Mariam Koridze Araujo hat den Integrationsplan vorbereitet. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Integration von Zuwanderern muss gelingen, um die Gesellschaft stabil zu halten, sagte Landrat Eininger. Im neuen Integrationsplan des Landkreises geht es um Arbeit, Wohnen, Bildung.

Kreis Esslingen Fast 30 Prozent der Einwohner im Landkreis Esslingen haben Migrationshintergrund. Viele sind gute Nachbarn geworden und verstehen sich als Bürger unserer Gesellschaft, manche tun sich noch schwer damit. Die 10 000 Flüchtlinge, die seit 2014 hierher gekommen sind, haben eine neue Situation geschaffen. Für alle Menschen fremder Herkunft hat der Kreis einen Integrationsplan aufgestellt, der am Dienstag im Landratsamt vorgestellt und diskutiert wurde. Eine gelingende Integration, betonte Landrat Heinz Eininger, sei eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg des Landkreises im globalen Wettbewerb und auch für die soziale Stabilität der Gesellschaft.

Keine Sonderförderung

Der Kreistag hatte den Integrationsplan im Dezember beschlossen, nun wurden der Plan und einige Praxisbeispiele vorgestellt. Viele Ehrenamtliche, Vertreter von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden, Bürgermeister und Kreisräte sowie Vertreter von Schulamt, IHK und Jobcenter besuchten das Forum. Mariam Koridze Araujo, Integrationsbeauftragte im Landratsamt, stellte das von ihr koordinierte Planwerk und die elf Handlungsfelder vor, ganz vorne Integration durch Wohnen, Ausbildung und Arbeit, soziale Beratung, Gesundheit und bürgerschaftliches Engagement. Für die ersten Projekte hat der Kreis 580 000 Euro bereitgestellt. Eininger betonte jedoch, dass es vor allem darum gehe, die vorhandenen Regelsysteme für die Integrationsaufgabe zu wappnen: „Wir wollen keine Sonderförderung etablieren.“ Gleichwohl laufen Projekte an, die sich speziell um Flüchtlinge kümmern. So sollen zum Beispiel auch Flüchtlinge mit schlechter Bleibeperspektive gefördert werden, um die Rückkehr zu erleichtern.

Die Anschlussunterbringung von anerkannten Flüchtlingen und WohnraumKnappheit beschäftigen derzeit alle Kommunen. Zwei Lösungsansätze – für eine Große Kreisstadt und für ein Dorf – wurden am Dienstag vorgestellt. In Frickenhausen, 9000 Einwohner groß, wird seit 2014 in sozialen Wohnungsbau investiert, der auch die Situation für junge Familien entschärfen soll. Wichtig für das funktionierende Zusammenleben sei die gezielte Belegung, sagte die örtliche Integrationsbeauftragte Andrea Müller. Um Nachbarschaftsprobleme zu vermeiden, müsse man auch über Mülltrennung und Heizung informieren. Was sie speziell bei den von Abschiebung bedrohten Gambiern feststellt, ist eine große Frustration bei den Geflüchteten selbst sowie bei den ehrenamtlichen Betreuern.

Die Stadt Leinfelden-Echterdingen versucht, mehrere Hundert leer stehende Privatwohnungen zu reaktivieren. „LE mietet“ heißt das Projekt. Über Stände auf dem Wochenmarkt und Bürgerversammlungen sprach man Hausbesitzer, eine Anwalt informierte diese über Rechtsfragen. 80 Angebote gingen darauf bei der Stadt ein, 30 Wohnungen hat sie inzwischen angemietet. Auch Sozialamtsleiter Peter Löwy betonte, dass man den Umzug von der Sammelunterkunft in die Wohnung gut begleiten müsse, nicht zuletzt, um den Neuankömmlingen das Thema deutsche Sauberkeit nahezubringen.

Care-Woche

Um die Kehrwoche geht es bei den Care-Wochen in Ostfildern nicht. Aber um eine regelmäßige Veranstaltung, bei denen Ehrenamtliche und Asylbewerber zusammenkommen. Neun Informationsmodule werden dort beackert, zum Beispiel Jobcenter, Schulen, Gesundheitswesen und Polizei. Dolmetscher und Info-Austausch über Whatsapp haben sich als wichtige Hilfen erwiesen, berichtete Nathalie Stengel-Deroide von der Stadtverwaltung.

