen Posten verlassen. Der Prozess begann in Breslau mit der Abberufung des Intendanten Krzysztof Mieszkowski. Theaterchefs, die sich kritisch geäußert haben, wurden durch neue Kräfte ersetzt, die eher auf der Linie der Regierung liegen. Allerdings stimmt das Publikum mit den Füßen ab und besucht gerade jede Aufführungen kritischer Künstler. „Viele Maler, Theater- und Filmemacher setzen sich mit der politischen Wirklichkeit auseinander“, findet Piotr Kotlicki. Wie sehr ihn die Sorge um die Zukunft der freien Kunstszene in seinem Land umtreibt, ist im Gespräch zu spüren. Er erzählt von dem Mann, der sich Mitte Oktober aus Protest gegen die polnische Regierung in Warschau nahe dem Kulturpalast selbst verbrannte. „Das hat viele aufgerüttelt.“ Politische Kunst bewegt auch die Studierenden an der Filmhochschule, die er unterrichtet. Mit ihnen lotet der Maler Wege aus, Malerei und bewegte Bilder zu verbinden.

Frostige Zeiten

Weil die Zeiten zwischen Deutschland und dem Nachbarland Polen auf politischem Parkett frostiger werden, ist Kotlicki der Kontakt zu europäischen Künstlerkollegen wichtiger denn je. Er sieht es als seine Pflicht, den Horizont seiner Landsleute zu weiten. Deshalb ist ihm die Reise nach Esslingen zum Festival ein Anliegen. Das Adam-Mickiewicz-Institut in Warschau finanziert seine Reisekosten.
Nun freut sich der Maler und Multimediakünstler darauf, mit den Besuchern über die Gegenwartskunst in Polen zu diskutieren. Grenzüberschreitende Projekte zwischen Malerei und Film, aber auch zwischen Künstlern aus unterschiedlichen Ländern, fordern den 45-Jährigen heraus. In diese Richtung will sich der Künstler weiterentwickeln, der in Łódz bei dem Maler und Professor Ryszard Hunger studiert hat. Gerade in Zeiten des Rechtspopulismus sieht Kotlicki die Künstler in der Pflicht, Brücken zwischen Ländern zu schlagen.
Was bewegt die polnischen Videokünstler? Die Zeiten, in denen Ost und West streng getrennt waren, sind lange vorbei. Die polnischen Künstler begreifen sich als Europäer, und das prägt ihre innovative Kunst. In dem Trailer, den Kotlicki für das Festival produziert hat, ist ein Mann zu sehen, der vor einem Güterzug auf einer Wiese rennt. Wild bäumt sich der nackte Körper gegen den Zug der Zeit auf. Anmutig zieht sich in einer anderen Szene die schöne Frau Strümpfe an. Einsam klettert ein Bergsteiger auf eisiger Felswand ins Nichts.
Wo ist Ost? Was macht den Westen aus? Ganz unterschiedlich nähern sich die Filmemacher der Frage nach ihrer Identität an. Ihre Ästhetiken sind so unterschiedlich wie die Künstlerpersönlichkeiten selbst. Kotlicki will in Esslingen „einen Querschnitt zeigen, der die Vielfalt der Szene wiedergibt“.

www.kotlicki.com.pl

Video: Piotr Kotlicki

Kurzfilmfestival im LIMA

Das Festival „Der kürzeste Tag“: Am Donnerstag, 21. Dezember, dem kürzesten Tag des Jahres, sind überall in Deutschland Kurzfilme zu sehen. Marktplätze und Hinterhöfe werden zu Open-Air-Kinos, Schaufenster und Hauswände verwandeln sich in Projektionsflächen. Filmtheater, von Kommunalen Kinos über Programmkinos bis zu Multiplexen, öffentliche Einrichtungen, Vereine, Unternehmen und Privatpersonen veranstalten ihre eigenen Filmevents. Auch Andreas Weiner, der das Literarische Marionettentheater (LIMA) in Esslingen leitet, ist dabei. Das kleine Festival beginnt um 19.30 Uhr; der Eintritt ist frei.

Die polnischen Filmemacher: „On The Edge – Top video artists from Poland“ lautet der Titel des Festivals. Der Kurator Piotr Kotlicki wird zum Festival kommen. Er will mit den Besuchern über die polnische Filmszene sprechen. In der Hausapelle des LIMA, Landolinsgasse 1, in der Landolinsgasse sind die Kurzfilme folgender Künstlerinnen und Künstler zu sehen: Piotr Bosacki, Karolina Breguła, Wojciech Bruszewski, Aleksandra Chciuk, Aneta Grzeszykowska, Izabela Gustowska, Paweł Hajncel, Ania Konik, Piotr Kotlicki, Konrad Kuzyszyn, Igor Krenz, Dominik Lejman, Wiktor Polak Józef Robakowski und Mates Sadowski.

www.lima-theater.de