Das Team der „Villa Ankerraum“: Rajan Roth, Deva Prem Kreidler-Roth, Friedemann Bär und Govinda Cüppers-Bär (von links). Quelle: Unbekannt

Von Ulrike Rapp-Hirrlinger

Viele Jahre war die stattliche Jugendstilvilla in Esslingen in der Mülbergerstraße 31 den Blicken durch hohe Bäume und dichte Büsche entzogen. Govinda Cüppers-Bär, Friedemann Bär, Deva Prem Kreidler-Roth und Rajan Roth haben das Kulturdenkmal wieder ans Licht geholt. Die vier wollen dort ein Zentrum für alternative und ganzheitliche Heilbehandlungen und zugleich einen Ort der Begegnung schaffen. Doch bevor die „Villa Ankerraum“ Realität werden kann, musste das alte Haus aus seinem Dämmerschlaf geweckt werden.

Die Stadtvilla mit Blick auf die Esslinger Innenstadt wurde 1910 von den Architekten Karl und Otto Junge erbaut. Bis vor wenigen Jahren wurde sie von dem Arzt Eduard Kanwischer bewohnt, der dort auch seine Praxis hatte und ebenfalls mit Naturheilmethoden arbeitete. Eine schöne Kontinuität, finden die neuen Eigentümer.

Geraume Zeit stand die Villa leer, bevor der Heilpraktiker Govinda Cüppers-Bär das zum Verkauf stehende Gebäude entdeckte. Schon seit längerer Zeit waren die vier, die seit langem befreundet sind, auf der Suche nach einem Objekt, in dem sie ihren Traum vom gemeinsamen Arbeiten und Wohnen verwirklichen können. „Es war nicht Liebe auf den ersten Blick“, gesteht Friedemann Bär, Diplom-Pädagoge und stellvertretender Schulleiter in der Paulinenpflege in Winnenden.

Jahrelang nicht renoviert

Vom Haus selbst konnte man anfangs nur schwer einen Eindruck bekommen. „Das Ganze war wie ein verwunschener Dschungel, alles total eingewachsen“, erzählt die Heilpraktikerin und Diplom-Ingenieurin Deva Prem Kreidler-Roth von den ersten Besichtigungen. Als aber eine Architektin dem Haus eine gute Substanz bescheinigte, griffen sie zu. Und wurden positiv überrascht: „Es sah viel schlimmer aus, als es war“, sagt der promovierte Sozialwissenschaftler und Heilpraktiker Rajan Roth. Dennoch sah man dem Haus an, dass viele Jahre lang nichts renoviert worden war: Bröckelnder Putz, zerfledderte Tapeten und wahre Spinnweb-Landschaften verliehen dem Gebäude einen morbiden Charme. Von einem „Mix der skurrilsten Materialien“ spricht Cüppers-Bär und nennt PVC-Beläge und abgetretene Teppichböden, deren Originalfarbe nur noch schwer zu erkennen war, Baumarkttüren neben den Jugendstil-Originalen und eine bunte Mischung von Fenstern der letzten hundert Jahre.

Und doch zeigte der zweite Blick, dass viel von der originalen Jugendstil-Ausstattung erhalten war: Das Treppenhaus mit der großen Diele, etliche Türen und zum Teil bleiverglaste Fenster, viele stuckverzierte Decken, die Fassadengestaltung und die historischen Dachziegel. Besonders schön finden es die Bauherren, dass im großen Runderker in der Beletage noch die Originalverglasung erhalten ist. „Es war, als tauche man in ein anderes Jahrhundert ein“, erinnert sich Kreidler-Roth. „Der schönste Moment war, als die hohen Bäume gerodet waren und das Sonnenlicht durch die Fenster dringen konnte. Da sahen wir plötzlich, wie hell es im Haus sein kann“, sagt Bär.