Wer hier bleiben will, braucht Arbeit. Woran es hapert, machten die Teilnehmer beim Meinungsaustausch im Foyer deutlich. Auf keinem anderen Plakat klebten sie so viele rote Punkte wie bei den Stichworten „schnellere Entscheidungswege“ und „einheitliches Vorgehen bei ausländerrechtlichen Fragen“.

Junge Männer steuern

Bei der Sprachförderung gibt es ein vielfältiges abgestuftes Kursprogramm. Bessere Angebote wünschten sich die Forumsteilnehmer für Frauen, die parallel Kinderbetreuung benötigen. Auch die Frage, wie die mehr als 200 unbegleiteten Jugendliche unterstützt werden, wenn sie die Altersgrenze der Jugendhilfe erreichen, beschäftigt die Sozialen Dienste in den Städten. Katharina Kiewel, Sozialdezernentin des Landkreises, kündigte an, demnächst ein Konzept für die „schwer erreichbaren“ jungen Männer zu präsentieren, um ihnen beim Einstieg in den Beruf zu helfen. Auf großes Interesse stießen die beiden Konzepte für traumatisierte und für auffällige Flüchtlinge. Dazu beginne im April die Qualifizierung der Psychologischen Beratungsstellen, sagte Psychiatrieplaner Michael Köber. Mit diesem langfristig angelegten Plan, so fasste Landrat Eininger zusammen, habe man den „Grundstein für eine gut abgestimmte Integrationsarbeit“ gelegt. Man brauche aber noch einige Jahre vom Land die Mittel für den Integrationspakt mit den Kommunen.

Die Original-Rede von Landrat Eininger:

"Meine sehr geehrten Damen und Herren,

heute stellen wir Ihnen den ersten Integrationsplan des Landkreises Esslingen vor. Der Sitzungssaal ist fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Es zeigt die Bedeutung und das große Interesse am Thema „Integration“.

(…) Sie alle sind in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereichen mit Integrationsfragen im Landkreis und darüber hinaus befasst. Damit haben wir erreicht, dass der Integrationsplan als Grundlage für einen intensiven Dialog von den Akteuren der Integration anerkannt ist.

Ich freue mich, viele Repräsentanten von Gremien, Kommunen, Institutionen, Organisationen und Verbänden, die an der Erstellung des Integrationsplans mitgewirkt haben begrüßen zu dürfen (. . .)

Der Kreistag hat am 14. Dezember 2017 den ersten Integrationsplan des Landkreises verabschiedet. Damit sind die Weichen gestellt. Wir haben landkreisweit die Grundlage für unsere zukünftige Integrationsarbeit geschaffen.

Übergeordnete Zielsetzung ist es, für alle die Menschen, die in unseren Landkreis eingewandert sind und noch kommen werden, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem sozialen Hintergrund, möglichst gleiche Chancen für ihre Partizipation am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben zu schaffen.

Die vorliegende Integrationsplanung bietet dafür den Rahmen. Nun ist es an uns diesen Rahmen mit Leben zu füllen. Die Komplexität der Herausforderungen zeigt sich in den (derzeit) 11 zentralen Handlungsfeldern, um die wir uns kümmern müssen. Das sind die Bereiche:

- Integration durch Wohnen,

- Sprachförderung, Bildung (schulische und außerschulische Bildung),

- Ausbildung und Arbeit,

- soziale Beratung und Betreuung,

- Gesundheit und Pflege,

- Bürgerschaftliches Engagement sowie

- interkulturelle Öffnung und gesellschaftliche Teilhabe.

Mit der Verabschiedung der Integrationsplanung hat der Kreistag gleichzeitig auch erste Umsetzungsschritte beschlossen. Dabei nehmen u.a. die Maßnahmen zur

- Qualifizierung der Beratungsstrukturen,

- der Intensivierung der Deutschförderung,

- der Stärkung der Erziehungskompetenz sowie

- der Integration durch Ausbildung

gemäß dem Prinzip „Fördern und Fordern“ eine herausragende Rolle ein.

Wir müssen gute Grundlagen schaffen und unsere Regelsysteme qualifiziert auf die kommenden Integrationsaufgaben vorbereiten. Der Landkreis ist entwicklungsstark, auch im Bereich der Sozialplanung. Daher wissen wir: wenn wir in den Strukturen und Prozessen gut aufgestellt sind und alles sinnvoll ineinandergreift, erzielen wir gute Ergebnisse. Dann sind auch die 580.000 Euro, die der Landkreis in die ersten Maßnahmen investiert, gut angelegt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

eine gelingende Integration ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg unseres Landkreises im globalen Wettbewerb und letztlich auch für die soziale Stabilität unserer Gesellschaft.

Zuwanderung ist in unserem Landkreis kein neues Phänomen. Bereits heute leben bei uns rund 150.000 Menschen mit einem Migrationshintergrund. Das sind mehr als 25 % der gesamten Einwohner des Landkreises. Hiervon haben 50 % die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie sprechen die deutsche Sprache, gehen verschiedenen Berufen nach und haben ihren Lebensmittelpunkt in unserer Gesellschaft. Sie sind vielen von uns gute Nachbarn und gehören als Mitbürgerinnen und Mitbürger in unsere Mitte.

Wir wollen die Integration von allen Menschen mit Migrationshintergrund unterstützen und fördern. Daher müssen wir auch die Menschen im Blick haben, die in den letzten Jahrzehnten bei uns im Landkreis sesshaft geworden sind.

Neu ist jedoch das Ausmaß der Zuwanderung der letzten drei Jahre. Seit 2014 sind rund 10.000 Menschen in den Landkreis eingereist. Viele von Ihnen werden in unseren Städten und Gemeinden dauerhaft oder für eine absehbare Zeit bleiben. Viele werden hier eine neue Heimat finden und sich ein neues Leben aufbauen.

Ich möchte Sie aber auch daran erinnern - und wir haben das immer wieder in verschiedenen Gremien betont - dass sehr viele Menschen nach der heutigen Rechtslage keine Aussicht auf Anerkennung haben.

Nun stellt sich die Frage, ob und wie wir für diese Menschen Integrationsleistungen erbringen, ohne vorauszusehen, wie lange sie im Landkreis bleiben werden?

Die richtige Antwort wäre: „Die Menschen, die keine Perspektive in Deutschland haben, sollen zeitnah wieder ausreisen, da sie lediglich geduldet sind“.

Duldung ist ein Zustand ohne Perspektive für diese Menschen. Hier muss unser Rechtsstaat konsequent auftreten. Langwierige Verfahren und zahlreiche Rückführungshindernisse stehen einem konsequenten Vollzug entgegen. Bis die Schwierigkeiten überwunden sind, müssen wir als Zivilgesellschaft diese Defizite überbrücken. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich soziale Randgruppen und Parallelgesellschaften entwickeln. Wir riskieren auch, dass Perspektivlosigkeit zu Krankheit, Frust, Gewalt und Kriminalität führen kann.

Zwischenzeitlich haben sich die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in einigen Ländern verbessert, z. B. in Gambia. Wie Sie wissen, ist Baden-Württemberg Schwerpunktaufnahmeland für Gambier. Im Landkreis Esslingen leben derzeit rd. 1.100 Personen aus Gambia (25 % aller in Baden-Württemberg angekommenen Menschen aus Gambia), deren Anerkennungsquote liegt unter 5 %. Tatsächliche Abschiebungen sind die Ausnahme. Eine Lösung könnte eine zeitnahe freiwillige Ausreise sein. Mit der Unterstützung unserer Rückkehrberatung, die diesen Menschen bei der Rückkehr in ihre Heimat die Chance bietet eine Lebensperspektive aufzubauen, wäre dies ein Weg.

Derzeit laufen auf der Bundes- und Landesebene in Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen (NGO’s), Planungen, um u. a. in Gambia entsprechende Strukturen aufzubauen, damit „Heimkehrer“ aus Deutschland sich nach und nach eine Existenz aufbauen können. Es dürfte allerdings noch einige Zeit in Anspruch nehmen, bis die erforderlichen Stellen in Gambia ihre Arbeit aufnehmen.