Zunächst musste ein historischer Befund erhoben und geklärt werden, welche Farben, Tapeten, Ziegel und anderes verwendet worden waren. Seit Juni 2016 sind nun fachkundige Handwerker im Haus, um das Gebäude behutsam zu restaurieren - immer in enger Abstimmung mit dem Landesdenkmalamt. „Die Zusammenarbeit war sehr kooperativ“, betont Cüppers-Bär, der die Bauleitung übernahm.

Froh sind die vier darüber, dass es keine unliebsamen Überraschungen gab, die den Kostenrahmen hätten sprengen können. „Man sieht am verwendeten Material, dass die Erbauer auf Qualität setzten“, sagt Cüppers-Bär. So musste der Dachstuhl nicht erneuert werden, vielmehr konnte er im Originalzustand erhalten bleiben. Bei der Fenstergestaltung setzen sie ebenfalls auf Sonderanfertigungen nach Originalplänen. „Wir wollen das Haus in seinem Jugendstil-Charme erhalten, alles andere wäre grob fahrlässig“, sagt Cüppers-Bär. Überrascht sei er gewesen, als ihm ein Restaurator erklärte, dass im Jugendstil die Stuckelemente der Decken nicht aus Gips, sondern aus einer Art Pappmaschee gefertigt wurden.

Inzwischen sind die beiden Wohnungen im Obergeschoss und im Dachgeschoss der Villa fertig. Dort sind die Eigentümer eingezogen. Die Beletage wird mit mehreren Behandlungsräumen als Praxisgemeinschaft genutzt werden. Hier werden auch stunden- oder tageweise Kurse wie Yoga, Meditation oder Tanztherapie angeboten. Auch Gasttherapeuten könnte das Haus beherbergen, sagt Rajan Roth. „Hier haben wir noch Kapazität für weitere Interessierte“, betont Govinda Cüppers-Bär, der die Koordination übernehmen wird.

So verwirklicht sich die zentrale Idee der „Villa Ankerraum“, nach der sich alternativmedizinische und psychotherapeutische Angebote wie auch Coachingkompetenz zusammenfinden. „Wir wollen Menschen ansprechen, die nach neuen Perspektiven in ihrem persönlichen und beruflichen Leben suchen“, erklärt Cüppers-Bär. Vor allem soll sich aber eine Gemeinschaft von Therapeuten bilden, die sich fachlich austauschen und gegenseitig unterstützt. Damit auch die Geselligkeit Platz hat, wird ein Raum als Treffpunkt gestaltet. Für Anfang Februar ist die Eröffnung der „Villa Ankerraum“ geplant. Bis dahin haben Handwerker und Eigentümer noch ein sportliches Programm vor sich.

Esslingen ist nicht nur reich an denkmalgeschützten Gebäuden. Wer mit offenen Augen durch die Stadt geht, entdeckt jede Menge Bauten, die architektonisch oder sozialgeschichtlich interessant sind. In der EZ-Serie „Baugeschichte(n)“ geht es aber nicht nur um Steine. Es kommen auch Menschen aus der Innenstadt sowie den Stadtteilen zu Wort, die alte Häuser gerettet und saniert oder sich ihre ganz persönlichen Wohnträume verwirklicht haben.

Kunstvolle Fenster

Die 1910 erbaute Villa in der Mülbergerstraße 31 wird auch in der Denkmaltopographie der Stadt Esslingen erwähnt. Das Architekturbüro Karl und Otto Junge hatten das Haus für den Dekorationsmaler Karl Häuser entworfen. „Dem vorherrschenden Zeitgeschmack entsprechend auf malerische Wirkung bedacht, konzipierten die Architekten das Gebäude in komplizierter Verschachtelung aus einem, Walmdach und einem Mansarddachteil und fügten straßenseitig einen weit vorstoßenden Runderker mit bekröntem Balkonaufsatz an“, beschreiben die Denkmalpfleger das Werk der Architekten. Besonders bemerkenswert sind für die Experten die noch gut erhaltenen bauzeitlichen Fenster des Erkers mit ihrer kleinteiligen Sprossierung sowie der kunstvollen Flechtmustergliederung.