Vollständigkeitshalber muss aber auch festgestellt werden, dass es viele Länder gibt, die derzeit noch nicht bereit sind, ihren Staatsbürgern wieder die Einreise zu ermöglichen. Hier ist die Bundesdiplomatie gefordert.

Bis dahin werden wir als Landkreis Berufsorientierungsmaßnahmen entwickeln, um die Menschen mit geringer Bleibeperspektive, auf eine freiwillige Rückkehr bestmöglich vorzubereiten, so dass sie sich in ihrem Heimatland eine Existenz aufbauen können. Erste Erfahrungen haben wir bereits mit den von uns initiierten Zukunftswerkstätten machen können.

Meine Damen und Herren,

eine gelingende Integration im Bereich der Zuwanderung hat viel Potential. Als Landkreis haben wir jedoch aufgrund der geteilten Zuständigkeiten von Bund, Land und Kommunen nur begrenzte Steuerungs- und Handlungsmöglichkeiten, sind aber gleichzeitig für die Soziale Leistungserbringung zuständig.

Strukturen für eine nachhaltige Integration brauchen Ressourcen.

Ich hatte es eingangs bereits erwähnt, wenn wir in den Strukturen und Prozessen gut aufgestellt sind und alles sinnvoll ineinandergreift, erzielen wir gute Ergebnisse!

Im Rahmen unserer sozialplanerischen Zuständigkeit haben wir immer dem Anspruch Rechnung getragen, das Ganze im Blick zu haben.

Dafür haben wir in den letzten Jahren viel getan. Wir haben unsere Konzepte im Rahmen der Flüchtlingshilfe immer mit der Zielsetzung der Ganzheitlichkeit entwickelt und umgesetzt. Dafür wurden im Rahmen von Freiwilligkeitsleistungen durch den Kreistag die erforderlichen Mittel bereitgestellt. U. a. fördern wir Kommunale Koordinationsstellen für das Ehrenamt, unterstützen durch Personalkostenförderung die Sozialen Dienste der Großen Kreisstädte und des Landkreises und qualifizieren unsere Beratungsstrukturen gemeinsam mit den Freien Trägern.

Ungeachtet dessen müssen jedoch der Bund und das Land mehr investieren, um die Nachhaltigkeit in die gut angelegte, kommunale Integrationsarbeit abzusichern.

Wir sehen daher insbesondere bei der Landesförderung beim „Pakt für Integration“ die Notwendigkeit, diese Förderung auch die nächsten Jahre fortzuführen. Wir sehen auch, dass eine Stichtagsbetrachtung bei der Förderung von Personalressourcen in den Kommunen nicht ausreichend ist, wenn wir uns, wie vorhin ausgeführt, auch qualifiziert um die Menschen kümmern müssen, die eine geringe Bleibeperspektive haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wenn wir die notwendigen Ressourcen einsetzen, kann unser landkreisweit angelegtes Integrationskonzept sein größtmögliches Integrationspotential entfalten. Land und der Bund sind gefordert, uns zu unterstützen.

Mit der heute eingeführten Integrationsplanung legen wir den Grundstein für eine gut abgestimmte Integrationsarbeit im Landkreis Esslingen. Die Verwaltung wird den Umsetzungsprozess kontinuierlich begleiten und fachlich beraten, teilweise auch selbst Maßnahmen entwickeln.

Ich danke allen Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen, die sich seit Ende 2014 unermüdlich in der Flüchtlingsarbeit einsetzen. Mein Dank gilt auch allen, die an der Erarbeitung des Integrationsplans und der Vorbereitung sowie der Mitwirkung der heutigen Veranstaltung Anteil haben. Besonders danken möchte ich unserer Integrationsbeauftragten Frau Mariam Koridze Araujo. Sie hat die letzten anderthalb Jahre eine Vielzahl von Gremien moderiert und durch die Integrationsthemen sicher navigiert, so dass wir heute ein sehr gutes Ergebnis vorliegen haben."